Briten comme il faut

Marleen Gorris verhübscht "Mrs. Dalloway". Eine Literaturverfilmung nach Virginia Woolf

Gegen die Traditionalisten unter ihren Kollegen wandte sich 1924 die englische Schriftstellerin Virginia Woolf (1882-1941) in dem Essay "Mr. Bennett and Mrs. Brown". Darin erklärte sie, es sei nicht die Aufgabe des Romanciers, "Lehren zu predigen, Lieder zu singen oder das Britische Weltreich zu verherrlichen", sondern die Selbsterfahrung des Menschen zu beschreiben. Mit dieser Auffassung befand sie sich in guter Gesellschaft von Autoren wie Marcel Proust und James Joyce. Wichtiger als Geschichten oder action ist ihnen das individuelle Bewußt- und Unbewußtsein der Personen. Dabei kann die Handlung durchaus überborden, wie in Woolfs Roman "Orlando" (1928), in dem der männliche Held die Jahrhunderte überlebt und dabei kontinuierlich Biographie, Berufung, Moral und sogar das Geschlecht wechselt.

Es kann auch äußerlich wenig passieren und trotzdem eine Menge los sein. Wie im Roman "Mrs. Dalloway" (1925), worin Woolf in einer Mischung aus konventioneller Erzähltechnik und modernen Stilmitteln einen einzigen Tag in London 1923 schildert. Im Zentrum steht Mrs. Clarisse Dalloway, die eine ihrer berühmten Abendgesellschaften gibt. Während der Vorbereitungen schweift sie in die Vergangenheit zurück, läßt Gedanken, Stimmungen, Empfindungen ineinanderfließen. Immer wieder landet Mrs. Dalloway in jenem entscheidenden Sommer vor 30 Jahren, als sie mit der Busenfreundin schäkerte und von zwei sehr konträren Männern hofiert wurde. Mit dem einen ist sie jetzt verheiratet, der andere kehrt aus Indien zurück und besucht sie überraschend. Am Abend ist Mrs. Dalloway die perfekte Gastgeberin. Dann endet der Tag.

Statt heftiger Bewegungsabläufe läßt Woolf, psychoanalytisch versiert, das Leben als uferlosen inneren Monolog über die Seiten strömen, in dem sich die Personen, unabhängig von Zeit, Raum oder Etikette, unzensiert äußern können. Wenn schon sonst nichts in der High Society, so sind zumindest die Gedanken frei. Dies ist Woolfs Kommentar zum Britischen Empire.

Die vielfach gebrochene, polymorphe Wirklichkeitsdarstellung scheint nach Bebilderung zu schreien und verweigert sich gleichzeitig der beengenden Kadrierung. Mit Schön-den-five-o'clock-Tea-samt-Rüschenbluse-Abfilmen ist die Woolf nicht zu fangen. Demgemäß scheiterte zuletzt Sally Potter bei der Verfilmung von "Orlando" (1992, mit Tilda Swinton), die zu einem aufgeplusterten Kostümschinken verkam. Noch weniger Glück hat nun Marleen Gorris, die sich nach ihren frühen radikalfeministischen Filmen wie "Die Stille um Christine M." (1982) und "Die verkaufte Frau" (1985) mit der oscarprämierten Familiensaga "Antonias Welt" (1996) entschlossen ins konventionelle Mainstream-Kino begeben hat, und sich dort mit "Mrs. Dalloway" etabliert.

Was bei Virginia Woolf eine unsentimental fluoreszierende, beiläufig decouvrierende Geschichte über verratene Jugendideale, teuer erkaufte Anpassung und den Verlust der Leidenschaften ist, gerät Marleen Gorris zur nostalgisch nachkolorierten Schmonzette. Alles wird furchtbar gleich erzählt, egal ob das Instruieren des Personals für die Soiree, ein Gespräch beim Nervenarzt oder der ganz normale Party-Talk. Oder Clarisses (Vanessa Redgrave) Jugendliebe zu Sally (Lena Headey) samt Kuß im Mondschein, immerhin der "köstlichste Augenblick ihres ganzen Lebens". Auf Sallys Anregung wollten die Mädels einst einen Verein zur Abschaffung des Privateigentums gründen. Jetzt ist die eine mit einem Manchester-Kapitalisten verheiratet, die andere mit einem konservativen Abgeordneten. Statt Umsturz ist Repräsentation die heiligste Daseinspflicht geworden. Sehr dezent, gleichwohl ausdauernd, hadert Mrs. Dalloway mit ihrer Surrogat-Existenz als Salonlöwin. "Sie sahen aus; das war alles. Das genügte", resümiert die Gastgeberin über ihre Gäste. Marleen Gorris kümmert das wenig, sie interpretiert den Dalloway-Haushalt als perfekten Party-Service mit der Hausfrau als lampenfiebriger Zeremonienmeisterin.

Woolfs beißende Schilderung der egomanen, snobistischen Oberschicht wird auf das Markenzeichen "very british" gekürzt und bilderreich-süßlich verklärt. Das präsente Grauen des Ersten Weltkriegs erscheint in farbenfroher Zeitlupe, der durch ein Kriegstrauma wahnsinnig gewordene Septimus Warren Smith (Rupert Graves) wird mit hochgezogenen Schultern, braunen Schnürschuhen und gerunzelter Stirnhaut zum Negativ des fidelen Trottels Forrest Gump. Daß sein Horror vor der Vergangenheit kontrapunktisch zur glorifizierenden Rückschau der Mrs. Dalloway verläuft, daß es eine fiktive Schnittstelle gibt, an der sich Lebensüberdruß und Lebenssucht der beiden treffen, daß am Schluß der eine sich umgebracht hat und die andere lächelnd die Honneurs macht, bleibt für die filmische Textur bedeutungslos. Die Verdrängungsgewalt einer Gesellschaft, die ihre nicht bedingungslos funktionierenden Mitglieder am liebsten nach Übersee deportieren möchte, verhübscht Gorris zu einer rührselig-scheinheiligen Jeremiade. Motto: Bloß keine Experimente! Woolfs epochale Entwicklung der Romantechnik durch die Aufhebung von Raum und Zeit, Chronologie und Linearität ordnet Gorris wieder fein säuberlich in Reih' und Glied. Rückblenden, Erklärungen aus dem Off und sonstige filmische Binsen ersetzen das gefährliche Chaos der modernen Kunst wie der Wirklichkeit, die sie zu vermitteln sucht. Gescheiterte Hoffnungen, vergebliches Aufbegehren, die Bestürzung angesichts der eigenen Biographie finden sich in einer goldig gerahmten, heilen Leinwand-Nett-Welt wieder. Von den Anstrengungen der Figuren, dem drakonischen comme il faut auf Biegen und Brechen zu genügen, verraten die breitwandigen Aufnahmen nichts (Kamera: Sue Gibson). In dieser Filmsprache finden sich für die menschlichen Deformationen im Land, wo die Neurosen blühen, keine Vokabeln. Vanessa Redgrave in der Titelrolle, herablassend freundlich und wohltuend distanziert, spielt - ebenso die anderen Darsteller - wie in einem goldenen Regie-Käfig. Die hochprozentige Literaturverfilmungsandacht ruiniert Literatur und Film. "Was für ein Spaß! Was für ein Kopfsprung!", läßt Virginia Woolf ihre Mrs. Dalloway ausrufen, als sie am Morgen zum Blumenkauf aufbricht. Ach ja.

"Mrs. Dalloway". GB/NL 1997. R: Marleen Gorris. D: Vanessa Redgrave, Natascha McElhone, Rupert Graves, Michael Kitchen, Lena Headey. Start: 4. September