Operación Masacre

Argentinien: Die Ermittlungen zu den Bombenanschlägen gegen jüdische Einrichtungen 1994 und 1992 verlaufen mehr als schleppend. Jetzt hat die Israelitische Assoziation Anzeigen erstattet - gegen zahlreiche Funktionäre im Polizei- und Staatsapparat

Schon lange dürften die Telefonleitungen in der Israelitischen Assoziation (DAIA), der Vertretung der größten jüdischen Gemeinde Lateinamerikas, nicht mehr so geglüht haben wie in der vergangenen Woche. Zumindest nicht seit dem Zeitpunkt, als am 18. Juli 1994 eine Autobombe die Zentrale der Jüdischen Sozialversicherung (AMIA) in Buenos Aires zerstörte und 86 Menschen in den Trümmern ums Leben kamen. Oder als - vor fünf Jahren - ein Anschlag auf die israelische Botschaft 29 Opfer forderte. Denn nachdem die DAIA und die AMIA am Montag vergangener Woche ein 100seitiges Papier zu den eigenartig trägen Ermittlungen hinsichtlich der beiden Anschläge vorgelegt und Anzeige gegen zahlreiche Funktionäre im Staats- und Polizeiapparat erstattet hatten, beeilten sich die führenden Kräfte von Argentiniens Regierung, Justiz und Armee, nun ihrerseits bei der Gemeindeführung Klärung der Vorwürfe einzufordern - ganz so, als seien sie es, denen schweres Unrecht widerfahren wäre. Innenminister Carlos Corach, der Kommandeur der Streitkräfte, General Balza, und der einflußreiche Gouverneur der Provinz Buenos Aires, Eduardo Duhalde, wiesen alle Verantwortung von sich und versuchten, die Brisanz des Dokuments herunterzuspielen: Schließlich sei ja nichts bewiesen.

Genau das aber ist das Problem: Denn daß sowohl die Untersuchungen des Attentates auf die israelische Botschaft - unter Federführung des regierungshörigen Obersten Gerichtshofes - wie des AMIA-Anschlags nach Jahren immer noch weitgehend ergebnislos sind, geht vor allem auf die Unterschlagung von Beweismitteln, die Präsentierung falscher Zeugen und die Belieferung verdächtigter Kollegen mit Untersuchungsmaterial zurück. Kurz, auf die systematische Verschleppung und Vereitelung der Ermittlungen durch Polizei, Armee und Regierungsapparat.

"Die absolute Ineffizienz der staatlichen Untersuchungs- und Kontrollbehörden läßt Zweifel am politischen Willen aufkommen, die Ermittlungen wirklich voranzutreiben", faßt das gemeinsame Papier von AMIA und DAIA zusammen. "In einigen Fällen handelt es sich dabei um unverzeihliche Nachlässigkeit und Fahrlässigkeit, in anderen jedoch zeigt sich ganz offensichtlich die Absicht, die Ermittlungen zu verzögern, zu behindern oder in die Irre zu führen."

Die wesentlichen Vorwürfe des Dokuments - konkret bezogen auf den Fall AMIA -, richten sich vor allem gegen die Ordnungskräfte des Bundes und der Provinz Buenos Aires. Obwohl bereits wenige Monate nach dem Attentat deutlich war, daß ein Ring von Autoschiebern innerhalb der Provinzpolizei die Beschaffung des Bombenfahrzeugs organisiert hatte, dauerte es beinahe zwei Jahre, bis - unter internationalem Druck - die ersten Festnahmen erfolgten. Kaum zufällig war der Leiter der belasteten Brigade privat und geschäftlich eng mit dem damaligen Chef der Behörde, Pedro Klodczyk, verbunden, einem Vertrauten des Gouverneurs Duhalde, der sich Hoffnungen macht, 1999 als Kandidat der Peronisten in den Präsidentenpalast einzuziehen.

Der Lauf der Ermittlungen liest sich streckenweise wie ein Krimi aus der Schwarzen Serie: im Vordergrund kleine Gauner und korrupte Polizisten, im Hintergrund ebenso mächtige wie schemenhafte Auftraggeber. Nachdem ein Gebrauchtwagenschieber als ursprünglicher "Besitzer" des Bombenfahrzeuges ausfindig gemacht worden war, verschwanden 66 Mitschnitte von Telefongesprächen sowie der Terminkalender des Verdächtigten in dunklen Kanälen der Bundespolizei. Ein vierfacher Mörder wurde - offensichtlich von einem organisierten Netz innerhalb der Provinzpolizei - als falscher Zeuge aufgebaut und mit angeblichem Beweismaterial versehen. Hinweisen auf die in den Vorstädten von Buenos Aires mit gestohlenen Wagen operierenden Polizeibrigaden wurde mehrfach nicht oder nur schleppend nachgegangen. Nachdem etliche in den Fall verwickelte Beamte aufgeflogen waren, konnten diese entgegen richterlicher Anweisung während der Untersuchungshaft Kontakt halten und so ihre Aussagen untereinander abstimmen. Beamte einer ansonsten nicht mit den Untersuchungen befaßten Einheit stellten zeitweise sogar im Amt Nachforschungen zugunsten der Verteidigung ihrer inhaftierten Kollegen an.

Nicht nur bei der Polizei selbst häuften sich indessen im Laufe der Ermittlungen die Ungereimtheiten. Die von Präsident Carlos Menem unmittelbar nach dem Anschlag in Aussicht gestellte Belohnung für Hinweise auf die Attentäter wurde - bis vor einem Monat - nicht offiziell veröffentlicht, und die Grenzbehörde erklärte sich außerstande, dem Untersuchungsrichter Angaben über die Aus- und Einreise von Verdächtigen zu machen. Innerhalb der Armee schließlich kam ein florierender illegaler Waffenhandel mit ehemaligen Mitgliedern der "Carapintadas" ans Licht - einer Gruppe rechtsextremer Militärs der unteren Ränge, die in den achtziger Jahren mehrere gescheiterte Putschversuche unternommen hatte. Offenbar wurde der Sprengstoff für das Attentat über diese klandestinen Kanäle beschafft.

Während die Verstrickung offizieller Stellen in den Fall AMIA von subalternen Vorgesetzten bis in höchste Regierungskreise systematisch gedeckt und vertuscht wurde - das Papier erwähnt neben der Polizeiführung die Staatssekretäre für Innere Sicherheit des Bundes und der Provinz Buenos Aires -, setzten regierungstreue Funktionäre die wenigen Beamten unter Druck, die versucht hatten, die schleppenden Ermittlungen voranzutreiben. So beantragten jüngst mehrere Verfassungsrichter der Provinz Buenos Aires ein Disziplinarverfahren gegen ihren Kollegen Leopoldo Schifrin, der Ermittlungen gegen Ex-Polizeichef Klodczyk eingeleitet hatte.

Deutlicher als die mehrheitlich dem konservativen Gemeindeflügel zugehörige Führung von DAIA und AMIA nannte kürzlich Diana Malamud, Sprecherin von "Memorisa Activa", einer Organisation von Angehörigen der Attentatsopfer, die Verantwortlichen für das Dahinplätschern der Ermittlungen beim Namen: Präsident Carlos Menem und Gouverneur Duhalde hätten großes Interesse, die Wahrheit über die Anschläge für immer im dunkeln zu lassen. Denn ihre eigene Machtstellung, so Malamud, sei auf einem System von Allianzen mit den Verantwortlichen ungestrafter Verbrechen gegründet, auf der Angst der Opfer und dem Hohn der Täter, seit Menem 1989 eine Generalamnestie für die Verbrechen der Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983 erlassen hatte.

Tatsächlich spielt im Diskurs der regierenden Peronisten der Faktor Angst eine maßgebliche Rolle, oftmals in zynischer Eintracht mit dem Abfeiern der vermeintlichen Ankunft Argentiniens in der sogenannten Ersten Welt. Denn daß man wie Europa und die USA vom "arabischen" Terrorismus heimgesucht werde, sei, so Menem nach den Bombenanschlägen, doch ein Indiz dafür, daß das Land nun zu den Mächtigen der Erde gezählt werde. Tatsächlich aber scheint gerade die "südamerikanische" Infrastruktur einer ehemaligen Diktatur hinter den Attentaten zu stehen. Denn selbst wenn Präsident Menem mit seinen Spekulationen über palästinensische oder iranische Hintermänner recht behalten sollte - vorausgesetzt, die Anschläge werden tatsächlich irgendwann aufgeklärt -, ohne die lokale Logistik in Sachen Organisation und Vertuschung wären sie wohl kaum so reibungslos über die Bühne gegangen.

Im Geflecht der im Amt gebliebenen und der in private "Sicherheitsunternehmen" abgetauchten Ex-Repressoren und ihrer politischen Komplizen und Nutznießer scheint mittlerweile ein florierendes Geschäft auf Gebieten entstanden zu sein, auf denen diese über die Jahre eine makabre Professionalität erworben haben: Waffenschmuggel, Mord auf Bestellung, Unterschlagung. Solange das neoliberale Wirtschaftswunder - basierend auf dem Ausverkauf der Staatsbetriebe - noch für stabile Mehrheiten sorgte, konnte die Regierung die strukturelle Korruption und Kriminalität innerhalb der Sicherheitsbehörden noch weitgehend beiseite schieben - und sogar rhetorisch ausschlachten für raunende Warnungen vor dem Rückfall in chaotische Zeiten vor der wirtschaftlichen "Normalität". Mittlerweile sind indes sowohl Wirtschaftsaufschwung wie Mehrheiten brüchig geworden: Umfragen verheißen den Peronisten bei den Parlamentswahlen im Oktober ihre erste schwere Niederlage. Dann könnte sich die ganze explosive Brisanz der Anschuldigungen von DAIA und AMIA entfalten.

* Jens Andermann, Buenos Aires