»Als wäre ich schon tot«

Ralph Benatzkys Tagebücher zeigen den Komponisten des "Weißen Rößl" als Kulturpessimisten

Ralph Benatzky hat es nie besonders gemocht, und dennoch ist es sein berühmtestes Werk und das bis heute meistgespielte Musiktheater-Stück: "Das weiße Rößl". Die "Rößl"-Evergreens wie "Es muß was Wunderbares sein" , "Und als der Herrgott Mai gemacht ..." , "Im Salzkammergut, da ka'mer gut lustig sein" sowie das Titellied machten ihn allerdings nicht froh. Zu sehr widerstrebte die arbeitsteilige Produktionsweise des Revue-Regisseurs Erik Charell Benatzkys eigener künstlerischer Auffassung. Wo der Regisseur ˆ la Broadway-Musical gleichzeitig mehrere Textdichter und Komponisten anheuerte, fiel Benatzky die richtige Melodie nur ein, wenn er selbst das Libretto schrieb. So hatte Benatzky beim "Weißen Rößl" zwar die kompositorische Gesamtleitung und schuf die meisten Nummern, mußte sich jedoch einer Lustspielvorlage von Charell und Hans Müller fügen und Schlager von Robert Gilbert ("Was kann der Sigismund dafür, daß er so schön ist"), Robert Stolz ("Die ganze Welt ist himmelblau" , "Mein Liebeslied muß ein Walzer sein"), Bruno Granichstaedten ("Zuschaun kann i ned") einarbeiten. Die begeisterten Kritiken nach der Premiere am 8. November 1930 in Berlin ließen ihn kalt.

Die vielen Mitarbeiter erweckten den Eindruck, "als sei der Hauptunternehmer, also ich, faul gewesen oder als sei ihm zu wenig eingefallen". Das Werk ist nicht "organisch" entwickelt, keine "durchgedachte, ausgefeilte, selbständige Arbeit", insgesamt fehlen "künstlerische Werte". So steht es in einem der 24 unveröffentlichten Tagebücher, die Benatzky von 1919 bis zu seinem Tod 1957 führte. Sie sind nun mit dem gesamten künstlerischen Nachlaß - sechs laufende Meter, darunter fünfzig Bühnenwerke und 2 000 Chansons - an das Musikarchiv der Berliner Akademie der Künste gegangen. Durch die Nachlässe Friedrich Hollaenders, Eduard Künneckes und Jean Gilberts ist es mittlerweile das führende Archiv für die "schwere Kunst der leichten Muse", wie Direktor Wolfgang Trautwein auf einer Pressekonferenz erklärte.

Inge Jens, als Herausgeberin der Tagebücher Thomas Manns in diesem Genre wohl erprobt, nennt Benatzkys Diarien "das Vermächtnis eines Autors von Rang", um deren Publikation sie sich deshalb bemüht. Der Verfasser selbst sprach von seinem "Ich-der-Welt-entsage-Buch" und "Mein-Gott-was-ich-ertrage-Buch". Über die Stimmungen in der Weimarer Republik, über Emigration und Nachkriegszeit geben Benatzkys Tagebücher ebenso Auskunft wie über die eigene Arbeit, private Probleme, alltägliche Kuriositäten - in wortmächtiger und anschaulicher, distanziert-humorvoller Darstellung. Manchmal findet sich auch Gereimtes: "Alle Blätter sind schon gelber / Kürzer wird das Tageslicht. -/ Menschenskind, det wees ike selber, / allens, nur keen Herbstjedicht!" (28. Oktober 1932)

Rudolph Josef Frantisek Benatzky, geboren am 5.Juni 1884 in Mährisch-Budwitz, war gelernter Leutnant, promovierter Germanist und studierte bei Anton'n Dvorak in Prag und Felix Mottl in München. Benatzky reüssiert als Entertainer in der Wiener Cabaret-Szene und wird 1910 musikalischer Leiter der Münchener Kleinkunstbühne "Bonbonniere". Bereits seine erste Operette, "Liebe im Schnee" (1916), wird ein Erfolg, insbesondere das Lied, in dem er definiert, was eigentlich ein Schlager ist: "Was jede Köchin summt, was jeder Kutscher brummt, was jeder kleine Schusterbub pfeift, der Dümmste begreift, ans Idiotische streift, was jeder Säugling brüllt, was jedes Werkel 'spüllt', was jeden zur Verzweiflung bringt, bis er's selber singt!"

Daneben bleibt Benatzky der kleinen Form treu. Für seine erste Frau, die Wiener Diseuse Josma Selim, bürgerlich Hedwig Fischer, komponiert und textet er unzählige frivole Chansons, mit denen das Paar 14 Jahre lang Konzerttourneen in ganz Europa absolviert. Die internationale Karriere ändert jedoch nichts an Benatzkys kritischem Blick. "Der Wiener hat kein Empfinden für Selbstironie (...) und nimmt Selbstpersiflage bitter ernst, betrachtet das als ein Unrecht, das ihm zugefügt wird und 'schmollt' wie ein kleines Kind." (1928).

Über die Deutschen urteilt er 1919 nach einer Reise nach Rügen: "Aber man lernt den Haß der ganzen Welt gegen dieses Volk verstehen! Dieses Laute, dieses Unzivilisierte, dieses Grobe, dieses 'Nepperisch-Unreelle', dies Aufdringliche, Varietémäßige, Unvornehme überall! Nicht ein bißchen Stilgefühl, nicht das kleinste Empfinden für Takt!" 1928 attestiert er ihnen bündig "Präpotenz, Selbstüberhebung, Besserwisserei".

Ab 1927 lebt Benatzky in Berlin, der kulturellen Metropole des Kontinents. Nach Josma Selims Tod heiratet er die jüdische Tänzerin Mela Hoffmann, mit der er bereits 1932 in die Schweiz emigriert. Denn Benatzky macht sich über die politische Entwicklung keine Illusionen: "Ist es nicht grauenvoll, daß nicht einmal 20 Jahre lang die unschilderbaren Schmerzen des Krieges in Erinnerung blieben? Alles starrt von Waffen, Frankreich hat die zweijährige Dienstzeit eingeführt, Deutschland gestern

die allgemeine Wehrpflicht. Sogar die brave Schweiz bewilligt einen Riesenkredit zur Erstärkung ihrer Wehrmacht. Jeder hat das Maul mit 'Frieden' voll - parvis pacem para bellum rüstet sich zu Tode. Wie eine Frau die schönen Kleider, die sie kriegt, nicht dazu hat, sie im Kasten hängen zu lassen, so werden die Staaten ihre Waffen nicht für die Heeresmuseen angeschafft haben. Grauenvoll!" (17. März 1935)

Am 9. August 1936 besucht er die Salzburger Festspiele: "Die Straßen wimmeln vor Hermlinmänteln, Fracks, Smokings. In der Halle Abendkleid an Decolleté und Frack an Uniform. Alle Sprachen der Welt. Im Theater selber, das eher wie ein großer Bauerntanzsaal, mit seinem braunen Gebälk und der Pawlatschen aussieht - es fehlen nur die Papiergirlanden querüber - ein voller Tausend aller derer, die bei einer Sensation dabei sein müssen. (In Spanien krepieren im gleichen Augenblick Granaten in den Straßen, Granaten, die Brüder auf Brüder abfeuern.)"

Nur "ein wenig" kommen ihm in Grinzing bei Wien die Tränen, als 1934 ihm zu Ehren (er schrieb die Wienerlieder" "Ich muß wieder einmal in Grinzing sein", "Ich weiß auf der Wieden ein kleines Hotel") eine Gedenktafel angebracht wird. "Die Hülle fällt, fackelbeleuchtet gleiße ich mir in gelbem Bronzeton entgegen, weiß leuchtet mir das Ralph Benatzky in Blocklettern entgegen, das andere kann ich nicht entziffern."

Nach vergeblichen Bemühungen um Einbürgerung in die Schweiz emigriert er 1940 in die USA. Jedoch findet er sich weder in Hollywood noch in New York zurecht, bleibt fremd, weil er sich nicht mit der alleingültigen Methode der kommerziellen Kunstproduktion anfreunden kann: "Es ist vollkommen zwecklos und vergeudet Energie, gegen diese Mentalität als Europäer ankämpfen zu wollen. Was uns gefällt, lehnen sie da mit dem Schlagwort 'Sentimental' ab, und was ihnen gefällt, finden wir wieder zum Speien." (22. Juni 1938, Hollywood). Er versucht dennoch, jeden Strohhalm zu ergreifen, um wieder vernünftig arbeiten zu können, und muß 1941 erkennen: "Es war Alles umsonst! Ich passe nicht herein in dieses Milieu von Theater-Gangstern und billigen, skrupellosen Nur-Job-Haschern." Die Folge ist "trostlose Inaktivität". Dennoch schlägt Benatzky lukrative Angebote aus Deutschland aus, die ihn bis zum Kriegseintritt der USA 1941 erreichen. Immerhin hatte er für den Topstar der UFA, Zarah Leander, mit "Yes, Sir!" und "Ich steh' im Regen" ("Zu neuen Ufern", 1937, Regie: Detlef Sierck) Welthits geliefert.

1946 kehrt das Ehepaar mit der frischen amerikanischen Staatsbürgerschaft in die Schweiz zurück. In Europa aber ist Ralph Benatzky kein Name mehr. Durch sieben Jahren transatalantisches Exil ist er, wie viele andere, in Vergessenheit geraten. Zwar erfreuen sich seine Werke ungebrochener Beliebtheit und die Tantiemen fließen, doch der Komponist konstatiert 1950: "Es ist, als wäre ich schon tot, keine Aussichten. Niemand kümmert sich um mich, und ich weiß nicht, was ich tun soll. Es hat so gar keinen Sinn, etwas zu arbeiten, Chansons, Stücke, Einakter, für was, für wen? Radio Zürich habe ich geschrieben, mich offeriert, nicht einmal geantwortet haben diese Bestien." Der fast Siebzigjährige ist "im Geheimen" so verbittert, "daß ich nichts Neues mehr schreibe - außer Kreuzworträtsel lösen." (2. Februar 1953, Zürich).

Ralph Benatzky, der Großmeister der Kleinkunst, der gerne ein Großkunstmeister geworden wäre und sich ob seiner "dichterisch-kompositorischen Großindustrie" (1925) selbst "Benutzky" nannte, war sich der Vergeblichkeit seiner Ambitionen und der Vergänglichkeit seiner Werke stets bewußt. Schon 1930, auf dem Höhepunkt des Ruhms, notiert er nach Abschluß der Operette "Cocktail":

"Und nichts wird bleiben als der Eintagserfolg einer Melodie, die gewöhnlich die dümmste von allen ist, niemand wird sich die Mühe nehmen, in das Werkchen hineinzuschauen, wie nett gefügt die Räderchen sind, wie hübsch die Spindeln sitzen, um die sich das Uhrwerk des Szenenablaufes dreht, wie weit ab von Durchschnittsware dies kleine Spiel ist. Niemand wird den Ehrgeiz merken, der mich bei der Arbeit beseelte, keine Kritiker, kein Publikum, nichts wird haften bleiben, als ein ungewohntes, komisches Witzwort oder eine eingängige Melodiezeile." Ralph Benatzky starb am 16. Oktober 1957 in Zürich.