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Warum die Forderung nach einer Grundsicherung eine Antwort auf den Sozialabbau sein kann.

Das Problem vieler Linker und Autonomen ist nicht so sehr, die Welt zu beschreiben, sondern sie zu verändern. Unzählige Texte in Büchern und Zeitschriften sind in den letzten Jahren zum Thema Neoliberalismus erschienen - doch was fehlt, sind umsetzbare politische Handlungskonzepte.

Wenn überhaupt Kämpfe aufflackern, dann sind diese fast immer auf die Verteidigung des schlechten Bestehenden gegen weitere Verschlechterungen gerichtet. Daraus entsteht keine Kraft und Hoffnung. Statt der sozialen Frage wird nur Sozialabbau thematisiert.

Es lähmt, daß viele der Mobilisierten nur begrenzt zur Teilnahme (nämlich zur Verteidigung ihres Besitzstandes) motiviert sind, aber kein Interesse an einer generellen Diskussion über gesellschaftliche Reichtumsverteilung haben. Und es lähmt, daß im kollektiven Unbewußten fast allen klar ist, daß - solange die Logik und Sachzwänge der Herrschenden (wie Weltmarkt, Haushaltskonsolidierung, Standortkonkurrenz und Kapitalismus) nicht gebrochen werden - es zu den diversen Sparkonzepten keine Alternative gibt. Solange man die kapitalistische Logik nicht durchbrechen will, kann man auch als Linker nur anders sparen als die Neoliberalen.

Eine Möglichkeit, diese Lähmung zu lösen, ist die Forderung, daß alle eine Grundsicherung von mindestens 1 500 Mark plus Miete erhalten, ohne dafür zu irgendwelchen Gegenleistungen wie Arbeit gezwungen zu sein. "Alle" ist wörtlich gemeint, das heißt, bei diesem Modell müßten gleichzeitig alle AusländerInnengesetze abgeschafft werden.

Vielen Abwehrkämpfen gegen Sozialabbau hängt immer der Geruch an, daß es um die Verteidigung von Partikularinteressen geht. Dagegen könnte diese Forderung nach einer Grundsicherung eine gemeinsame Plattform all der versprengten Einzelinitiativen schaffen. Es wäre die Forderung nach einer öffentlichen Neuverteilung des privat angeeigneten Reichtums. Ein kurzer Realitätsabgleich zeigt: Die Nettokaufkraft pro Kopf der Bevölkerung betrug 1996 in der BRD 2 385 Mark.

Diese Forderung bewegt sich bewußt auf dem schmalen Grat zwischen real vorstellbar und völlig unrealistisch. So ist es möglich, eine grenzüberschreitende Phantasie zu provozieren und die Gesellschaft als Ganzes neu zu denken: Wieviel Reichtum ist vorhanden, und wie kann dieser eingesetzt und verteilt werden?

Eine Grundsicherung würde dem Kapitalismus eine seiner Grundlagen entziehen, die Existenzangst. Sie würde allen Menschen die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden, was sie wie für wen (re-)produzieren wollen. Außerdem würde sie zu einer Linderung der Konkurrenzsituation untereinander beitragen. Wenn zum Beispiel Frauen wenigstens materiell nicht mehr so abhängig sind, würde das ihre Stellung im Geschlechterkampf stärken. Dasselbe gilt auch für Flüchtlinge, Kinder und andere, bei denen materielle Abhängigkeiten eine Rolle spielen.

Es ist unsinnig und im Grunde konservativ, das alte Sozialstaatskonzept zu verteidigen. Dieses sah sozusagen als Belohnung für 45 Jahre disziplinierte Lohnarbeit mit Sozialversicherungsbeiträgen einige garantierte Sozialleistungen und Rente vor. Dieses Modell, der sogenannte fordistische Klassenkompromiß, ist heute passé und nicht mehr zu retten. Außerdem war der Sozialstaat immer auch Kontrollinstrument der Herrschenden und diente dazu, die Unangepaßten wieder in ein sogenanntes geregeltes Berufsleben zu integrieren.

Im Gegensatz zu diesem Sozialstaatsmodell würde eine Grundsicherung eine Entkoppelung von Existenzrecht und Lohnarbeit bedeuten. Lohnarbeit ist der Faktor, über den für die absolute Mehrheit der Menschen in den kapitalistischen Gesellschaften die innergesellschaftliche Verteilung eines Teils des Reichtums läuft. Selbst Arbeitslosengeld und Rente werden nicht nach den Bedürfnissen der Menschen bemessen, sondern sind an das vorherige Lohneinkommen gekoppelt. Wer keine lohnbewertete Arbeiten verrichtet, wie zum Beispiel Frauen im Reproduktionsbereich oder MigrantInnen in illegalen Arbeitsverhältnissen, fällt durch die Maschen des traditionellen sozialen Netzes. Doch selbst diese soziale Rest-Sicherung verschwindet immer mehr, denn der Arbeitsgesellschaft geht die Arbeit aus. Bis zu 80 Prozent der Weltbevölkerung werden im Prinzip für die kapitalistische Produktion nicht mehr benötigt (Rifkin, "Vom Ende der Arbeit"). Für viele Menschen ist es heute nicht mehr das drängendste Problem, ausgebeutet zu werden, sondern nicht ausgebeutet zu werden - nicht weil sie Lust auf Ausbeutung haben, sondern weil daran die Existenzfrage gekoppelt ist. Dagegen ist die Forderung nach einer garantierten Grundsicherung, die die Reichen bezahlen und die keine Variable von Lohnarbeit ist, auf der Höhe der ökonomischen Veränderungen.

Spätestens in den Zeiten des globalen Kapitalismus muß auch der Widerstand dagegen global denken und versuchen, alle internationalen sozialrevolutionären Initiativen mit einzubeziehen. Wichtig dafür wäre, die Forderung nach einer Grundsicherung in den Metropolen nicht auf ihren Geldwert zu reduzieren, sondern die dahinterliegenden Forderungen zu betonen. Es sind die nach ausreichender und guter Nahrung, nach kostenloser Gesundheitsversorgung, es ist das Recht auf Mobilität, das Recht auf Wohnraum, das Recht auf ein eigenes Stück Land und so weiter. Allerdings läßt sich sowohl in Europa als auch vielen anderen Teilen der Welt keine Gesellschaft mehr denken, in der jedeR seinen Subsistenzgarten betreibt. Überall beruht Gesellschaft zu einem gewissen Grad auf Arbeitsteilung und ist deshalb nur in Tauschkategorien vorstellbar. 1 500 Mark Grundsicherung plus Miete in Europa meint etwas sehr Ähnliches wie "Land und Freiheit" in Mexiko.

Der Autor lebt in Berlin und bewegt sich in libertären autonomen Zusammenhängen.