Nur ein kleiner Kompromiß...

Italien: Die "letzte Vertreterin der antagonistischen Linken", Rifondazione Comunista,sorgt für eine Regierungskrise und sucht sie auf eigene Kosten zu lösen

"Warum habt ihr unser Kompromiß-Angebot nicht angenommen? Warum habt ihr ein Budget vorgelegt, das mit den Gewerkschaften abgestimmt ist, aber nicht die Zustimmung der Parlamentsmehrheit hat?" fragte Fausto Bertinotti, Vorsitzender des Partito della Rifondazione Comunista (Kommunistische Wiedergründung, PRC), Mitte der vergangenen Woche ratlos die Minister und Parlamentarier des regierenden Ulivo-Bündnisses.

Denn mittlerweile hatte sich der schon länger schwelende Streit um einen von der italienischen Regierung vorgelegten Entwurf für das Haushaltsgesetz 1998 zur Regierungskrise zugespitzt. Premierminister Romano Prodi ist Ende vergangener Woche, nach dem "No" der Neo-Kommunisten zum Haushaltsgesetz, zurückgetreten. Die Konsultationen von Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro mit den Chefs aller im Parlament vertretener Parteien dauerten bis Redaktionsschluß an. Neuwahlen am 7. Dezember, die alte oder eine neue Regierungskoalition stehen zur Alternative. Und der PRC findet sich plötzlich in einer Position wieder, die er so gar nicht einnehmen will: Am linken Rand, isoliert von den bisherigen Bündnispartnern der Mitte-Links-Regierung und den Gewerkschaften.

"Die Wähler können mit ihren Stimmen dazu beitragen, jene zwei Parteien zu isolieren, die das Chaos im Blut haben: die Lega Nord und die Kommunisten", orientierte die konservative Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera am 9. Oktober präventiv auf Neuwahlen. Die Neokommunisten hätten, so auch der Tenor vieler in der PRC-Zentrale eingehender Protestanrufe und

-faxe, die Regierung erst unter Druck gesetzt und schließlich fallengelassen. Die PRC-Führung schlug Präsident Scalfaro bereits zwei Tage später vor, die alte Regierung für eine Übergangszeit von einem Jahr im Amt zu belassen. Am Sonntag erklärte Bertinotti darüber hinaus seine Kompromißbereitschaft auch für den neuen Haushaltsentwurf. Allgemein wurde dies als bloßes Taktieren gewertet, nicht aber als das Ergebnis kontinuierlicher Erpressung der PRC durch das Ulivo-Bündnis.

Seit dem April 1996 dominiert Ulivo (Ölbaum), ein Bündnis der neuen Sozialdemokraten des PDS, der Grünen, der linkskatholischen Volkspartei sowie einiger Splittergruppen, sowohl im italienischen Unterhaus als auch im Senat. Haben sie in letzterem die absolute Mehrheit, sind die Ölbaum-Fraktionäre im Unterhaus, der gesetzgebenden Kammer, auf die Tolerierung des PRC angewiesen.

In diesen 17 Monaten hat die Mitte-Links-Koalition Italien durch ein rigides Sparprogramm in fast allen Bereichen gründlich verändert: Vier der fünf Maastricht-Kriterien werden mittlerweile erfüllt, eine Euro-Sondersteuer von umgerechnet 1 000 Mark pro Steuerzahler wurde von Ministerpräsident Romano Prodi zur "Sanierung des Landes" genauso durchgesetzt wie die Privatisierung vieler zuvor staatlicher Betriebe. Über die Einsparungen in den Bereichen Bildung und Gesundheit, die von Prodis "Superminister" Azeglio Ciampi (Wirtschaft und Finanzen) nach und nach verwirklicht wurden, wäre wenige Jahre zuvor sowohl die Mitte-Rechts-Regierung eines Silvio Berlusconi als auch das Technokraten-Kabinett Lamberto Dinis gestürzt. Doch gegenüber Ulivo halten sich die öffentlichen Proteste in Grenzen. Viele Italiener begrüßten, daß Prodi fortsetzte, was Berlusconi 1992 mit der Abschaffung der "Scala mobile" - einer Art institutionalisiertem Teuerungsausgleich, mit dem Löhne automatisch der Inflation angepaßt wurden - begonnen hatte: Die Transformation des italienischen Klassenstaates in einen "modernen" Volksstaat und die Ersetzung staatlicher Wohlfahrt durch privaten Wettbewerb.

Romano Prodi und die italienische Regierung haben sich dabei vor allem am sogenannten Modell Deutschland orientiert. Gewerkschaften, Unternehmerverbände und kirchliche Institutionen wurden weitgehend in politische Entscheidungen einbezogen. Die Entwicklung der Börsenkurse scheint mittlerweile all diesen Akteuren als gemeinsame Richtlinie zu gelten.

Mit dem Argument, daß eine neue Rechts-Regierung auf jeden Fall verhindert werden müsse, ließ sich zudem Kräfte einbinden, die im bisherigen politischen System als extrem links galten. So der linke Gewerkschaftsdachverband CGIL, der an den zur Zeit laufenden Verhandlungen über eine Rentenreform beteiligt ist. Und eben die Neo-Kommunisten, die bislang über eine gute und konstruktive Zusammenarbeit jenen "historischen Kompromiß" mit dem bürgerlichen Staat anstrebten, den der PCI seit Anfang der siebziger Jahre favorisierte, offiziell aber nie erreicht hat.

Folglich zog der PRC innen- wie außenpolitisch bei fast allen Regierungsvorlagen mit: Beim Haushaltsgesetz 1997, das schon von tiefen Einschnitten in den sozialen Bereich geprägt war, bei der Sondersteuer zum Erreichen der Maastricht-Kriterien, bei Privatisierungen und dem Albanien-Einsatz der italienischen Armee konnte sich Prodi auf seine Mehrheitsbeschaffer weitgehend verlassen. Gegenstimmen oder Stimmenthaltungen der PRC-Fraktion gab es immer nur dann, wenn es nichts kostete. Also dann, wenn die rechte Opposition zuvor ihre Zustimmung zur Regierungspolitik signalisiert hatte.

PRC-Chef Bertinotti begründete Mitte vergangener Woche im italienischen Parlament noch einmal rückblickend die gute Kooperation: "Und dies alles, weil uns die Regierung großes Entgegenkommen im Haushaltsgestz versprochen hatte." Er bot gleich eine weitere Tolerierung an: "Ich sage nicht: Akzeptiert es oder laßt es, ich sage nicht, die Regierung soll all unsere Forderungen aufgreifen, aber wenigstens eine, die ein sichtbares Zeichen des Wandels setzt", versuchte Bertinotti die Meinungsverschiedenheiten abzumildern. Doch das vage Entgegenkommen Prodis reichte der PRC-Fraktion nicht aus. Prodi hatte in einem erneuerten Haushaltsentwurf Verbesserungen im Gesundheitssystem, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Mezzogiorno durch den Staatskonzern IRI und den Erhalt des Kerns des italienischen Rentengesetzes - das Recht, unabhängig vom Lebensalter nach 35 Beitragsjahren in Rente gehen zu können - in Aussicht gestellt. Dem PRC hingegen geht es um staatliche Arbeitsprogramme und die Beibehaltung des Rentensystems in seiner kompletten gegenwärtigen Form, um die Verbesserung von Gesundheitsleistungen, das Ende der Privatisierungen und der finanziellen Förderung von Privatschulen, um eine intensive Verfolgung von Steuerhinterziehung und, vor allem, um die gesetzliche Einführung der 35-Stunden-Woche.

"Den Bilanzen des Staates geht es gut, aber den Bilanzen vieler Arbeiterfamilien geht es schlecht", betonte Bertinotti das Selbstverständnis der Rifondazione als Vorkämpferin der unteren Klassen und "letzte Vertreterin einer antagonistischen Linken", wie er die Partei sieht. In der Hoffnung, daß andere Teile jener "antagonistischen Linken" nachziehen, wurde die Tolerierung für zwei Tage kurzerhand ausgesetzt. Doch weit gefehlt: CGIL-Chef Sergio Cofferati kritisierte umgehend den Kurs der Neo-Kommunisten und stellte sich demonstrativ auf die Seite des PDS. Italien dürfe nach den schweren finanziellen Opfern der vergangenen Jahre nun nicht den Anschluß an Europa verlieren, wiederholte er fast wörtlich einen Satz aus der Parlamentsrede des PDS-Fraktionschefs Fabio Mussi.

Ohne die Unterstützung der CGIL mochte der PRC das Machtgeplänkel dann doch nicht auf die Spitze treiben, zudem droht bei Neuwahlen durch eine von Ulivo und dem rechts-oppositionellen Polo della libertˆ (Pol der Freiheit, hauptsächlich getragen von Berlusconis Forza Italia und der neofaschistischen Alleanza Nazionale) anvisierte Änderung des Wahlrechts Bedeutungsverlust. Auch der seit Jahren währende Kleinkrieg mit dem PDS würde eine neue Stufe erreichen. Sehen sich die Neo-Sozialdemokraten doch - durch Wahlumfragen der vergangenen Woche gestärkt - als Partei, ohne die künftig nicht zu regieren sein wird. Kandidatenabsprachen zwischen dem PDS und den Neo-Kommunisten, wie sie noch 1996 bestanden, sind bei einer Neuwahl höchst unwahrscheinlich. Die Konkurrenz zwischen den beiden 1991 aus dem PCI hervorgegangen reformistischen Parteien würde noch zunehmen, wobei Rifondazione nur verlieren kann. Armando Cossutta, Parteipräsident des PRC, brachte diese Befürchtung schon vor der Regierungskrise zum Ausdruck: Die PDS will "uns zerstören oder uns aufsaugen oder uns jedenfalls zurückstutzen zu einem subalternen Verbündeten", schrieb er in der Parteizeitung Liberazione.

Während die Linke noch taktiert, gibt sich Italiens Rechte - allen voran Berlusconis Forza Italia - selbstbewußt. Auch als Opposition werde sie Teile des Haushaltsentwurfs stützen, am liebsten aber wäre ihr eine großen Koalition. Denn damit wäre das Olivenbaum-Bündnis gesprengt: PDS-Chef Massimo D'Alema lehnt eine solche Koalition (bisher noch) entschieden ab, auch stünde Romano Prodi nach eigenen Aussagen einer großen Koalition nicht als Ministerpräsident zur Verfügung. Aber auch Neuwahlen wären Berlusconi recht, genauso wie der neofaschistischen Alleanza Nazionale (AN). Das Budget für 1998 soll zuvor noch als Kompromißhaushalt verabschiedet werden, also in einer Form, die auf dessen monetäre Aspekte beschränkt bliebe.

Sowohl Berlusconi als auch AN-Führer Gianfranco Fini betonten Ende vergangener Woche, Ulivo habe ohnehin nur dort erfolgreich gearbeitet, wo die Rechte Unterstützung geleistet habe oder dies noch immer tue: Bei der geplanten Änderung des Wahlrechts, der angestrebten Verfassungsreform, bei Privatisierungen und einer Änderung des Strafrechts. Doch auch der "Pol der Freiheit" hält sich gegenwärtig mit weitergehenden Vorstößen noch stark zurück. Allen Beteiligten scheint das Risiko von Neuwahlen, die keine entscheidende Veränderung der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse ergeben würden, zu hoch. Politische und ökonomische Stabilität, der allseits gehuldigte Fetisch, hätte sich damit erledigt.

Doch Rettung naht von außen: "Bliebe als nächster, schon früher erprobter Ausweg, einen 'Diktator' zur Rettung des Vaterlandes, einen über den Lagern stehenden Finanzfachmann mit der Bildung eines Übergangskabinetts zu betrauen", wußte die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Oktober sich als Regierungsberater nicht nur für die Bundesrepublik zu empfehlen.