Eine Zwei-Mann-Zelle

In Düsseldorf beginnt der Prozeß gegen die beiden mutmaßlichen AIZ-Mitgliedera

Gerichtsprozesse sind in der Regel wenig unterhaltsam. Vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf beginnt am Donnerstag dieser Woche jedoch ein Verfahren, das zumindest nicht langweilig zu werden verspricht. Vor den Richter treten müssen in Düsseldorf zwei Männer, die den einen als Top-Terroristen gelten und anderen als völlig durchgeknallte Spinner. Die beiden ehemaligen Physikstudenten Bernhard Falk und Michael Steinau sollen Mitglieder der Antiimperialistischen Zelle (AIZ) und in den Jahren 1994 und 1995 an insgesamt sechs Sprengstoffanschlägen maßgeblich beteiligt gewesen sein. Weil sie dabei auch die Tötung von Menschen "billigend in Kauf genommen" hätten, sind sie von der Bundesanwaltschaft (BAW) auch des fünffachen Mordversuchs angeklagt.

Die "Deeskalationserklärung" der Roten Armee Fraktion (RAF) im April 1992 gilt gemeinhin als die Geburtsstunde der Antiimperialistischen Zellen. Ausführlich begründete damals die RAF ihre Entscheidung, die "Eskalation zurückzunehmen" und "Angriffe auf führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat" einzustellen. Als unmittelbare Reaktion darauf meldete sich die bis dato unbekannte Antiimperialistische Zelle zu Wort. Dabei verbreitete die AIZ allerdings lediglich aus alten RAF-Papieren entlehnte Politikversatzstücke, die mehr den Eindruck von konzeptionslosen Durchhalteparolen vermittelten, denn die Fähigkeit revolutionärer Gesellschafsanalyse. Die AIZ beharrte in ihrer Erklärung vor allem auf der Fortführung des "bewaffneten Kampfes".

Im November 1992 läßt die AIZ Taten folgen. Ein Brandanschlag auf die juristische Fakultät der Universität Hamburg verursacht einen Sachschaden von 1,5 Millionen Mark. Das Bekennerschreiben thematisiert die Rolle der Fakultät während der NS-Zeit und bei der Kommunistenverfolgung im Nachkriegsdeutschland. Nach dem Tod von Wolfgang Grams in Bad Kleinen übernimmt die AIZ die Verantwortung für einen Brandanschlag auf die Wohnung eines ehemaligen GSG-9-Beamten. Im November 1993 werden dann von bisher unbekannten AIZ-Mitgliedern mehrere Schüsse auf das Gebäude des Gesamtverbandes der Metallindustrie in Köln abgegeben.

Bei den danach verübten Anschlägen sollen dann Falk und Steinau ihre Finger im Spiel gehabt haben: In der Nacht des 5. Juni 1994 detonieren vor einer Kreisgeschäftsstelle der CDU zwei Rohrbomben. Im September des gleichen Jahres ist das Parteibüro der FDP in Bremen Ziel eines Anschlags. Vor dem Wohnhaus des ehemaligen parlamentarischen Staatssekretärs Volkmer Köhler explodiert in der Nacht zum 22. Januar 1995 ein Sprengsatz. Drei Monate später ist das Wohnhaus des Bundestagsabgeordneten Josef-Theodor Blank (CDU) Ziel einer AIZ-Bombe. Im September 1995 explodiert an der Haustür des verteidigungspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Fraktion Paul Breuer ein Sprengsatz und am 23. Dezember vor dem Bürogebäude des Honorarkonsuls von Peru in Düsseldorf ein weiterer.

Nachdem das Bedrohungspotential der RAF nach deren "Deeskalationserklärung" augenscheinlich gegen Null tendiert, bauschten die Staatsschützer die AIZ in der Öffentlichkeit zur gefährlichsten Terrortruppe im Nach-Wende-Deutschland auf. Verfassungsschützer schätzten die Zahl der AIZler - "konservativ gerechnet" - auf "25 bis 50". Manche hielten gar die Mitgliederzahl von 90 Personen für denkbar.

Die Erklärungen der Antiimperialistischen Zellen machten es dem Staatsschutz leicht, von deren Gefährlichkeit zu faseln. Vollmundig wurden seitenlang kleine Abgeordnete, die kaum ein Mensch kennt, zu entscheidenden Funktionsträgern des Systems hochgeredet, mortale Konsequenzen nicht ausgeschlossen, wenn die "potentiell tödliche Bedrohung" nicht ernst genommen werde. Zum Schluß sah sich die AIZ in einer Front mit der islamischen Revolution. "wir haben den islam als revolutionare waffe in voller schärfe und schönheit kennenlernen dürfen", heißt es im Dezember 1995 so schön poetisch in einer Erklärung. Die AIZ war schließlich politisch völlig isoliert.

Theoretischer Kopf der Gruppe soll Bernhard Falk sein. Mit Hilfe einer Sprachanalyse will die BAW belegen, daß er zu einem großen Teil die Erklärungen der AIZ formuliert hat. Bestätigt fühlt sich die BAW auch durch die Tatsache, daß Falk ebenso wie Steinau zum islamischen Glauben übergetreten ist. Beide Häftlinge werden inzwischen vom Islamischen Zentrum in Hamburg betreut. Der Schiit Falk bezeichnet sich und Steinau als "die ersten muslimischen politischen Gefangenen deutscher Nationalität". Aber so eng ist die Freundschaft zwischen den beiden Gefangenen schon nicht mehr. Steinau hat in der Haftanstalt Lübeck ausgerechnet im ebenfalls dort einsitzenden Neonazi Kai Diesner einen neuen "Freund" gefunden. Diesner hatte in Berlin-Marzahn einen linken Buchhändler mit Schüssen schwer verletzt und später einen Polizisten erschossen. Falk, der zu seinem Mitangeklagten auf Distanz gegangen ist, sieht in den Äußerungen Steinaus das Resultat der "extremen Isolationsbedingungen aller politischen Gefangenen". Steinau sei "offenbar am Rande des psychischen Zusammenbruchs".

Seit längerem muß es Hinweise auf eine mögliche Mitgliedschaft von Bernhard Falk und Michael Steinau in der AIZ gegeben haben. Das Fahrzeug von Steinau war mit einem Peilsender präpariert worden. Dadurch sei der Beweis möglich, so die Strafverfolger, daß der Wagen beim Anschlag auf das peruanische Honorarkonsulat in Düsseldorf in der Nähe des Tatortes geparkt war. Angeblich bei der Vorbereitung eines Anschlags auf den sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten Freimut Duve wurden die beiden Angeklagten dann festgenommen. Endstation für die AIZ? Dieser Frage wird sich der OLG-Strafsenat in den nächsten Monaten widmen. Fest steht lediglich, daß seit der Festnahme kein Anschlag mehr stattgefunden hat, für den eine Antiimperialistische Zelle die Verantwortung übernommen hat. Und die BAW mußte schon im Vorfeld des Prozesses eine erste Schlappe einstecken. Die für eine "terroristische Vereinigung" so dringend erforderliche dritte Person existiert nicht. Ein auf einem Sprengsatz sichergestellter und dem großen unbekannten dritten AIZler zugeschriebener Fingerabdruck gehört einem Polizeibeamten, räumte die Behörde kleinlaut ein.