Noch 'n Kölsch, bitte!

Köln, die vollgekackte Stadt.

Die Stadtporträts erscheinen im Februar 1998 in dem von Jürgen Roth und Rayk Wieland herausgegebenen Band "Öde Orte. Ausgewählte Stadtkritiken von Aachen bis Zwickau" bei Reclam Leipzig.

Ursprünglich hätte ich mir nie träumen lassen, nach Köln zu ziehen.

Ich war 'n paarmal da, früher, schon in den sechziger Jahren, aber wenn mir diese Frau nicht begegnet wäre, die irgendwie nicht dazugehörte, die paßte überhaupt nicht zu dieser städtebaulichen Mißgeburt, dieser kriminellen Anhäufung von Palazzo Prozzi und Scheußlichkeiten in Beton und Sandstein, aber mit einem Schuß Alt-Nürnberg.

Ein völlig verbautes Kaff, dieses Köln. Dagegen sind Wolfsburg, Pforzheim und Berlin-Mitte urbanistische Perlen, und die sind schon ein Fanal für den Untergang des Abendlandes. Denk nur mal an die Reichsparteitagsarchitektur vom Gerling-Konzern.

Also, nä, Köln, nie im Leben, wenn diese Frau nicht gewesen wäre. Und jetzt, wo ich zehn Jahre da bin, muß ich dir sagen: Ich habe recht gehabt!

Was das menschliche Leben betrifft in dieser deutschen Pissoirlandschaft - der Ausdruck ist nicht von mir -, verfüge ich dagegen über keine besonderen Erfahrungen.

Ich sitze in meinem Kiez, lauter nette Leute, "Guten Tag, wie geht's, sieht man dich auch mal wieder", dabei haben wir uns erst gestern nacht um eins das letzte Mal gesehen, als die Stühle hochgestellt wurden, und die fünfhundert Meter im Radius verlasse ich eigentlich nur, wenn's sein muß, schon wegen der vollgekackten Bürgersteige.

Ich bin wirklich viel rumgekommen in meinem langen Leben, Paris, Madrid, Rom, Kopenhagen, aber nirgends habe ich eine Zivilisation erlebt, die so ungeniert ihre Stadt vollscheißt wie der Kölner Hundehalter.

Nicht nur die Bürgersteige, nein!

Am liebsten scheißen sie aufs öffentliche Grün, gibt ja nicht viel, wo man sich mal hinsetzen könnte, wenn's schön wird, oder diese Straßenverschönerungen, die neuerdings überall aus dem Boden gestampft werden, wirst du vielleicht schon gesehn haben.

Da werden also mit viel Getöse und gartenbauamtlichen Mitteln gewisse Boulevards geschaffen in den Wohnvierteln, Bäume und Blumenrabatten links und rechts, ein breiter Kiesweg in der Mitte, den sie mit Eisenrohren garnieren, und überall Poller, damit die bescheuerten Autofahrer, die sich auf der Nordsüdfahrt umzubringen versuchen, diese neumodischen Anlagen nicht auch noch zuparken.

Aber was ist, wenn du denkst: Jetzt geh' ich da mal spazieren? Total zugeschissen!

Um alles kümmern sie sich: Klagemauer auf der Domplatte? Muß weg, Schandfleck! Zigeuner, Roma, Fixer, Straßenmusiker, Penner, Bauwagen, Hausbesetzer, Fahrradfahrer? Schandfleck, muß weg!

Nur da, wo der Mensch sich mal ein bißchen die Beine vertreten könnte, wegen der Wadenkrämpfe, die man vom Kölschtrinken kriegt. Früher, als man jung war, haben einem nie die Beine weh getan, wenn man morgens aufstand, aber da hat man auch noch mehr Pils gezischt.

Trinkst du auch noch einen? Na bitte. Zwei Kölsch, Ernesti, dann ist aber Schluß für heute. Wo waren wir stehengeblieben? Ah ja.

So ist das in Köln. Ihr Köter ist ihnen heilig. Der Köter und das Auto. Je größer, desto besser, weil dann noch mehr Scheiße rumliegt. Nur in Köln ist es mir passiert, daß ein Nachbar zu mir sagt: "Oh! Kann man zum neuen Auto gratulieren?"

Kleines Beispiel.

Treffe ich neulich unseren Dorfpolizisten vor seinem Revier in der Elsaßstraße. Da lungern sie ja immer rum, wenn das Wetter schön ist, schlotzen ihr Eis oder schmatzen an ihrer Dönerpita.

Wenn du sie brauchst, sind sie nicht da, aber dafür haben sie Zeit. Doch, ehrlich. Bei uns im Haus ist letztes Jahr dreimal eingebrochen worden. Am hellichten Tag. Einmal haben sie den ganzen Türrahmen mit rausgebrochen.

Polizei angerufen, mal kommen sie, mal kommen sie nicht. Unternehmen tun sie nie was. Lohnt sich nicht. Höchstens daß du mal 'nen Einstellungsbescheid kriegst, wenn du Glück hast.

Wegen jedem Knöllchen gibt's ein Gerichtsverfahren, mit Zeugen, volle Besetzung, Haufen Papierkram. Aber wenn das Privateigentum, der Grundpfeiler unserer demokratischen Grunzordnung, verletzt wird? Lohnt sich nicht.

Da müssen sie schon bei einem Spitzenpolitiker in Marienburg die Orden aus der Vitrine geklaut haben, bis diese grünen Pfeifen ihren Arsch aus dem Dienstwagen liften.

Oder Körperverletzung auf offener Straße. Lohnt sich auch nicht. Da stehen sie ein bißchen blöd rum, bis der Krankenwagen abfährt, und damit hat es sich.

Du trinkst ja gar nicht?! Na, dann Prost. Noch zwei Kölsch, Ernesti, aber dann ist Schluß.

Also neulich in der Elsaßstraße: "Möchten Sie bar zahlen, oder hätten Sie lieber eine Anzeige? Mit zehn Mark sind Sie dabei."

"Wofür?"

"Einbahnstraße falsche Richtung."

Da bin ich vielleicht ein bißchen zu scharf geworden.

"Haben Sie nichts Besseres zu tun? In Köln wird alle fünf Minuten ein Einbruchsdiebstahl begangen, Aufklärungsquote Nullkommafünf pro Mille. Und Sie belästigen harmlose Radfahrer."

"Das müssen Sie schon uns überlassen."

"Und was ist mit dem da?"

"Das ist ruhender Verkehr, dafür ist die Stadt zuständig."

Nun meinte er natürlich, ich hätte die Falschparker gemeint. Die Merowingerstraße von Anfang bis Ende zweireihig zugeparkt, zum Teil schon dreireihig. Da ist kein Durchkommen, und wenn du normal geparkt hast, brauchst du Tage, bis der Abschleppwagen kommt.

Dafür war er nicht zuständig. Aber ich hatte ja auch nur den Menschen gemeint, der seinen Köter gerade auf den Bürgersteig kacken ließ, und da hörte sich das jetzt so an, als hätte dieser Polizist gesagt:

"Das Scheißen vor meiner Haustür gehört in Köln zum ruhenden Verkehr."

Das ist genau wie mit der Kunst. Kunst und Köter, da lassen sie nichts drauf kommen. Was die Kölner Stadtverwaltung für Kunst hält, das ist wie der ruhende Verkehr auf den Bürgersteigen. Werden ja permanent irgendwelche Denkmäler aufgestellt und in der Lokalpresse bejubelt.

HA Schult und sein Flügelauto zum Beispiel. Das ist Köln, wie es singt und lacht. Überall auf der Welt muß der Halter sein Fahrzeug ordentlich entsorgen, wenn er's nicht mehr durch den TÜV kriegt und stillegen will. Nur in Köln darf er es auf den Turm des Stadtmuseums stellen und behaupten, es wäre Kunst.

Aber an solchen Geschmacklosigkeiten sind in erster Linie die Lokalzeitungen schuld. Eine Schlagzeile wie "Mit achtzehn schon Jungfrau" wäre auch nur in Köln möglich. Oder daß ich wochenlang mit der Lebensgeschichte eines Pferdehändlers gepeinigt werde, nur weil er im Zweitberuf Karnevalspräsident war.

Ich hab' mir mal die Mühe gemacht und im Express nachgezählt, wie oft King Size Dick oder dieser HA Schult und seine Muse erwähnt werden. Das ist die, die nicht mehr alle Kaffeekannen im Schrank hat, weil sie so viele davon hat, daß sie nicht mehr alle reinpassen.

Es ist unglaublich! Wenn du in Köln die Zeitung aufschlägst, könntest du meinen, die Welt besteht nur aus dem Herausgeber, ein paar Callgirls, die erfolgreiche Porno-Filme machen, einigen Schreckschrauben, die mit Versicherungsfritzen und Bierbrauern verheiratet sind und auf Parties für schlechte Kunst schwärmen, Willy Millowitsch, Wolfgang Niedecken, Trude Herr ihrer Nichte und der Bockmist-Theatergruppe, den versammelten Deppen von EMI Elektrola und einer gewissen Frau Käse oder Kessel, die im Mustöpfchen hockt.

Die Bevölkerung kommt praktisch nur vor, wenn sie schunkelt und ihre Kinder aus dem Fenster wirft.

Ich kann jetzt nicht alle Abartigkeiten aufzählen, durch die mir diese Stadt in den vergangenen zehn Jahren ans Herz gewachsen ist.

Ein Hauptpluspunkt sind sicher die vielen Ausländer. Ohne die hätte ich's nicht so lange ausgehalten. Die sind dermaßen verwurzelt hier, daß sie sich zum Teil schon genauso aufführen wie der Deutsche.

Aber die Vorteile überwiegen zweifelsohne. Du brauchst zum Beispiel nicht mehr in Urlaub zu fahren, wenn du mal in einer italienischen Bar ganz ohne Deutschland sein willst, brauchst du nur zweimal über die Straße zu gehn, kriegst prima Lammfleisch, und keiner zuckt zusammen, wenn du zugibst, daß du immer noch Kommunist bist, weil der Deutsche ja praktisch weltweit die einzige Spezies ist, die den Kommunismus so haßt wie der Kölner den Arbeitsmarkt.

Na ja. Ist auch nicht alles. Das Leben geht vor. Zwei Kölsch noch, Ernesti, oder meinst du, wir hätten genug für heute? Na bitte, sag' ich doch.

Ob du hier bleibst oder nicht, ist gehuppt wie gesprungen. Oder meinen Sie, Zürich ist eine andere Stadt? Oder Stuttgart? Na bitte. Da kannst du genausogut in Köln bleiben.

Ich geh' manchmal ins Völkerkundemuseum. Ist gleich bei mir um die Ecke. Ganz hübsch. Nur die Blickrichtung ist falsch. Wie schon der Dichter sagt: "Warum denn in die Ferne schweifen?"

Die wahren Abartigkeiten liegen nicht in der Südsee, am Polarkreis oder in Schwarzafrika. Die find'st du hier in Köln. Ein Eldorado für Ethnologen.

Na, dann Prost. Bevor die Nordsee kommt. Mein Vorschlag: Zaun drum, Schild davor, Eintritt nehmen!

Peter O. Chotjewitz ist Schriftsteller, Übersetzer und Jurist. Er lebt in Stuttgart. Am 28. Oktober liest Chotjewitz im Berliner "Kato", Kreuzberg, Schlesisches Tor, 20 Uhr.

In der nächsten Ausgabe schreibt Dietrich zur Nedden über Hannover: "Die Stadt everybody loves to hate"