Sankt Florian in Ginnheim

Ein Frankfurter Stadtteilparlament wehrt sich gegen den Neubau einer jüdischen Schule

In dem sich gern liberal gebenden Frankfurt am Main will keiner einen Skandal. Doch ein kleines, politisch eher unbedeutendes Stadtteilparlament hat ihn in dem Bemühen ausgelöst, besondere Bürgernähe zu beweisen - beinahe zumindest. Inzwischen ist man eifrig bemüht, den "Schnitzer" wieder auszubügeln. Stein des Anstoßes war der geplante Neubau des jüdischen Schulzentrums in der Platenstraße in Frankfurt-Ginnheim, gegen den sich Bürger und eine Koalition von Christ- und Freien Demokraten sowie der Grünen und Republikaner heftig wehrten. Lediglich die SPD stimmte im Ortsbeirat für den Neubau.

"Hier ist doch niemand antisemitisch." Beate Hunger ist sauer. Die Pressesprecherin der Interessengemeinschaft der ehemaligen amerikanischen Liegenschaften (Ideal) ärgert sich darüber, daß ihrer Initiative und vielen Anwohnern Antisemitismus vorgeworfen wird, weil sie - nach ihrem Verständnis - keine weitere Schule in ihrem Wohnquartier haben wollen. Sie würden sich auch gegen jede andere Schule wehren. Ortsvorsteher Hans-Günter Müller (CDU) argumentiert, der Schulneubau würde eine Freifläche, einen der letzten Treffpunkte für Jugendliche zerstören - gemeint ist eine asphaltierte Fläche, auf der gelegentlich Jugendliche Rollschuh laufen. Und die Grünen fürchten mehr Straßenverkehr durch den Neubau. Mit "800 bis 900 Autobewegungen am Tag" rechnet Peter Steinberg von den Grünen im Ortsbeirat. "Das Gebiet ist voll. Es darf keine weitere Verdichtung geben."

Im Frankfurter Römer, dem Stadtparlament der Bankenstadt, ist man dagegen entsetzt über den Widerstand vor Ort. "Angesichts der deutschen Geschichte", so Kulturdezernentin Linda Reisch (SPD) zum Verhalten der Stadtteilpolitiker, "ist das der blanke Wahnsinn". Schuldezernentin Jutta Ebeling, Sprecherin der Grünen Magistratsgruppe im Römer, hält die Argumentation der Ortsbeiratsmehrheit für "an den Haaren herbeigezogen". Dabei sei auch "die Position der Grünen vor Ort befremdlich". Sie wirft ihren Parteikollegen zwar keinen Antisemitismus, aber eine "kinderfeindliche Argumentation" vor. Auch der CDU-Fraktionsvorsitzende Edwin Schwarz schüttelte über seinen Parteifreund Müller den Kopf: "Wir haben ein Problem mit ihm - wir können ihn leider nicht bremsen." Und Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) läßt ungeachtet der Irritationen versichern: "Es bleibt bei der Entscheidung des Magistrats", dem "Ja" zur Schule.

Ortsvorsteher Hans-Günter Müller wollte sich diese Anweisung von oben nicht gefallen lassen und schrieb einen Brief an die Landesregierung. Diese sollte klären, ob die Stadt überhaupt die Kompetenz habe, in dieser Sache in seinen Stadtteil hineinzuregieren. Inzwischen glaubt Müller allerdings, eine Lösung gefunden zu haben, bei der sich beide Seiten ohne Gesichtsverlust aus der Affäre ziehen können: Der Ortsbeirat revidiert seinen Beschluß und stimmt dem Schulbau zu. Als Gegenleistung bekommt er Unterstützung bei der Errichtung eines "Vereinshauses mit Krabbelstube" - als Ersatz für die Jugendlichen. Schließlich sei gerade für "farbige Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen" ein Treffpunkt wichtig, wie Müller betont. Dieses Tauschgeschäft sei mit einigen Stadtpolitikern bereits abgesprochen, und einen entsprechenden Antrag für die kommende Ortsbeiratssitzung hat die Ginnheimer CDU-Fraktion auch schon eingebracht.

Die Platen-Siedlung, in der die jüdische Schule entstehen soll, war bis in die neunziger Jahre eine umzäunte "Housing area" der hier stationierten amerikanischen Truppen. Als diese abzogen, wurde an vielen Stellen Frankfurts der so dringend benötigte preiswerte Wohnraum für Familien frei, die sich keine teuren Eigentumswohnungen leisten können. Vor gut einem Jahr sind die ehemaligen US-Wohnungen bezogen und die neuen Mieter mit einem Fest begrüßt worden. Viele nicht so begüterte Familien mit Kindern, die sich keine Privatschule leisten können, waren darunter, auch viele Ausländer. Schon da gab es Naserümpfen im gutbürgerlichen "Dichterviertel", dessen Straßennamen an deutsche Dichter und Denker erinnern. Und dort auch noch eine jüdische Schule? Das scheint einigen in Ginnheim endgültig zu viel zu sein.

Die Ortsbeirats-Mehrheit stellte ihrer Ablehnung eine Passage voran, in der sie ausdrücklich begrüßt, "wenn jüdische Kultureinrichtungen wie zum Beispiel die jüdische Schule, in Frankfurt wieder eine größere Rolle spielen". Nur, das Areal an der Platenstraße sei "dafür denkbar ungeeignet". "Sankt Florian" nennt Ignatz Bubis, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, dieses Prinzip. Doch die zweitgrößte jüdische Gemeinde in Deutschland will bewußt kein Öl ins Feuer gießen und vermeidet deshalb, den Stadtteilpolitikern Antisemitismus vorzuwerfen. Auch Stefan Szajak, Verwaltungsdirektor der Gemeinde, urteilt nüchtern: "Wenn in Frankfurt gebaut wird, ist immer jemand dagegen."