Das Lächeln der Diana

Vom Verschwinden des Realen im Mythos.

Der Religionswissenschaftler Klaus Heinrich schreibt, daß Faszinationsgeschichte die Dimension der Realgeschichte sei, in der sich die Gattung über ihre eigenen Bedürfnisse auf dem Stockenden halte. Das mit dem "Stockenden" ist schwer zu verstehen, angesichts von 2,5 Milliarden Menschen, die in fast 200 Ländern die Beerdigungsfeierlichkeiten für Lady Diana Spencer, Princess of Wales, am 6. September live mitverfolgt haben. Fragt man sich aber, warum die ARD und das ZDF nonstop acht Stunden nur dieses eine Thema hatten, dann wird das schon klarer: "In dem, was fasziniert durch die reale Geschichte hindurch, sind unerledigte Konflikte, nicht ausgetragene Spannungen, in den nicht gelösten Problemen jeweils präsent." (Heinrich)

Frei nach Roland Barthes könnte man sagen, daß mit der Gestalt "Lady Di" Fiktion und Alltagswirklichkeit ikonographisch miteinander versöhnt werden sollten. So entstand die bildliche Vorstellung vom Aschenputtel, vom glanzvollen Könighaus, vom königlichen Traumprinzen - doch als eben diese Märchen sind sie ausschließlich Produkt der real existierenden Massenmedien. Im Laufe der 16 Jahre, seit eine pummelige Kindergärtnerin das Licht der Öffentlichkeit als Verlobte des britischen Thronfolgers erblickte, ist soviel über diese Frau geschrieben worden, daß Fiktion zur Realität wurde.

Eine weitere Botschaft des Mythos ist eine ebenso versöhnliche. Auch wenn gerade ein Regierungswechsel in Großbritannien stattgefunden hat, hängt doch noch der Thatcherismus mit all seinen unsäglichen Folgen an diesem Mythos. Gegen die Verelendung und Verrohung einer Gesellschaft wurde "Lady Di" zum Synonym für Menschlichkeit, Zugewandtheit, für soziales Empfinden. Das Lächeln der Diana ist die Idee vom Funktionieren dieser Unvereinbarkeiten ohne eine politische Lösung.

Damit die Ikone "Diana" wirkt, muß sie soviel Bekanntes bieten, daß sie im eigenen Denk- und Bezugssystem Platz hat, aber auch soviel Fremdes und Entferntes bewahren, daß sie nicht ganz gleich gemacht werden kann. Durch das, was die Medien und sie selbst mit Hilfe der Medien über ihre eigene Geschichte veröffentlichten, eignete sich "Lady Di" hervorragend dafür, stellvertretend zu leben. "Sie" kannte "unsere" Ängste vor HIV-Positiven und Obdachlosen. "Sie" wußte, wie "wir", um die Freuden und Leiden der Bulimie und des Drogenmißbrauchs. "Sie" teilte mit "uns" das Mitleid für hungernde Kinder. Untersuchungen zur Fernsehserie "Dallas" hatten gezeigt, daß die hier verhandelten Konflikte so alltäglich und gewöhnlich gehalten wurden, daß den ZuschauerInnen quasi umsonst Lebenhilfen im Austragen ihrer Konflikte geboten wurden. In diesem Sinne wurde die Figur Diana Spencer in den Medien zum Serienstar.

Weil die Princess of Wales nicht so aggressiv wie Madonna ihre Mediengestalt zelebrierte, konnte man aus ihr ein Opfer der Medien machen. Es gibt eine völlig verrückte Situation, die in der Woche nach ihrem Tod immer wieder im Fernsehen gezeigt wurde. "Lady Di" - oder war sie da bloß Diana Spencer? - versucht, den Fotografen auszuweichen und verbirgt ihr Gesicht hinter einen Tennisschläger. Als Schläger und Kamera ihres Lieblingsfeindes, des Fotografen Mark Saunders, aufeinanderstoßen, stöhnt sie unwillig auf. Beinahe gleichzeitig sieht man, wie von rechts ein kleines Mädchen mit einem Blumenstrauß kommt, den Diana lächend entgegennimmt. Recto und verso - Zwei-in-Einem -, Waschmittel und Weichspüler, "Presse" und "Paparazzi" koalierten hier hervorragend.

Der Windsor-Biograph Anthony Holden erklärte: "Sie lebte von der Presse und starb durch die Presse." Lady Diana Spencer, Princess of Wales, starb am 31. August 1997 um vier Uhr morgens - auf der Flucht vor Paparazzi heißt es. "Paparazzo" ist eine Worterfindung von Federico Fellini für einen Fotoreporter, der auf seiner Vespa Berühmtheiten hinterherjagt. Seit "La Dolce Vita" hat diese Zunft ihren Namen. "Il papero" ist der Ganter und im übertragenen Sinne der Dumpfkopf und Einfaltspinsel. "A paperi" heißt, "den Bock zum Gärtner machen". Das Ende dieser Geschichte ist ein klassisches Bild: die schöne Leiche. Laut Bunte berichtete ein Augenzeuge: "Ihr Gesicht blieb beim Unfall fast unversehrt. Selbst im Tod war sie noch schön". In den Widersprüchen um die (noch) ungeklärten Ursachen des Unfalls nährt sich der Mythos "Diana" von denjenigen JFKs und Marilyn Monroes.

Ein anderes Muster der Sinngebung eines plötzlichen Todes wurde seit dem Tag des Unfalls unisono in den Medien bedient und verdichtete sich zusehends: Das gesamte 36 Jahre dauernde Leben Diana Spencers war eine Folge von Unglücken, es war geradezu auf dieses finale Autowrack hingelebt ("wie bei James Dean"). Was dieser Mythos nicht verträgt, ist, mit dem Schrecken der Realgeschichte - sprich: dem versehrten Unfallopfer - konfrontiert zu werden. Anfang August brachte die Zeitschrift Gala ein Story zu Romy Schneider, "Die verzweifelte Suche nach Liebe", die in der "offiziellen" Todesursache Herzversagen endete. Die Berliner Zeitung läßt am 1. September ihren Artikel zum "kurzen Leben der Lady Di" mit den Worten enden: "Den letzten Blick auf die Prinzessin vor ihrem Tod warf der Unfallchirurg ... Er sah eine beträchtliche Verletzung ihres Herzens". Glücklose Liebe und früher Tod gehören zu modernen weiblichen Mythengestalten.

Wayne Koestenbaum schreibt in seinem Buch über "Jackie O.": "Es ist verführerisch leicht, zu vergessen, daß eine Ikone eine Idee und keine Person ist." Die Idee "Lady Di" aber wurde nicht erst vor 16 Jahren geboren. Sie setzte sich aus dem zusammen, was an Weiblichkeitsmythen der jüngeren Vergangenheit schon vorlag. Beinahe übermächtig biete sich der Vergleich mit "Jackie O." an. Beide ließen sie sich z. B. alleine vor dem Tadsch Mahal fotografieren, als betrogene Ehefrauen mächtiger Männer vor "dem" Monument der Liebe. "Jackie O." hat 1961 vorgemacht, wie man Anklage und Selbstinszenierung mit einem einzigen Bild formuliert. "Lady Di" hat es genau 30 Jahre später ebenfalls einzusetzen gewußt. Beide sahen ihre Kleidung "als Allegorie ihres Inneren interpretiert" (Koestenbaum). Ein wunderbares Beispiel für den Einsatz der Kleidung ist das "kleine Schwarze", mit dem Diana Spencer - völlig overdressed - am Tag des Enthüllungsinterviews ihres Noch-Ehemanns im Juni 1994 bei einer Ausstellungseröffnung erschien. Nicht etwa, weil sie, so entblößt, wie es der Anstand noch gebietet, sich in aller Öffentlichkeit ihrem Ehemann als Sexobjekt anbot, sondern weil es kurz zuvor von der Geliebten von Prinz Charles, Camilla Parker Bowles, ein Foto gab, wo diese in einem fast identischen Kleid zu sehen war. "Diana" stellte Bilder zum Vergleich. Das reichte, um den Ehemann als Hanswurst dastehen zu lassen und die Rivalin als häßliche Ente.

Gegen diesen gezielten Einsatz ihres Medienkörpers wird die demonstrative Schüchternheit der "Königin der Herzen" gestellt. Diese hat ein visuelles Zeichen in dem (entnervend) ständig leicht geneigten Kopf und dem Blick von unten nach oben. Angelica Huston hat in "Die Ehre der Prizzi" den Sinn dieser Geste vorgeführt. Es ist die der Tochter, die Unterwürfigkeit spielt und auf Rache sinnt.

Die Frankfurter Rundschau zitierte am 2. September ein Kondolenzschreiben inmitten des Blumenmeers vor dem Kensington-Palast, in dem behauptet wird, die Princess of Wales sei "als Heilige gestorben". Diese Zuschreibung ist deshalb so naheliegend, weil sie in den Medien systematisch erzeugt wurde. Nicht durch die Berichte über ihre sozialen und karitativen Arbeiten, sondern durch Bilder, der verklärt aufwärts schauenden Lady. Eins dieses Bilder vereint die Heiligkeit mit dem dafür unerläßlichen Zubrot an Märtyrertum, aufgenommen 1991 in Toronto. Die Hände gefaltet, den Blick gen Himmel gewandt, sitzt "Lady Di" neben ihrem griesgrämigen Ehemann. Der Blickpunkt des Fotografen ist so gewählt, daß die Kopfstütze des Stuhls sich beinahe wie ein Heiligenschein um ihren Kopf legt. Und hätten die Medien nicht schon genug Futter, mußte ihr das Leben auch noch den Tod der anderen Ikone der Nächstenliebe, Mutter Theresa, in die Hände spielen.

Das letzte offizielle Foto von Patrick Demarchelier zeigt, mit welchen Mitteln am Mythos gearbeitet wurde. An der locker über der Armlehne hängenden Hand trägt "Diana" den Verlobungsring von Prinz Charles und darunter den Ehering. Im jungfräulichen Weiß der Braut, behauptet die Princess of Wales ihren dynastischen Platz als Mutter des Knaben, der einst den Thron des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Nordirland besteigen wird. Aschenputtel läßt sich nicht zum Erbsenzählen zurückschicken.

Horst Eberhard Richter sagte im ZDF am Tag der Beerdigung, es sei nichts Schlechtes daran, Mythen zu haben. Und wenn "diese schlichte Person" einen Mythos leben läßt, der "den Kern von Menschlichkeit enthält", könne er zum Nachdenken und zur Veränderung anregen. Die "Prinzessin des Volkes" nun auch Gründungsopfer, Allegorie einer modernen britischen Monarchie?