Assekulanz

Daß man zu Versicherungsvertretern oft ein gespaltenes Verhältnis hat, liegt auf der Hand: Einerseits braucht man die eine oder andere Absicherung, andererseits hat man oft das Gefühl, daß sie einen beschwatzen, bis man, allein um sie wieder loszuwerden, allerlei Kleingedrucktes unterschreibt. Der Policenhändler versteht meist sein Fach und verfügt über psychologisches Geschick. Frage: Und was ist, wenn er 1997 auch noch von notwendiger Aufarbeitung der NS-Geschichte quasselt wie ein sozialdemokratisches Schulbuch? - Antwort: Dann ist es ein Allianz-Vertreter.

Diesen Eindruck jedenfalls gewinnt, wer seit April des Jahres 1997 in München oder Stuttgart die Firmensprecher des größten deutschen Versicherungskonzerns anruft, um Auskunft über die in den USA eingereichte Klage überlebender Holocaust-Opfer zu erhalten. Die energiegeladene Fröhlichkeit der agilen Männer am Telefon wirkt angesichts des Themas fast deplaziert, und man wird das Gefühl nicht los, in einen Werbespot hineingeraten zu sein. Aber selbstverständlich wolle man alles tun, um die ganze Angelegenheit unbürokratisch und schnell zu regeln. Es sei doch keine Frage, daß man für berechtigte Ansprüche aufkommen werde. Doch die juristische Lage sei verzwickt.

Der Konzern hat in allen größeren Zeitungen - weltweit (auch in den ehemals sozialistischen Staaten) - eine "Hotline für Holocaust-Opfer" bekannt gemacht. Dort können rund um die Uhr telefonisch Informationen eingeholt werden, auf englisch und deutsch, zeitweise auch in vielen anderen Sprachen. Bereits am 9. April - da war die Klage noch nicht endgültig fertiggestellt - gab der Vorstand eine politische Erklärung ab: " Um alle Ansprüche, die jetzt von außen an uns herangetragen werden, wird sich bei Allianz Leben das zuständige Vorstandsmitglied, Herr Eichelmann, persönlich kümmern. Wir werden dabei allen unseren Verpflichtungen - ohne formaljuristische Einwendungen wie Verjährung oder Lückenhaftigkeit von Dokumenten - in jedem Fall nachkommen." In Deutschland sei die Aufarbeitung der NS-Geschichte viel zu lange verzögert worden, auch die Nachgeborenen hätten die Pflicht, sich damit auseinanderzusetzen. "Dies gilt nicht nur für das Land ingesamt und jeden einzelnen von uns. Das gilt auch für die deutsche Wirtschaft und für jedes einzelne Unternehmen."

Die selbstkritische Offensive des Versicherungskonzerns löst Erstaunen aus. Wer schon einmal mit den Herren von Siemens, Bayer oder IG Farben über "Entschädigung" gesprochen hat, ist ganz andere Töne gewohnt. Aber ja, das sei wirklich so gemeint, sagt der Mann, der in München am Allianz-Telefon sitzt. Routiniert kommen ihm Begriffe wie "Nazi-Herrschaft" oder "Sklavenarbeit" über die Lippen. Man ist geneigt, ihm zu glauben, wenn er von einer Wandlung im Konzern spricht und daß man nun endlich Menschlichkeit walten lassen wolle. Im Juli wurde der Wirtschaftshistoriker Gerald D. Feldman aus Berkeley damit beauftragt, eine "unabhängige Studie zur Unternehmensgeschichte der Allianz" zu erstellen. Ob denn all diese Maßnahmen nicht zu spät kämen und dem drohenden Prozeß geschuldet seien? Der Allianz-Vertreter in München ist nicht aus der Fassung zu bringen. Nein, besser spät als gar nicht, dies sei auch eine Frage des Generationenwechsels im Konzern selbst, und außerdem: "Auf Geld kommt es nicht an, es geht um die Gerechtigkeit." Eines muß man dem Konzern neidvoll bescheinigen: Er macht gute Öffentlichkeitsarbeit.