Dresden will Kirche im Dorf lassen

Der geplante Neubau einer Synagoge in Dresden löst eine Welle antisemitischer Reaktionen aus

"In den Veröffentlichungen der letzten zehn Jahre habe ich gelernt, daß alle Völker seit Jahrhunderten die Juden totgeschlagen oder wenigstens vertrieben haben. Das kann doch nicht an den Völkern, das muß an den Juden liegen. Ich bin 66 Jahre alt und muß in dieser Sache nichts mehr lernen." So stand es Anfang August in einem Leserbrief an den Dresdner Wochenkurier. Der Anlaß: Knapp einen Monat zuvor hatte eine aus Städtebauexperten, Architekten und Vertretern von jüdischen Gemeinden zusammengesetzte Jury fünf von 57 eingereichten Entwürfen für den Neubau einer Synagoge in Dresden prämiert.

Mitte August entschied sich dann die jüdische Gemeinde für einen Entwurf, doch die Widerstände gegen den Bau sind damit noch lange nicht aus dem Weg geräumt. Neu ist die Diskussion um den Synagogenbau nicht. Doch nun wird sie zum erstenmal in großem Rahmen und öffentlich ausgetragen. Und zum erstenmal melden sich die Gegner des Baus lautstark zu Wort. Bis zur Ausschreibung des Architektenwettbewerbes im April dieses Jahres waren lediglich vereinzelt Stimmen zu hören, die auf die Notwendigkeit einer neuen Synagoge hinwiesen. So hatte der Ehrenvorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Pfarrer Siegfried Reimann, bereits im März 1995 das Ungleichgewicht zwischen dem Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche und dem Nichtvorhandensein einer Synagoge kritisiert. Schließlich sei die Vernichtung der Synagoge 1938 der Auftakt des Holocaust gewesen, die Zerstörung der Frauenkirche die Folge des deutschen Kriegs. Das werde über den Wiederaufbau der Frauenkirche vergessen.

Eineinhalb Jahre später, Ende Oktober 1996, gründete sich dann unter Schirmherrschaft der Bischöfe der katholischen und der evangelischen Kirche, des sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf und des Dresdner Oberbürgermeisters Herbert Wagner der Förderkreis "Bau der Synagoge in Dresden". Neben der Erstellung von Finanzierungskonzepten und der Begleitung der Entwürfe und Bauplanungen sollte auch die Aufklärung der Öffentlichkeit eine Aufgabe des Förderkreises sein. Geglückt scheint diese bis jetzt noch nicht.

"Bei dem momentanen Haushaltsloch ist es unverantwortlich, neue Forderungen aufzumachen", äußerte zum Beispiel die Junge Union per Fax ihren Unmut über die Entscheidung der Stadt Dresden, je 100 000 Mark als Anschubfinanzierung für die Jahre 1997 und 1998 zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus hatte die Stadt ihre Absicht erklärt, genau wie bei der Frauenkirche zehn Prozent der Baukosten zu übernehmen. Doch dem JU-Kreisvorsitzenden Lars Kluger ist das zuviel. Statt dessen solle sich der ja ohnehin mit Landesmitteln unterstützte Förderkreis aktiver um Spenden bemühen und mit diesen den Synagogenbau realisieren. Und auch bei der Jüdischen Gemeinde gingen Briefe ein, die das Bauprojekt wegen Finanzaufwandes angriffen oder seine Notwendigkeit ganz bezweifelten.

Die Jüdische Gemeinde wertet diese Briefe, wie den oben zitierten Leserbrief zwar als extreme Einzelreaktionen. Doch auch die verschwindend geringe Spendenbereitschaft der Bevölkerung ist zumindest Ausdruck von Interesselosigkeit, wenn nicht von stillschweigender Ablehnung des Baus. Während für die Frauenkirche jährlich rund 15 Millionen Mark gespendet werden, konnte der Förderkreis bis September dieses Jahres lediglich gut 200 000 Mark sammeln. Deshalb gibt es in der Jüdischen Gemeinde mittlerweile auch Kritik am bisherigen Spende-Sammel-Konzept. Statt auf Banken, Institutionen und wohlhabende Einzelpersonen sollte mit Aktionen und Aufrufen auf die Bevölkerung zugegangen werden. Sie sei es, die mit dem Vorhaben vertraut gemacht werden müsse, um es zu verstehen, zu akzeptieren und dann auch zu unterstützen. Insgesamt werden die Kosten für den Bau der Synagoge auf 20 bis maximal 25 Millionen Mark geschätzt. Zum Vergleich: Der von allen Seiten engagiert unterstützte Wiederaufbau der Frauenkirche wird etwa zehnmal soviel Geld verschlingen. Etwas stimmt also nicht an der Rechnung des CDU-Fraktionschefs Ludwig Dieter Wagner, wenn er verkündet, die Stadt würde beide Projekte im gleichen Umfang unterstützen, weil sie jeweils zehn Prozent der Gesamtinvestitionen übernimmt.

Der Grundstein für die neue Synagoge soll am 9. November 1998 gelegt werden - 160 Jahre nach Baubeginn der Semperschen Synagoge und 60 Jahre, nachdem diese in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstört worden war. Den Abbruch der Brandruine mußte die Jüdische Gemeinde damals selber zahlen, die Steine verwendeten die Nazis zum Straßenbau. Zwölf Jahre später, im Herbst 1950, wurde die Begräbnishalle auf dem Neuen Jüdischen Friedhof zur Synagoge umfunktioniert und geweiht. An den Standort der früheren Synagoge erinnert heute nur noch eine schlichte Stele. Von den 6 000 Mitgliedern der Dresdner Jüdischen Gemeinde vor 1933 überlebten 174 den Nationalsozialismus. Durch den Zuzug russischer Juden ist die Dresdner jüdische Gemeinde, die 1989 nur noch etwa 60 Mitglieder zählte, wieder auf 130 Mitglieder angewachsen. Auch deshalb wird eine Alternative zur provisorischen Synagoge, die nur 120 Menschen Platz bietet, dringender.

Die Gemeinde gibt sich, was die Realisierung des Neubaus angeht, in jeder Hinsicht optimistisch. Allerdings scheint der Gemeindevorsitzende Roman König seinem eigenen Optimismus im Hinblick auf das Wohlwollen in der Bevölkerung nicht zu trauen. Einen Tag vor der Bekanntgabe der Entscheidung im Architektenwettbewerb versuchte er, die Dresdner Bevölkerung mit den Worten zu beruhigen: "Wir wollen auf keinen Fall provozieren. Die Synagoge wird durch ihre Bauart auch gar nicht unbedingt als solche erkennbar sein."