Gefahr aus dem Westen

Gefährliche Orte IV: Noch schlimmer als die Mücken - Focus-Leser bald überall in Berlin!

Während die Berliner Zeitung sich noch alle Mühe gibt, New York in Berlin zu suchen, sich dafür gar im Morgengrauen - vergeblich! - einen Hubschrauber mietet, hat die Zeitschrift Focus New York längst gefunden. Natürlich auch in Berlin. Wo sonst? Und da auch gleich überall. "Da machen wir doch eine Serie draus!" weist der Markwort seine Untergebenen an, und die Gestaltungsabteilung hat auch flugs ein Logo kreiert, das auch gut auf den Briefkopf des Berliner Landesverbandes der Polizeigewerkschaft passen würde. Die hatte sich auf Anraten einer anderen deutschen Zeitschrift vor kurzem bekanntlich New York tatsächlich nach Berlin geholt. Und zwar in Person des Supercops William Bratton. "Gebt mir sechs Monate und eine halbe Million Dollar", forderte dieser von der B.Z., um aus Berlin New York zu machen. Erstmal nur rein kriminalitätstechnisch. Auf anderen gesellschaftlichen Feldern sind da ganz andere Summen und Zeiträume im Gespräch. Was mag z. B. allein der Hubschrauberflug gekostet haben? Und wie lange hat der gedauert? Michael Maier, Chefredakteur der New-York-B.Z., verrät es uns nicht. Dafür verraten uns Markworts Mannen alles, was wir noch nie über Berlin wissen wollten.

Berlin, das ist nämlich "das deutsche New York", darum eben auch ein "Sündenbabel", soviel ist klar, aber womit füllt man die restlichen 13 Seiten der Serie "Superstadt Berlin"? Harald Juhnke findet, daß "Berlin fasziniert", Volker Hassemer macht hier eine "neue Lebendigkeit" aus und Peter Schwenkow darf behaupten: "In Berlin wird das New York Europas entstehen." Und das schon "spätestens in vier Jahren". Darum ist Berlin nämlich jetzt noch die "Mega-Baustelle", damit hier später die "Superstadt" entstehen kann. Ein echter "Hexenkessel" eben. Wie New York eben.

Klaus-Rüdiger Landowsky geht noch weiter. Nicht nur New York hat er im Blick, sondern "quasi eine emotionale und intellektuelle Brücke zwischen New York und Moskau"! Soviel Innovation hat auch sein Partner im Streitgespräch, "Ost-Poet" Lutz Rathenow, nur wenig entgegenzusetzen: "Das klingt schön."

Ist es aber nicht. Folgte der Weg von New York nach Berlin bei der Diskussion um Kriminalität und Kriminalitätsbekämpfung noch einer einigermaßen rationalen Route, tauchen wir nun im kulturellen Diskurs vollends ins Metaphysische ab. Immerhin versuchte sich die Berliner Zeitung noch in der Indiziensuche, aber nur, um dann die Beweisaufnahme erfolglos abzubrechen und weiterhin so zu tun, als sei sie eine Stadtteilbeilage der New York Times. Das Magazin Max hat das in seinem Berlin-Special vom März ehrlicherweise gar nicht erst versucht und einfach nur hübsche, bunte Bilder abgedruckt. Das sah zumindest noch gut aus und konnte auch getrost auf den New-York-Vergleich verzichten.

Nun kommt Focus daher und schickt uns seine Leser auf den Hals. Während die bislang hilflos auf dem Kudamm herumstanden, sind sie nun angehalten, "Manhattan in Mitte" zu suchen. Mit den Tips zum Nachtleben ("Weltstadt-Niveau") ausgerüstet, dringen sie ins bisher recht friedliche Kreuzberg vor. Das bedächtige Morena steht ebenso auf der Schwarzen Liste wie das arme SO 36, und an welchem trunkenen Abend die Focus-Praktikanten in der Zyankali-Bar "Schlager, Kirschbier, Grusel (täglich)" vorgefunden haben, bleibt ein Rätsel. Der ausführliche Bericht über "die tanzende Hauptstadt" ("Gelage und Tanzorgien") erwartet uns aber erst in Folge zwei. Dabei kostet der billigste Flug nach New York zur Zeit nur 590 Mark. Zuzüglich Steuer und Flughafengebühr, versteht sich.

Doch schon jetzt dürfen die Benutzer von Focus-Füllfederhaltern die ansonsten eigentlich unbedenkliche Markthalle in Kreuzberg besuchen. Das ist nicht schön, und man ist versucht, am Ende doch William Bratton zuzustimmen, wenn er ein härteres Eingreifen gegen sogenannte quality-of-life-crimes fordert. Auch Landowsky hat sich seinen Reim darauf gemacht: "Kriminalität bedroht die Lebensqualität." Innensenator Jörg Schönbohm zieht endlich die Konsequenz und stellt schnelle Eingreiftruppen auf, die in den Lokalen jeden Schwätzer am Nebentisch sofort verhaften. Am hellichten Tag.

Zum Beispiel diese drei aus der Markthalle:

1: "Na gut, das mit den Fotos ist kein Problem, das machen wir heute nachmittag. Die Abzüge sind schließlich schon gekommen."

2: "Und den Text schaffen wir heute auch noch. Ich hab da gestern schon mal eine Objektbeschreibung vorbereitet. Das muß nur noch ausformuliert werden."

3: "Ja, ich glaub auch, das wird eine gute Sache. Ah, die Karte."

1: "Hm. Huhn wäre nicht schlecht."

2: "Ich glaube, ich nehme einen Salat. Geht schneller. Bauernsalat mit Schafskäse."

1: "Das mit dem Tagesgericht sieht ja etwas kompliziert aus. Ob das auch ohne Vorspeise geht?"

3: "Was denken Sie eigentlich, hat Berlin Zukunft?"

2: "Ja, auf jeden Fall."

1: "Und wenn erst die Regierung da ist."

3: "Ja, aber im Moment, da sind die Preise doch total im Keller."

2: "Aber Sie sehen doch, was hier alles gebaut wird. Ich war neulich auf der Baustelle von Butzkow, und der Bauleiter da, der sagte mir, daß ..."

1: "Wenn erst die Regierung kommt, dann geht's hier erst richtig los. Das ist ja nur eine Flaute jetzt, die Ruhe vor dem Sturm sozusagen. Der ideale Zeitpunkt zum Kaufen, sage ich immer. Wer jetzt nicht zugreift, der ist selber schuld. Der darf sich dann auch später nicht ärgern."

3: "Ja, Hallo, ja, ähm, ein Mineralwasser bitte. Mit wenig Kohlensäure. Und einen Espresso."

2: "Ich möchte einen Salat. Oder nein, das Tagesgericht, das Huhn mit Reis. Aber geht das auch ohne die Suppe?"

1: "Ja, genau. Huhn an Reis bitte. Aber wir haben es etwas eilig, wie lange dauert das denn? ... Ja, können Sie mal fragen?"

2: "Und überhaupt Berlin. Das war ja immer ein unterbewerteter Standort. Früher. Jetzt sind wir hier aber auf dem Weg zur Metropole."

1: "Wie in London. Es fehlt nur noch die Regierung. Und das ist ja auch nur noch eine Frage der Zeit. Aber das geht hier alles etwas zu langsam. Da fehlt jemand, der so richtig zupacken kann. Die Sache mal etwas schneller voranbringt."

2: "Aber Sie sehen doch, was hier alles getan wird. Der Potsdamer Platz. Da war ja früher nur Wüste. Und heute! Gerade im Osten, da hat man ja einiges nachzuholen gehabt. Das geht doch nicht einfach so von heute auf morgen. Rom wurde ja auch nicht ..."

1: "Aber man darf so eine Chance nicht verschlafen. Berlin hat doch jetzt die Möglichkeit, eine richtige Metropole zu werden. Bei der Lage. Mitten in Europa. Die Drehscheibe zwischen Ost und West ... Was? Eine Viertelstunde? Das geht ja überhaupt nicht. Das können wir uns gar nicht leisten. Und ohne Suppe, geht das dann vielleicht schneller? ... Fragen Sie doch mal. Und wieviel kostet das dann weniger? ... Was? Derselbe Preis? Nein, warten Sie, wie lange brauchen Sie denn dann für einen Salat? Das geht doch sicher etwas schneller? ... Ja, okay, dann nehme ich einen Salat. Den Bauernsalat. Mit Schafskäse."

2: "Für mich auch bitte. Und eine Diät-Cola ohne Eis."

3: "Naja, das Objekt am Alex gefällt mir eigentlich ganz gut."

1: "Ja, ganz wunderbar, die Lage, also mitten in der Stadt und doch ganz ruhig."

2: "Also am besten gefällt mir die Dachterrasse. Ein unglaublicher Ausblick. Da meint man, man wäre in New York ... Ich muß schon sagen, da hab ich mich schon fast in das Objekt verliebt."

Beepdeedledeep. Beepdeedledeep. Beepdeedledeep.

1: "Ja. Mhmm. Mhmm. Mhmm. Right, right, das ist überhaupt kein Problem ... Ja, okay ... Ja gut, sagen wir so gegen 14 Uhr. Gut, Schahau."

2: "Ja, wie in New York. Und es ist hier ja auch so voller Leben."

1: "Wußten Sie, daß es in Berlin sogar ein Lokal gibt, in dem man nachts um zwölf noch frühstücken kann?"

3: "Ja, das gibt's in Stuttgart sicher gar nicht."

2: "Nein, bestimmt nicht."

1: "Wie in New York eben. Waren Sie eigentlich mal da?"

2: "Wo?"

1: "New York."

2: "Nein, Sie denn?"