Sauerländer Front sauer

Polizei und Antifa verhinderten Neonazi-Aufmärsche am zehnten Todestag des Hitler-Stellvertreters

Über 400 Festnahmen und zahlreiche vereitelte Aktionen - eine schlechte Bilanz für jene Neonazis, die am vergangenen Wochenende anläßlich des zehnten Todestages des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß in verschiedenen Städten aufmarschieren wollten. Erfolgreich zeigte sich vor allem die Polizei, aber auch antifaschistische Organisationen waren zufrieden. "Der Rudolf-Heß-Marsch fand 1997 in der BRD nicht statt", resümieren das BAT (Bundesweites Antifa Treffen) und die AA/BO (Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation) in einer gemeinsamen Erklärung.

Die "verzweifelten Versuche der Nazis", eine zentrale Aktion durchzuführen, sei ständig von "entschlossenen antifaschistischen Gegenaktionen" begleitet gewesen, ergänzt die Göttinger Autonome Antifa (M). Neben Gegenmobilisierungen vor Ort - in Halle, Braunschweig und Umgebung sowie Solingen - demonstrierten am Wochenende auch in München, Bergisch Gladbach, Goslar und Nürnberg linke Gruppen unter dem Motto: "Den antifaschistischen Widerstand organisieren! Gegen den Rudolf-Heß-Marsch vorgehen!"

Zuvor hatte die Polizei allerdings schon kräftig zugelangt. Bei Vorkontrollen in Hessen und Thüringen wurden 170 Neonazis festgenommen, 116 baden-württembergische Rechtsradikale mußten sich am 16. und 17. August regelmäßig bei der örtlichen Polizeidienststelle melden, um nicht an Gedenkmärschen teilnehmen zu können. Rund 20 Personen versuchten dennoch, in ...hringen bei Heilbronn eine Demonstration der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) durchzuführen. 14 Neonazis wurden vor Ort verhaftet, vier weitere machte die Polizei wenige Zeit später in Stuttgart dingfest. Auch in Kleinstgruppen agierten Rechtsradikale in Baden-Württemberg. So wurden in Karlsruhe und Mannheim mehrere Personen beim Versuch festgenommen, Transparente zum Gedenken an Heß aufzuhängen.

Im niedersächsischen Königslutter, dem räumlichen Schwerpunkt der diesjährigen Aktivitäten, nahm die Polizei 85 Personen aus dem rechtsextremen Lager fest. Unter ihnen: der Anti-Antifa-Aktivist Oliver Schweigert, die JN-Funktionärin Melanie Dittmer und Mitglieder der militant neonazistischen Sauerländer Aktionsfront. Zuvor waren einige der rund 200 im Großraum Braunschweig Angereisten von den Beamten bereits aus Wolfenbüttel verjagt worden.

Lediglich im dänischen Köge gelang es 150 Rechtsextremisten, unter dem Schutz von 800 Polizeibeamten zu marschieren. Dort kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Einsatzkräften und Autonomen, die versucht hatten, gegen die Neonazis vorzugehen. Zwar fand der Aufzug nicht, wie ursprünglich geplant, in Roskilde statt, dennoch mußte die Polizei dort das Domizil der Dänischen Nationalsozialistischen Bewegung (DNSB) gegen linke Demonstranten verteidigen. Antifas, die versuchten, das Haus des DNSB-Parteichefs Jonni Hansen anzugreifen, wurden von den dänischen Einsatzkräften gehindert.

Auch die deutsche Polizei ging am Wochenende nicht gerade zimperlich mit Antifaschisten und Antifaschistinnen um. So wurden in Königslutter nicht nur Neonazis, sondern auch 35 Linke festgenommen, bundesweit waren es 75. In Halle gingen die Beamten gegen eine Gruppe von "30 bis 40 linksorientierte Personen" vor, die "tätliche Auseinandersetzungen" gegen 50 Rechte provoziert habe, berichtet die örtliche Polizeidirektion. Auch hier nahm die Polizei vorläufig fünf Personen fest, unter ihnen der stellvertretende PDS-Landesvorsitzende Frank Baier.

Nach Angaben der Göttinger Antifa (M) verhinderten Autonome einen Aufmarsch von rund 50 Neonazis in Hannover. "Für die Nazi-Kader stellt dieser erfolgreiche Angriff das i-Tüpfelchen auf einem völlig verunglückten, großspurig angekündigten Aktionstag dar", resümiert die Gruppe. Und in der Tat können die Rechtsradikalen im Vergleich zu vergangenen Jahren kaum zufrieden sein. Gelang es 1996 trotz heftigen "Katz-und-Maus-Spielen" mit der Antifa immerhin, mit 200 Personen über eine halbe Stunde lang durch das rheinland-pfälzische Worms zu marschieren und zudem in Merseburg mit rund 100 Aktivisten präsent zu sein, mißlang jetzt innerhalb der deutschen Grenzen jeder Versuch eines Aufmarsches. Trotz konspirativer Organisation - erst eine halbe Stunde vor geplantem Beginn einer Aktion wurde der Ort über sogenannte Nationale Infotelefone bekanntgegeben - war die Polizei fast immer rechtzeitig da. Und auch antifaschistische Demonstranten waren oft schneller vor Ort als so mancher "Kamerad".

Einen weiteren negativen Nebeneffekt konspirativer Mobilisierung mußten die Neonazis zudem hinnehmen: Es gelang nicht, mehr als einige hundert Organisierte aus ihren Reihen zu erreichen. Sowohl deren Umfeld wie auch weniger fanatische Heß-Anhänger bleiben offenbar zu Hause, wenn unbekannt bleibt, wo es hingehen soll und ob überhaupt ein Aufmarsch stattfinden wird. Eine Perspektive für Mobilisierungen wie in München, wo am 1. März dieses Jahres 5 000 Rechtsextreme marschierten, bieten die Heß-Märsche so nicht.

Dennoch gehört der 17. August zu den wichtigsten Tagen für die Rechten. Mit über 2 000 Teilnehmern und Teilnehmerinnen konnten sie 1992 in Rudolstadt den größten Neonazi-Aufmarsch in der BRD seit vielen Jahren verbuchen. Bis 1993 schafften sie es, ihr Umfeld einzubinden und an einem Erfolgserlebnis teilhaben zu lassen. Nicht unterschätzt werden darf auch der vereinigende Charakter der Aufmärsche. Seit 1988 dienen sie als Integrationsmöglichkeit für verschiedene Fraktionen im rechten Lager.

Daß es heute nicht mehr 2 000 Ewiggestrige sind, die dem Führer-Stellvertreter ihre Huldigung erweisen wollen, kann vor allem die Antifa für sich verbuchen. Sie zwangen die Neonazis nicht nur, regelmäßig auf andere Orte auszuweichen, sondern schufen auch den öffentlichen Druck, der staatliche Stellen zum Handeln zwang. Ein Vorgehen wie in Fulda 1993, wo 500 Nazis ungestört marschieren konnten, während die Polizei die Antifaschisten an der Stadtgrenze abfing, können sich die deutschen Behörden heute nicht mehr leisten. Wie bei den Angriffen gegen Flüchtlinge wurde das Aufsehen im Ausland zu groß.

Brandenburgs Innenminister Alwin Ziel (SPD) nahm folgerichtig den diesjährigen Gedenkmarsch zum Anlaß, die 26köpfige neonazistische Kameradschaft Oberhavel in Hennigsdorf zu verbieten. Ein Präzedenzfall: Zum ersten Mal wurde in der BRD ein loser rechter Zusammenschluß dieser Art mit einem Verbot belegt. Nach den Parteiverboten der letzten Jahre sind die Neonazis verstärkt dazu übergegangen, sich in Kameradschaften zu organisieren, um dem Staat den Zugriff zu erschweren. Offensichtlich mit wenig Erfolg. Dennoch bleibt weiterhin offen, warum nicht Organisationen wie die JN angegangen werden, die eine Art bundesweiten Überbau für die Kameradschaften darstellen und wo zudem zahlreiche Kader verbotener Organisationen aktiv sind.