Shell bleibt raffiniert

Die neue Unternehmensphilosophie des Shell-Konzerns und ein Ölprojekt im Tschad

"Jede industrielle Tätigkeit ist mit Umweltbelastungen verbunden. Dies gilt insbesondere für Unternehmen, die im Energie- und Chemiebereich tätig sind. Gesellschaften wie Shell sind daher besonders gefordert, daß die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben. Der Schutz der Umwelt ist deshalb Bestandteil der Geschäftsprinzipien der RDS-Gruppe und ein gleichrangiges Unternehmensziel der Deutschen Shell." Es ist schön, wenn das Motto vom lebenslangen Lernen auf fruchtbaren Boden fällt. Und dazugelernt hat, so war kürzlich zu lesen, der Ölkonzern Royal Dutch Shell (RDS).

Kein geringerer als Cor Herkströter, der Vorstandsvorsitzende dieses drittgrößten Industrieunternehmens der Welt, räumte ein, daß die Geschäftpraktiken des Ölmultis in der Vergangenheit von "einer Art technologischer Arroganz" gekennzeichnet" waren (FR, 19. August 1997).

Tatsächlich hat das Unternehmen einigen Nachholbedarf an Sympathie-Werbung in der Öffentlichkeit.Denn kaum war die Brent Spar-Affäre einigermaßen glimpflich abgelaufen, wurde 1996 bekannt, wie eng der Konzern mit dem Militärregime Nigerias zusammenarbeitet, um jegliche Opposition in der dortigen Ölregion zu zerschlagen. Und im März 1997 mußte der neue Chef der Deutschen Shell AG, Rainer Laufs, eingestehen, daß der Multi durch die Ölförderung im kurdischen Diyarbakir zur Verseuchung des Grundwassers beigetragen hat. Im Juni klagte die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" Shell öffentlich an, ähnlich wie in Nigeria auch in Kolumbien eng mit der Armee zusammenzuarbeiten und Militäroperationen gegen die aufsässige Bevölkerung in der dortigen Ölregion finanziell unterstützt zu haben. Nach Recherchen US-amerikanischer Umweltorganisationen soll Shell sich auch in Peru über die Rechte der indigenen Bevölkerung in der Amazonasregion hinweggesetzt haben, um Land für die Ölförderung in Besitz nehmen zu können.

Doch all dies soll, so Shell, in Zukunft anders werden. Ein neuer Verhaltenskodex für die Konzernmitarbeiter besagt, Shell wolle in Zukunft Umwelt und Menschenrechte achten, zumindest "soweit dies zur legitimen Rolle der Wirtschaft paßt". Denn die neuen Werte des Shell-Konzerns, so Chefmanager Herkströter, lauteten: "Integrität, Aufrichtigkeit und Respekt vor Menschen". Kapitalismus light sozusagen.

Die Glaubwürdigkeit solcher Vorsätze erweist sich am ehesten bei der Durchführung neuer Vorhaben. Und an einem neuen Ölprojekt bastelt der Shell-Konzern derzeit im Tschad. Im Süden dieses Landes, das zu den ärmsten der Welt zählt, sollen die größten Erdölvorkommen Afrikas liegen. Dies bis spätestens zum Jahr 2000 zu ändern und dort täglich 225 000 Barrel Öl aus dem Boden zu pumpen, ist das erklärte Ziel eines Konsortiums, an dem Exxon und Shell mit je 40 Prozent beteiligt sind und der französische Konzern Elf mit 20 Prozent.

Kleiner Exkurs: Die Art und Weise, wie Elf an diese Marktanteile gekommen ist, erinnert an das alte afrikanische Sprichwort: "Wo Elefanten kämpfen, stirbt das Gras." Auf das heutige Afrika übertragen müßte es heißen: Wo Multis um Marktanteile kämpfen, sterben Menschen und fallen Regierungen. So unterstützte die US-Regierung die Revolte Kabilas gegen Mobutu im Kongo, damit die Bodenschätze dieses Landes in Zukunft von US-amerikanischen statt von französischen Konzernen ausgeplündert werden können. Umgekehrt protegierte der französische Staat den Militärputsch des Präsidenten des Tschad, Idriss Déby, um den US-amerikanischen Konzern Chevron aus dem dortigen Ölkonsortium herauszukatapultieren und den französischen Elf-Aquitaine hinein.

Exkurs Ende, zurück zur Royal Dutch Shell: 3,5 Milliarden US-Dollar will das Konsortium in die Ölförderung im Tschad investieren. In diesem Rahmen hätte der Konzern reichlich Möglichkeiten, seine neue, ökologisch-humanistische Unternehmensphilosophie umzusetzen. Denn Öl soll ausgerechnet im fruchtbarsten und bevölkerungsreichsten Teil des Landes, im südlichen Doba-Becken, gefördert werden. Hier könnte der Öl-Multi seinen neugewonnenen "Respekt vor Menschen" dadurch beweisen, daß er die Enteignung und Zwangsumsiedlung der Bauern und ihrer Familien verhindert. Bis zu 40 000 Menschen müßten ansonsten den geplanten 300 Ölquellen weichen.

Um das geförderte Öl aus dem im Inneren Afrikas gelegenen Tschad auf den Weltmarkt zu bringen, plant das Konsortium zudem eine mehr als 1 000 Kilometer lange Pipeline quer durch Westafrika zu einem Atlantikhafen in Kamerun. Und hier könnte der Shell-Konzern sein neuerwachtes Umweltbewußtsein praktisch umsetzen, indem er die drohende Zerstörung der Regenwälder und Naturparks, die an der Pipeline-Strecke liegen, stoppt.

Von einer neugewonnenen "Integrität" des Konzerns würde zeugen, wenn Shell darüber hinaus den Machenschaften des korrupten Clans von Idriss Déby, dem Präsidenten des Tschad, entgegenträte. Déby hat schon heute zahlreichen seiner Familienmitglieder hochdotierte Posten im Öl-Konsortium besorgt und wußte seinen Onkel sogar in der Konzernzentrale der federführenden Firma Exxon in Houston unterzubringen. Auch will Déby eine zwar wirtschaftlich unrentable, dafür aber politisch um so prestigeträchtigere Mini-Raffinerie nahe der Landeshauptstadt N'Djamena bauen lassen. Sie läge fast 600 Kilometer von den Ölfeldern entfernt in der der geplanten Pipeline entgegengesetzten Richtung. Déby versucht, die Ölkonzerne für dieses unsinnige Vorhaben zu gewinnen, indem er ihnen langfristige Steuererleichterungen verspricht, die sein Land einige hundert Millionen Dollar kosten würden.

Die neue "Aufrichtigkeit" des Shell-Konzerns würde sich manifestieren, wenn Shell den zynischen Plan des Öl-Konsortiums durchkreuzen würde, sich ihr gewinnträchtiges Großprojekt im Tschad auch noch mit 370 Millionen US-Dollar von der Weltbank sponsern zu lassen. 120 Millionen davon sollen ausgerechnet aus dem zinslos vergebenen Sonderfonds für Entwicklungshilfe kommen.

Schließlich könnte Shell im Tschad seiner angekündigten "Unterstützung für grundlegende Menschenrechte" nahezu täglich "Ausdruck verleihen". Das wäre umso bemerkenswerter, als der Konzern schon die Ermordung des Schriftstellers Ken Saro-Wiwa und vieler anderer Ogoni, die gegen die Ölförderung durch Shell im nigerianischen Ogoniland protestiert hatten, nicht hat verhindern können oder wollen.

Besonders öffentlichkeitswirksam könnte Shell-Chef Herkströter das in Menschenrechtsfragen angeschlagene Image seines Konzerns aufpolieren, wenn er sich schon heute schützend vor den prominentesten Kritiker des geplanten Ölprojektes im Tschad, Yorongar Ngarlejy, stellte, um zu verhindern, daß dieser das gleiche Schicksal erleidet wie Ken Saro-Wiwa in Nigeria, der von der Regierung ermordet wurde. Yorongar Ngarlejy ist Präsident einer Menschenrechtsorganisation und Abgeordneter der Nationalversammlung des Tschad.

Derzeit reist Yorongar Ngarlejy durch Europa, um die Öffentlichkeit und die Regierenden auf die kritikwürdigen Aspekte des geplanten Ölprojektes im Tschad aufmerksam zu machen. Diese Kritik wird im übrigen auch von Berichten internationaler Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen wie dem Environmental Defense Fund in den USA und amnesty international gestützt.

Bei seinem Besuch in der Bundesrepublik wurde Yorongar Ngarlejy vom BMZ, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Bonn, allerdings nicht empfangen. Die Begründung, die ihm das Ministerium gab, lautete: Man müsse - aus Gründen diplomatischen Takts - zunächst einmal mit der neuen Botschafterin des Tschad reden. Yorongar Ngarlejy will sich durch das BMZ nicht entmutigen lassen. Immerhin hat sein Engagement mit dazu geführt, daß die Weltbank ihre Entscheidung über die Millionenkredite für das Ölkonsortium auf das nächste Jahr vertagt hat. Jetzt soll zunächst einmal eine Studie über die Umweltfolgen des Ölprojekts vorgelegt werden, möglicherweise schon in diesem Monat. Präsident Déby forderte daraufhin sein Parlament auf, die Immunität des oppositionellen Abgeordneten aufzuheben. Darüber soll in diesen Tagen entschieden werden. Stimmt das Parlament zu, was angesichts seiner Zusammensetzung fast nicht anders zu erwarten ist, wäre Yorongar Ngarlejy zum Abschuß freigegeben - für den Fall, daß er in den Tschad zurückkehrt.

Zum zweiten Todestag des nigerianischen Schriftstellers Ken Saro-Wiwa am 10. November planen nigerianische Oppositonsgruppen, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen zahlreiche Veranstaltungen von Hamburg bis München. Unter anderem soll es am Samstag, 8. November, bundesweit Aktionen vor Einrichtungen des Ölmultis geben, bei denen zum Boykott von Shell-Produkten aufgerufen wird.