Louis Aragon

Poesie und Prop

"Knallt die Bullen ab, Genossen, / knallt die Bullen ab! / Weiter, weiter nach Westen, / wo reiche Kinder und erstklassige Huren schlafen. / Vorbei an der Madeleine, Proletariat! // Unter der Leitung der Kommunistischen Partei SFIC wartet ihr, / den Finger am Abzug, / darauf, daß nicht mehr ich 'Feuer' rufe, / sondern Lenin, der Lenin des richtigen Augenblicks. / UdSSR, UdSSR, UdSSR, UdSSR, UdSSR ...". Louis Aragon, der am 4. Oktober 100 Jahre alt geworden wäre, schrieb das Gedicht "Front rouge" 1932 - und bekam höllischen Ärger. Diese Propagandapoesie widersprach so gut wie allem, wofür der Surrealismus stand. Weil Aragon jedoch wegen Aufhetzung zum Massenmord belangt werden sollte, mit der drohenden Höchststrafe von fünf Jahren Gefängnis, eilten die Surrealisten ihm dennoch zu Hilfe. Breton konnte es sich jedoch nicht verkneifen, in seiner Verteidigungsschrift "Misère de la poésie" einen harschen Angriff gegen die Kommunistische Partei zu führen, was zum endgültigen Bruch zwischen den beiden Freunden führte.

"Rote Front" könnte ein Anlaß sein, um die Aragons Geschichte entlang seines politischen Einsatzes zu schreiben: In der Résistance, im spanischen Bürgerkrieg, als Herausgeber der KPF Zeitung Ce soir und als graue Eminenz der französischen Studentenbewegung 1968. "Ihr fordert einerseits, daß man eingreift, nur um dann untätig herumzustehen", blafft er einen Reporter an, der von ihm eine Stellungsnahme zum Einmarsch der Sowjets in Prag im August 1968 erwartete. Eine andere Geschichte wäre diejenige über Aragon und seiner Frau Elsa Jurewnaja Kagan, spätere Triolet, die als russische Jüdin und Kommunistin, im November 1942, statt ins Exil nach Amerika, mit ihrem Mann in den Untergrund ging. Über Elsa Triolet sagte Aragon: "Elsa hat mir meine männliche Brille entrissen, jene Vorurteile des Mannes, der unter dem Vorwand der Verantwortung seine Frau darauf einengt, sein Spiegelbild zu sein." Diese Geschichte wäre aber auch eine über die Reserviertheit Aragons: Bis zu dem Zeitpunkt, als Triolet, 1938, ihren ersten französischsprachigen Roman veröffentlichte, wußte der Ehemann nicht einmal, daß seine Frau überhaupt daran gearbeitet hatte. "Um sich seiner Maschine bedienen zu können, mußte sie immer warten, bis die Tür hinter ihm ins Schloß fiel", schrieb Clara Malraux über die Arbeitssituation Triolets.

Und es gibt den Aragon des "Bauern von Paris", neben Bretons "Nadja" der zweite große "Roman" der surrealistischen Bewegung: "So begab ich mich zum ersten Mal bewußt auf den Weg, zu dem, was ich später Realismus genannt habe." Anhand dieses Romans wird deutlich, daß der Surrealismus nicht nur eine Künstlerbewegung war. Das Buch steht, wofür Aragon in dieser Bewegung exemplarisch ist, für die surrealistische Wissenschafts- und Vernunftkritik. "Genauso wie es zwei Klassen gibt, gibt es zwei Wissenschaften, eine des Friedens und eine des Kriegs - aber wir müssen unser Ziel weiter stecken als die Wissenschaft." Über seine surrealistische Zeit sagte Aragon viel später: "Ich verbrachte fünf Jahre eingeklemmt zwischen verschiedenen kleinen Abneigungen, dem übertriebenen Kult einer poetischen Welt, den wir, meine Freunde und ich, uns geschmiedet haben und dem großen Strudel, in den mich hineinzustürzen ich versucht war. Fünf Jahre zögern. Fünf Jahre Gegenmarsch. Es war die schöne Zeit und der Glanz des Surrealismus."