»Ausgrenzung hilft den Rechten«

Saalfeld-Debatte: Der Handlungsspielraum der Gewerkschaften ist beschränkt, aber ohne Bündnisarbeit läuft nichts

In der letzten Ausgabe von Jungle World (43/97) kritisierte Kay Claus aus der autonomen Antifa das zögerliche Verhalten von Teilen des Saalfeld-Bündnisses nach dem Verbot der Demo am 11. Oktober. Heute antwortet ihm Angelo Lucifero von den GewerkschafterInnen gegen Rassismus und Faschismus, der einer der Anmelder der Demonstration war.

"Im Gegensatz zu den beteiligten Gewerkschafts- und Parteikreisen ließen sich die Autonomen durch das Verbot nicht kaltstellen." Gut gebrüllt. Und doch müssen dieser kritischen Feststellung von Kay Claus noch einige hinzugefügt werden. Die Protestaktionen am 11. und 12. Oktober, an denen sich auch viele GewerkschafterInnen beteiligten, haben eine große Bedeutung. Durch sie wurde das Thüringer Bündnis, anders als es die Koalition der Mitte zur Wahrung von Law and order wollte, gestärkt. "Gepfeffert", wie Kay Claus fordert, wird die Antwort allerdings nur dann sein, wenn es uns gelingt, viele Menschen auch und vor allem in Saalfeld zu gewinnen. Die "Front" verläuft nämlich nicht zwischen uns und den Menschen, die durch die Medien aufgehetzt wurden, oder nicht die notwendige Courage haben, sich zur Wehr zu setzen.

Wer an diesem Bündnis weiterarbeiten will und nicht nur nach der Bestätigung der eigenen Haltung sucht, muß sich mit den Handlungsbedingungen der Bündnispartner auseinandersetzen. Und die sind für die Gewerkschaften eher schwierig. Durch Resignation und Frust aus den verlorenen Kämpfen der letzten Jahre sind jene nicht gerade derart gestärkt, sich an die Spitze von spontanen Aktionen zu stellen. Auch ich hätte mir eine Reaktion gewünscht, wie sie vor einigen Jahrzehnten erfolgte, als in Frankfurt/Main eine gewerkschaftliche Demonstration gegen die NPD verboten wurde: Mehr als 20 000 GewerkschafterInnen demonstrierten trotzdem. Ein Aufruf, in Saalfeld trotz Verbot zu demonstrieren, hätte jedoch nur dazu geführt, daß noch mehr Personen in das Sondergefängnis gesperrt worden wären. Hätten die VeranstalterInnen der Demonstration Menschen, von denen viele sehr jung waren, bewußt in diese Situation getrieben, wäre dies mehr als verantwortungslos und das Ende des Bündnisses gewesen.

Da Gewerkschaften Mitglieds- und keine Kaderorganisationen sind, sind sie, wenn auch gebrochen, der Entwicklung des Zeitgeistes und der Beeinflussung durch die Massenmedien ausgesetzt. Und diese sind minderheitenfeindlich, antidemokratisch, rassistisch und voller Gleichgültigkeit gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen. Viele Mitglieder quittieren jetzt schon die Haltung der Gewerkschaften zur Saalfelder Demonstration mit Austritt. Ich habe leider noch keine Austrittserklärung lesen können, die uns vorwarf, daß wir inkonsequent waren. Wenn das passiert, lade ich Kay zu einem italienischen Mahl ein!

Die GewerkschafterInnen haben am Wochenende versucht zu tun, was sie angesichts der Handlungsbedingungen und dem Druck in den eigenen Reihen tun konnten: Sie haben sich bemüht, zu deeskalieren und gegen die Kriminalisierung vorzugehen. Ein Blick auf die nachfolgende Berichterstattung im Landkreis und die Äußerungen der Lokalpolitiker zeigt, wohin der Zug gehen soll. Während in der Medienschlacht vor der verbotenen Demo tunlichst unterlassen wurde, die Gewerkschaften auch nur zu erwähnen und sich der ganze Haß auf "die Chaoten" und auf mich entlud, richtet sich jetzt die Propaganda gegen die Gewerkschaften, die als offensichtlich doch wichtig erkannte Säule des Bündnisses geschwächt werden sollen. Das ist praktizierter rechter Konsens.

Wie soll es nun weitergehen? Aufrufe und Plakate, die der Propaganda des rechten Konsenses in die Hände gearbeitet haben, dürfen sich nicht wiederholen. Ich meine unter anderem Publikationen, die fälschlicherweise das Jugend- und Kulturzentrum Gorndorf als "nationales Jugendzentrum" stigmatisiert haben und das bundesweite Plakat, das vom Landratsamt und der veröffentlichten Meinung als Nahrung für die Gewaltthese benutzt werden konnte. Dieser Aktionismus half nicht, die Suppe zu pfeffern, sondern zu versalzen. Wer will, daß der rechte Konsens in Saalfeld zumindest in die Defensive getrieben wird, muß im Bündnis mit lokalen Initiativen und Organisationen gegen eine Politik der verbrannten Erde und falsche "Fronten" wirken und eine Debatte mit den EinwohnerInnen führen. Die Vorbereitungen dazu laufen - nicht gegen "kaltgestellte Gewerkschaftskreise", sondern mit deren aktivem Einsatz.

Mit einer Reihe lokaler und landesweiter Veranstaltungen soll das Thüringer Bündnis gegen den rechten Konsens gestärkt werden. Die GewerkschafterInnen werden darauf drängen, daß zu Beginn des Jahres in Saalfeld eine große und friedliche Demonstration durchgeführt wird. Das nächste Verbot kommt bestimmt! Wer selbstgefällig ein Wahrheitsmonopol beansprucht, grenzt viele Menschen, die für Antirassismus und Antifaschismus zu gewinnen sind, aus, isoliert die Antifa, zerschlägt das Bündnis und übergibt die Hegemonie endgültig dem rechten Konsens.