Der Staat wird’s richten

Debatte: Das Leipziger Bündnis gegen Rechts kann sich nicht über die Repression gegen Neonazis während der Heß-Gedenkwochen freuen

Hausarreste, Vorabfestnahmen, Drohschreiben, Demonstrationsverbote - anläßlich der Heß-Aktionswochen im August dieses Jahres sahen sich die Nazis mit einem rigoros vorgehenden Polizeiapparat konfrontiert. Von seiten der Linken und der Antifa wurden diese Maßnahmen hingenommen, ein Aufschrei blieb aus. Wieviele Antifas die Repression mit Häme und Genugtuung von einer Party oder vom Strand aus zur Kenntnis genommen haben, wissen wir nicht. Sicher ist, daß es so einige waren, die mit großer Schadenfreude zuschauten, als den Nazis ihre Aufmärsche und sonstigen Aktionsversuche richtig verdorben wurden.

Die angewandten Mittel sollten jedoch von Antifas, die ihre linke emanzipatorische Einstellung nicht über Bord geworfen haben, sehr mißtrauisch beäugt werden. Schließlich darf die Tatsache, in diesem Land als Antifas schon immer einer schwindenden Minderheit anzugehören, nicht dazu verlocken, der staatlichen Repression Positives abzugewinnen. Die Konsequenz wäre eine Selbstaufgabe schwer errungener Prämissen libertärer Politikformen, ohne die eine Antifa-Bewegung heute nicht mehr gedacht werden darf - allein schon, weil sie den Anspruch erhebt, aus der Geschichte gelernt zu haben.

Die von vielen mit dem Schlüsseldatum 1968 verbundenen Zivilisierungsansätze konnten selbst durch den sogenannten Deutschen Herbst 1977 nicht grundlegend erschüttert werden. Trotz aller Hysterie und Lynchlust seitens der übergroßen Bevölkerungsmehrheit und des Staates existierte ein ausgeprägter liberaler Gegenpart, der das endgültige Abgleiten des bürgerlichen Gemeinwesens verhindern konnte.

Doch mittlerweile ist Entscheidendes passiert. Was vor 1989 als kritische Öffentlichkeit bezeichnet wurde, gibt es heute nicht mehr, da tatsächlich niemals eine unerschütterliche Verinnerlichung bürgerlicher Ideale in Deutschland vorhanden war. Statt dessen ziehen dieselben Leute jetzt gegen ein konstruiertes Feindbild der political correctness zu Felde, weil sie dem Populismus, angebliche Tabus zu brechen, mehr abgewinnen können als der Verteidigung bürgerlicher Emanzipation zum Citoyen.

Verbunden damit, kippte bei der kleinen liberalen Öffentlichkeit auch das Toleranzempfinden gegenüber Minderheiten in eine Solidarisierung mit dem Volks-Mainstream um. Was man für eben diese liberale Öffentlichkeit hielt, verschwand. Sehr gut ist diese Entwicklung an den bellizistischen Anwandlungen hinsichtlich Ex-Jugoslawiens zu sehen.

Was wir heute erleben, ist das ungestörte Zusammenspiel von Volkswille, Politik und Medien - ohne relevantes Gegenüber. Das trifft traditionell zunächst die ohne deutschen Paß, dann alle, die dem deutschen Wertemodell nicht entsprechen und zu guter Letzt auch jene, deren geschwundene Relevanz sie bislang vor größerer Repression bewahrt - die Linken.

Woraus erklärt sich nun aber das repressive Vorgehen gegen Nazis, schließlich ist doch deren Zusammenspiel mit dem Staat spätestens bei der Abschaffung des Asylrechtes dutzendfach belegt worden? Bei der Betrachtung sollte klar sein, daß die (organisierten) Nazis staatlicherseits derzeit nicht explizit gebraucht werden. Die Stimmung in Deutschland ist ausreichend zugespitzt, um einschneidende ordnungspolitische Veränderungen vornehmen zu können - von Bedeutung sind hier eher die vielen rassistischen "Einzeltäter", die bei Überfällen und Pogromen aktiv sind. So geht die Hauptsorge des Staates dahin, sich beim Anspruch auf das Monopol der rassistischen Praxis nichts aus der Hand nehmen zu lassen. Wer das dennoch, wie die Nazis, im eigenen Interesse versucht, legt sich zu seinem eigenen Schaden mit dem Staat an.

Die Angriffe gegen Nazis sind eingebettet in den Versuch, via Ordnungspolitik einen repressiven Präventivstaat zu errichten. Neben Flüchtlingen und anderen Nicht-Deutschen gibt es dafür derzeit kaum ein besseres Betätigungsfeld. Dieser Präventivstaat wird den Normal-Bürger kaum stören. Wohl eher ist das Gegenteil der Fall: Der Mehrheit kann es nie repressiv genug zugehen. Nicht zuletzt erklärt sich so auch der Beifall bei staatlichem Vorgehen gegen Nazis. Fatal wird es allerdings, wenn sich Antifas genau dort einreihen. So drückt sich eine latente Affinität zum Staatskonformismus aus, die nichts anderes befördert als Inaktivität von Antifas.

Bei der Betrachtung staatlicher Repression gegen Nazis sollte folgendes grundlegend sein: Wenn sich Antifas auf den Staat verlassen, wird dieser hinsichtlich des autonomen antifaschistischen Verständnisses zum Erfüllungsgehilfen der Antifa (und nicht etwa umgekehrt, wie es die Nazis gerne sähen). Die Konsequenz ist fatal: Die Antifa-Bewegung stagniert nicht nur, sie geht ein. Es steht zu vermuten, daß der Staat dies durchaus erkannt hat. Das könnte ein - wenn auch kleiner - Aspekt beim repressiven Vorgehen gegen Faschos sein. Schwerer wiegt da natürlich das deutsche Ansehen in der Welt. Großmäulig gegen Nazis vorzugehen, die den Hitler-Stellvertreter öffentlich ehren wollen, garantiert gute Publicity für den Standort Deutschland.

Ungeachtet des Repressionsobjektes sollte sich linke antifaschistische Kritik vehement gegen die Durchsetzung eines Polizeistaates richten, wie wir ihn anläßlich der Heß-Aktivitäten zu Gesicht bekommen haben. Wer diese Kritik nicht einbezieht, verspielt den wichtigsten Trumpf der antifaschistischen Bewegung - die antiautoritäre Selbstorganisierung, eingebettet in ein Umfeld wider die Staats- und Volkskonformität.