Nicht nur gedillidallit

Bertolt Brechts Zusammenarbeit mit Elisabeth Hauptmann: Sabine Kebir widerspricht der Fuegi-These "Sex for Text" und plädiert für den Kollektivcharakter ihrer Arbeiten

Vom "armen B. B." hat Bertolt Brecht selbst geschrieben; von seinen ganz armen Frauen allerdings berichtet unaufhaltsam eine Phalanx kühner Schriftgelehrter aus dem Fachbereich "Intimes". Als erstaunlichen "Herrensport" in Sachen "strenger feministischer Blick auf Brecht" bezeichnet Sabine Kebir diese Tätigkeit, bei der es darum geht, möglichst viel schmutzige Wäsche aufzuspüren, um diese anschließend - vorgeblich politisch korrekt - zu durchwühlen und öffentlich auszuwerten.

Das Spektrum der Waschweiber reicht von "Linken wie Peter Weiss und Klaus Theweleit über Liberale wie Fritz Raddatz und Carl Pitzker bis hin zum neoliberalen Puritaner John Fuegi". Dessen Diagnose lautet "Sex for Text". Fuegis Methode stützt sich auf die extrem wissenschaftliche Kategorie des Abzählens, er "analysiert die Texte gar nicht mehr auf ihren objektiven Gehalt hin, sondern beschränkt sich auf Angaben der Art, daß in einem Stück wieder viele Huren und/oder Verbrecher vorkämen. Damit ist nur ein puritanischer Fingerzeig auf die charakterliche Verworfenheit von Brecht beabsichtigt." Literaturwissenschaft als Kreuzweg für Voyeure zwischen Cochonnerie und Selbsterfahrung: Das verheißt auch für die zu Opfern stilisierten Brecht-Mitarbeiterinnen, die man zu rächen vorgibt, nichts wirklich Gutes.

Weniger boulevardesk, dafür kenntnis- und faktenreich verfährt Sabine Kebir in ihrem Buch "Ich fragte nicht nach meinem Anteil", einer genauen Analyse der Arbeit Elisabeth Hauptmanns mit Bertolt Brecht. Kebir stützt sich weitgehend auf Selbstzeugnisse und speziell auf Tonbandaufzeichnungen, um die sich bislang niemand kümmerte. Letztere entstanden in Vorbereitung des Films "Die Mit-Arbeiterin", den das DEFA-Dokumentarfilmstudio 1972 für das Fernsehen der DDR produzierte (Regie: Karlheinz Mund). Aus Kebirs historisch differenzierender Perspektive kann "Hauptmann als eine Pionierin jener Frauengeneration nach dem Ersten Weltkrieg betrachtet werden, die mit der Erringung des Wahlrechts sowie neuen Möglichkeiten der Berufsausübung und des politischen Engagements auch sexuelle und künstlerische Emanzipation leben wollten".

Geboren 1897 im westfälischen Provinznest Peckelsheim, absolviert Elisabeth Hauptmann eine Ausbildung als Lehrerin und arbeitet in einem Lyzeum in Linde an der polnischen Grenze. Der Bruch mit dieser zeitgemäßen, typisch weiblichen Biographie erfolgt bereits 1922, als sie ihren Beruf aufgibt und nach Berlin zieht, um zu studieren und literarisch tätig zu werden. Das nötige Kleingeld verdient sie als Sekretärin, sie übersetzt aus dem Englischen und Amerikanischen, schreibt eigene Geschichten für Zeitschriften. Ende 1924 lernt sie bei einer Freundin zufällig den bereits relativ bekannten Jungdichter Bertolt Brecht kennen, damals Dramaturg am Deutschen Theater. Die literarische Zusammenarbeit der beiden endet erst mit Brechts Tod. Wie lange das sexuelle Verhältnis dauert, ist nicht bekannt. Das "Sie" bleibt, bis auf wenige Ausrutscher, die übliche Anredeform. Brecht ist in ihrer ersten Zeit noch mit Marianne Zoff verheiratet und lebt in offener Beziehung mit Helene Weigel, die gerade ein Kind von ihm bekommen hat. Trotz seiner konsequenten Polygamie und der vorgefundenen Verhältnisse begibt sich Hauptmann gleich in das, was Fuegi wahrscheinlich Brechts Harem nennen würde, und dem immer auch Männer (unter anderem Emil Burri, Lion Feuchtwanger, Slatan Dudow, Benno Besson) angehören.

Im eminent wichtigen Stab für die "fundamentale Zusammenarbeit bei der Textherstellung" (Kebir) war Elisabeth Hauptmann Brechts langjährigste und wahrscheinlich effektivste Mitarbeiterin: "Brecht hat gewußt, daß man heute, wenn man ein Stück schreibt, sehr viel wissen muß. Er hat mal eine Keuner-Geschichte geschrieben, die darauf abzielt: Die meisten Menschen sind nicht imstande, etwas Größeres zu bauen als eine Hundehütte, weil sie allein bauen wollen." (Hauptmann)

Ihre Arbeit besteht in kontinuierlicher sprachlicher wie dramaturgischer Auseinandersetzung, in Stoffsuche, Anregung, Kritik und Diskussion. Sie erzählt Brecht Anfang 1928 von John Gays "Beggar's Opera" und liefert ihm die Übersetzung, auf der die "Dreigroschenoper" beruht, die ein Welterfolg wurde. Weniger glückreich ist das Nachfolgestück "Happy end", von Hauptmann nach einer Fabel Brechts verfaßt (Musik wieder von Kurt Weill). Später macht sie ihn auf die japanischen No-Stücke aufmerksam, die sie aus dem Englischen übersetzt und auf die sich Brecht für seine "Lehrstücke" bezieht.

Trotz alledem verschwindet Elisabeth Hauptmann zunehmend, ebenso wie die anderen Mitarbeiterinnen, Margarete Steffin, Ruth Berlau, Isot Kilian, im Schatten des großen Meisters. Aus der Produzentin ist eine Lieferantin geworden, die, wenn sie überhaupt noch selbst publiziert, meist Pseudonyme benutzt. Warum Hauptmann ihre literarischen Ambitionen bald nach der Begegnung mit Brecht nur noch halbherzig verfolgte, hat verschiedene Gründe. Sie sind so vielfältig wie Schuldzuweisungen einfältig. Nach eigenen Worten hätten die hohen Maßstäbe, die sie sich bei Brecht angeeignet hatte, eine gewissen Blockade für ihre schriftstellerische Entwicklung dargestellt.

Im kollektiven Arbeitsprozeß hatte sie zudem eine Möglichkeit zur künstlerischen Artikulation gefunden, die der Kunstmarkt einer unbekannten, weitgehend mittellosen, ästhetisch avancierten, politisch links stehenden Frau schwerlich geboten hätte. Selbst die wohlsituierte Anna Seghers, mit "sicherem Gefühl für die Realitäten im Literaturbetrieb" (Kebir), hatte ihr Manuskript "Aufstand der Fischer von St. Barbara", später mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet, nur unter dem "geschlechtsneutralen" Familiennamen und ohne Vornamen eingereicht. Im übrigen zweifelte Hauptmann stets an ihrem Talent: "Wäre die Begabung so stark gewesen, wäre da wirklich was geworden? Ganz große Begabungen lassen sich ja, glaube ich, gar nicht unterdrücken, vielleicht eine Zeitlang."

Nach Brechts Tod gibt sie die Werke heraus, leitet die Edition der Gesammelten Werke sowie zahlreicher Einzelausgaben und Sonderbände im Suhrkamp- und Aufbau-Verlag. Für die eigene Arbeit fehlt ihr die Zeit, auch die Entschlossenheit.

Das hat Elisabeth Hauptmann zwar konstatiert, doch nicht weiter beklagt, gewiß auch aus dem Engagement für die "dritte Sache", die Brecht und die Seinen verband. An dieser politischen Utopie scheitert Fuegis gruppendynamische These "Sex for Text" endgültig. Daß die kollektiv angestrebte Veränderung der Welt nicht nur für das Theater und den Stammtisch relevant sein sollte, sondern bereits das Privatleben definierte, widerlegt die Mär vom blutsaugerischen Dichter und seinen willfährigen Opfern. Brecht, der den dialektischen Widerspruch als literarische Produktivkraft nutzte, bevorzugte deshalb die Gruppenarbeit. Dazu Hauptmann: "Ich kann Ihnen nur sagen, wir haben unendlich viel gelacht, während der ernstesten Arbeit. Wir sind auch abgeschweift. Und es hat der Arbeit eigentlich nie geschadet. Die Arbeiten sind ja fertig geworden, das kann man nachlesen und nachprüfen. Wir haben ja nicht nur - wie Brecht sagt - gedillidallit. Es war ein Spaß. Die schwere Arbeit war ein großer Spaß."

Der kollektive Produktionsprozeß aber widerspricht dem Mythos vom einsamen Dichtergenie in seiner Mansarde. Die Anleihen bei lebenden und verstorbenen Dichtern (inklusive glatter Plagiate) vergrößern noch den Tabubruch für die bürgerliche Kunstbetrachtung. Kebir spricht vom sich alles einverleibenden "Staubsauger Brecht", der das "Ideal einer sozial befriedeten und selbstregierten Gesellschaft" verfolgt, "in der Kunst nicht in erster Linie Ware, sondern eine der Kommunikationsformen freier Individuen sein sollte". Bei gemeinschaftlicher Autorenschaft und weit gespannter Intertextualität wird es schwer mit Copyright und Urheberrecht. Ausführlich belegt Kebir, daß Brecht die Leistungen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen keineswegs verleugnet oder herabgestuft hat, sie an den Tantiemen beteiligte und in den Veröffentlichungen nannte. Das Feuilleton jedoch rezipiert lieber das Stereotyp des einzelkämpferischen Künstlers, zumal wenn er eine chronique scandaleuse verheißt. So kündigte die Zeitung des Theaters am Schiffbauerdamm, Das Stichwort, im September 1929 "Happy end" noch korrekt als Adaption einer Magazingeschichte von Dorothy Lane an (ein Hauptmann-Pseudonym). "Die Bearbeitung für die deutsche Bühne stammt von Elisabeth Hauptmann. Die Songs sind von Brecht und Weill. Die Bilder von Caspar Neher." In den Kritiken wird jedoch sogleich Brecht als der wahre Autor bezeichnet, und noch drei Jahre später schreibt Felix Hollaender: "Diese Komödie ist so hingeschleudert, daß sie von Bert Brecht allein sein könnte." Die Autorin wurde gar nicht wahrgenommen.

Als Sabine Kebir - vergeblich - versuchte, einen Verlag zur Veröffentlichung der Interviews mit Elisabeth Hauptmanns zu gewinnen, mußte sie feststellen, "daß Brechts Mitarbeiterinnen auf dem Buchmarkt als eigenständige Autorinnen nicht willkommen sind". Sie dienen höchstens als "Projektionsflächen phantasievoller Interpretationen der mittlerweile berühmten sexuellen Gewalt", mit der sich Brecht ihre Kreativität angeeignet haben soll: "Bislang sind die Namen Hauptmann, Steffin und Berlau fast nur in diesem Sinne zu vermarkten gewesen."

Dafür Brecht - bei all seiner Schlitzohrigkeit - haftbar machen zu wollen, ist mehr als billig, mindestens akut dillidallig.

Sabine Kebir: Ich fragte nicht nach meinem Anteil. Elisabeth Hauptmanns Arbeit mit Bertolt Brecht. Aufbau-Verlag, Berlin 1997, 292 S., DM 39,80