Money is a Labour issue

Über den englischen Philosophen Jeremy Bentham, den deutschen Sozialdemokraten Gerhard Schröder und den österreichischen Ökonomen Joseph Alois Schumpeter.

Benchmarking ist eine Art der Unternehmensführung. In diesem Falle macht ein Betrieb die Ergebnisse seines Konkurrenten zu seinen Mindestbedingungen. Es ist gelebte Konkurrenz. Insofern empfiehlt es sich auch als Lebensweise und Politikstil. Und für politisches Benchmarking weist Gerhard Schröder (SPD) den Weg. Seine Dresdner Thesen feiern Unternehmungsgeist und Vermögensbildung. Mit ihnen macht Schröder Christ- und Freidemokraten zu einer marktwirtschaftlichen Folkloregruppe. Money is a Labour issue.

Kein Zweifel, die Konkurrenz hat ihren Mythos wieder. Die Überzeugung von vermachteten Märkten (Monopolkapitalismus) und Staatsinterventionismus (mixed economy) hatte ihn lange im Zaum gehalten. In der Gestalt der Globalisierung kehrt der Mythos zurück und nimmt Besitz von Waren- und Arbeitsmärkten. "Der Schutz dieser Märkte durch nationale Politik", räumen die Dresdner Thesen ein, "ist weitgehend unmöglich geworden." Marktautomatik und staatliche Selbstbeschränkung sind angesagt. Kein Platz für "Business as usual", Durchwursteln oder "Reformstau". "Denn wo die ökonomische Basis der Gesellschaft sich dramatisch verändert, "heißt es ganz materialistisch, "kann der gesellschaftliche Überbau nicht statisch gehalten werden".

"Wir werden unternehmerischen Geist und unternehmerische Tatkraft", versprechen Schröders Sozialdemokraten, "überall und bei jedem in Deutschland ermutigen und fördern..." Competition is a Labour issue. Dann würde Innovationsfähigkeit gedeihen. Wenn sich Sozialdemokraten von etwas sehr viel erhoffen, dann sind es beschleunigte Innovationen. Zwar bringe gesellschaftliche Modernisierung Spannung mit sich, aber der "Faktor Arbeit" würde - beieinem garantierten "Korridor der Verläßlichkeit" - schon mitmachen, und den Unternehmern müßte man nur den "ökonomischen Wert einer Kultur sozialer Verantwortung" vorrechnen. BDI-Chef Hans-Olaf Henkel will auch gleich Vorleistungen sehen. Blairs erste Verbeugung habe den Unternehmen gegolten. Dagegen bocke Lafontaines SPD. "Die SPD Schröders kann sich nach seinen Thesen aber einer Entlastung seiner Unternehmen nicht mehr veweigern." Ansonsten bleiben Deutschlands Unternehmer stur: Erst Unterstützung Kohls, dann Terminabsprache. Bei der "angestrebten Synthese von hochmoderner Ökonomie und sozialer Integration", beruft sich das Thesenpapier auf Ludwig Erhard und Karl Schiller, mit denen man "jahrzehntelang nicht schlecht gefahren" sei. Zwar ist Ludwig Erhard bei der erst besten Wirtschaftskrise gescheitert und Karl Schiller gleich bei der darauf folgenden. Schwamm drüber - hier geht's um Anfänge!

Mercedes behandelt Arbeit als Kostenfaktor, BMW pflegt sie als Erfolgsfaktor und Volkswagen verhandelt mit dem "Faktor Arbeit". Insofern sind sich Schröders Sozialdemokraten darüber klar, daß die Rahmenbedingungen "für einen effizienten Einsatz des Faktors Arbeit" neu justiert werden müßten. "Der Faktor Arbeit ist bei uns zu teuer gemacht worden", heißt es in einer merkwürdigen Passivkonstruktion. Mit diesem Faktor Arbeit hat die SPD nun viel vor. Bekanntlich will sie Einkommensteuern senken und Lohnnebenkosten zu Staatsausgaben machen. Aber das wird nicht reichen. Weitere Lohnsenkungen will sie mit Anteilspapieren vergütet sehen. DGB-Chef Dieter Schulte könnte sich durchaus für Schröders Papier erwärmen. "Ich nenne die Bereitschaft zur gesellschaftlichen Modernisierung, die Förderung von Innovationen, aber auch die Idee der 'Chancenkapitalfonds', um jungen Unternehmen Risikokapital zur Verfügung zu stellen." Es würden ihm nur Details noch fehlen. Shareholder society is a Labour issue. "Nicht nur aus demographischen Gründen, sondern auch aufgrund der strukturellen Veränderungen im Verhältnis von Arbeitseinkommen und Kapitaleinkommen", heißt es für die Abschaffung der Klassengesellschaft, "brauchen wir mehr Vermögen bei unselbständig Beschäftigten."

1970 arbeiteten 83,4 Prozent aller abhängig Beschäftigten in einem Normalarbeitsverhältnis, 1995 sind es nur noch 68 Prozent, weil sich inzwischen die Anteile der ausschließlich geringfügig Beschäftigten auf 13 Prozent, der sozialversicherungspflichtig Teilzeitbeschäftigten auf zehn Prozent und der abhängig Selbständigen auf zwei Prozent mehr als verdoppelt haben. Schrumpft aber das Normalarbeitsverhältnis auf die Angelegenheit einer Minderheit zusammen, dann muß der darüber sich erhebende Turmbau der Sozialversicherungen ins Wanken kommen. Mit Flexibilisierung des Arbeitsmarkts und Förderung des Dienstleistungswesens - also mehr Dienstmädchen, Rikscha-Fahrern und Schuhputzern - tritt diese Gefahr natürlich früher ein. Daraus zieht Schröder die Konsequenzen: Er bricht mit dem Sozialstaat und fordert Grundversorgung und Eigenvorsorge. Appeasement is a Labour issue. Weil dies aber die liberale Mindestbedingung ist, gehen die Dresdner Thesen natürlich noch darüber hinaus. Von der "negativen Einkommenssteuer" wollten Blüm und Company nichts wissen. Selbst Gerhardts Parvenu-Liberalismus fehlte an Mumm. Nicht Gerhard Schröder. Bei der "negativen Einkommenssteuer" zahlen "Winner" Steuern und erhalten "Loser" pauschale Unterstützung. So kauft sich der Staat, darin besteht die Logik jeder Grundversorgung, von Sozialpolitik frei. Mit dem Geld kann soziales Unglück wieder eine Privatsache werden. Is betraying us a Labour issue?

Vor zehn oder 15 Jahren wurde der Satz, daß die Wale als Privateigentum nicht in die Verlegenheit einer Ausrottung gekommen wären, nicht für voll genommen. Das ist inzwischen nicht mehr der Fall. Mit der Steuerreform-Debatte nehmen nicht nur grüne Sprecher und Sprecherinnen für Finanz- und Wirtschaftspolitik Bewegungsvertretern die Schau. Der ökologische Gedanke vom Umgang mit knappen Ressourcen hat längst in der Geldwirtschaft sein Zuhause gefunden. Und marktwirtschaftliche Simulationsverfahren haben sich der Ökologie angenommen. Allerdings bestehen Umweltpolitiker noch auf quantitativer Wachstumsbeschränkung, worauf Hubert Weinzierl, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz, pochte.

Aber damit will sich der ökonomische Imperialismus beileibe nicht begnügen. Das politische Gemeinwesen ist nicht mehr Versammlung der Bürger und Bürgerinnen, die ihre Belange zu einer öffentlichen Angelegenheit machen. Das mochte vielleicht Kaufleute und Grundbesitzer in Athen oder Pariser Bastille-Stürmer bewegt haben. Schröders Staat ist ein lernendes Unternehmen mit flachen Hierarchien, der sich von McKinsey oder Roland Berger leiten läßt. "Die Politik wird die Initiierung von Wettbewerbsprozessen nur dann glaubhaft begründen und durchsetzen können, wenn sie sich selbst diesen Anforderungen in ihrer Dienstleistungsproduktion stellt."

Familie, Gefängnis, Nation oder Drogen - kein Bereich bleibt mehr von Ökonomen verschont. Der englische Philosoph Jeremy Bentham (1748-1832) erklärte marktwirtschaftlichen Verkehr zum Maß aller Dinge. Ob Handel, Bestattungsritual oder Kunst - alles führte er auf Nutzenkalküle zurück. Daran haben sich Schröder utilitaristische Ghostwriter orientiert. Besonders angetan hat es ihnen der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter (1883-1950), die Raststelle für Reisende zwischen Kaufkraftklagen und Marktreligion. Hier fanden sie die schöpferische Zerstörung des Marktes und der Unternehmer beschrieben, deren aktivistische Funktion die Durchsetzung neuer Kombinationen sei. Bloß entging ihnen, ein Manko sozialdemokratischen Benchmarking, ein destruktives Moment, das Walter Benjamin am Unternehmer beobachtete: "Der destruktive Charakter hat das Bewußtsein des historischen Menschen, dessen Grundaffekt ein unbezwingliches Mißtrauen in den Gang der Dinge und die Bereitwilligkeit ist, mit der er jederzeit davon Notiz nimmt, daß alles schief gehen kann. Daher ist der destruktive Charakter die Zuverlässigkeit selbst." Denn Instinkt und Wissen um plötzliche Wendungen sind kein Begriff der von Schröder verchromten Sozialdemokratie. Hic Dresden, hic salta.