Heute: Nichten

Die Nichten sind jetzt in einem Alter, in dem sie nicht mehr kleine Stofftierchen als Geburtstagsgeschenke mitbringen ("Ist der nicht süß, Tantchen?"), sondern tonnenschwere, mit Leopardenfell bezogene Sonnenbrillen-Etuis, die, wenn man sie zuklappt, alle in der Nähe herumlungernden Personen zusammenzucken lassen. Im letzten Jahr bekam ich einen Handventilator, den man mit wenigen Handgriffen zu einem Mixer umbaut, womit man dann in einer halben Stunde ein Sechzehntel Liter Sahne vielleicht steifschlägt. Ich habe es aber noch nicht probiert.

Diesmal hat die jüngste Nichte ein riesiges Plastikauge mitgebracht, das man auf einem Tisch herumrollen lassen kann, falls man sowas tun möchte. Ich solle mir wegen des Preises keine Gedanken machen, sagte sie tröstend, sie habe es sowieso im Laden geklaut, wo sie in den Ferien jobbe. Ich werde das Auge wohl in mein Büro mitnehmen. Die Kolleginnen haben schon ein paarmal reingeguckt und nachgefragt, ob ich nicht ein Poster reinhängen will oder ob sie mir Topfpflanzen reinstellen sollen, damit es etwas persönlicher aussieht. Das Auge wird mich hoffentlich rausreißen. Persönlicher geht's ja wohl nicht.

Die Nichten sind auch aus dem Alter raus, wo sie sich für die Bahnfahrt eine Bravo kaufen. Sie kaufen jetzt eine Amica mit dem Sonderheft "100 Singles zum Verlieben". Darin suchen 33 Frauen und die doppelte Anzahl von Männern, welche Frank und Andreas und Oliver und Boris heißen und alle in lustigen Posen abgebildet sind, einen "Partner".

Während die Nichte auf meinem neuen Computer Solitaire spielte und ihn hoffentlich nicht kaputt gemacht hat, sah ich alle Interviews durch. "Das kann doch wohl nicht wahr sein", sagte ich schockiert, "hast du das gesehen?" Auf die Standardfrage nach der Vorstellung von einer "idealen Nacht" hatte Andreas aus Dorsten geantwortet: "Locker rein, locker raus." Ich lese es ihr vor. Sagt sie: "Gott, muß der ein kleines Ding haben." Das hätte ich nie gewagt zu meiner Tante zu sagen. Allerdings hätte ich meiner Tante sowas auch nicht vorgelesen.

Außerdem führte mir die Nichte beim Essen in einem Restaurant, das ich so bald wohl nicht wieder aufsuchen darf, noch eins zu eins komplette Talkshows aus dem Fernsehen vor, sogar inklusive der durchlaufenden Untertitel ("Sabine trieb es mit Julia"). Meistens war es eine Sendung, die "Wildfang" hieß, die ich aber Gott sei Dank in meine Fernsehkiste nicht reinkriege.