Kasperle, kriegsdienstverpflichtet

In Neukölln zeigt eine Ausstellung die Rolle des Puppentheaters im Zweiten Weltkrieg

Im Puppentheater-Museum in Berlin-Neukölln ist seit zwei Wochen ein Kasperletheater zu bewundern, das einen Herrn Küppersbusch sprachlos machen würde. Kohl und Blüm und Scharping, pah! Spitting image, lächerlich! Das sowjetische Armee-Agitationspuppentheater hat mit Puppen von Göring, Goebbels, Himmler, Hitler, Mussolini und anderen gearbeitet, die die Fratze des Faschismus mit Orden, Füller und Peitsche schon von sich aus verkörpern. Wenn man sich dann verdeutlicht, daß das sowjetische Puppentheater stark am Agit-Prop orientiert war und somit politische Schärfe, formale Klarheit und Witz im Zentrum standen, läßt sich gut vorstellen, daß die Darbietungen nicht als Jahrmarkts- oder Kinderkram abgetan worden sind. Davon kann man sich ab dieser Woche selbst überzeugen: Es werden Originalaufnahmen von deutschen und russischen Aufführungen in der Ausstellung gezeigt.

An der deutschen Ostfront wurden von Anfang an Puppen kriegsdienstverpflichtet. Diese Mischung aus Idealtypen und Karikaturen eignete sich vorzüglich zur Produktion von Feindbildern und zugleich zur Stiftung von Gemeinschaftssinn. Die Theaterstücke waren Teil der verplanten Freizeitgestaltung an der Front, neben Spielfilm und Rundfunk, Darbietungen von Artisten und Sängerinnen aus der Heimat.

Der Deutsche Bund für Puppenspiele ging nach seiner Selbstgleichschaltung 1933 in Alfred Rosenbergs Kampfbund für deutsche Kultur über, der dann ab 1934 NS-Kulturgemeinde hieß. Blonde, arische Prinzessinnen wurden fortan von Bastarden und Juden bedroht und anschließend vom deutschen Kasper gerettet.

Die gern gespielten sogenannten Volksstücke erwärmten die Herzen von rotznasigen, heimwehkranken, 17jährigen Flakschützen und transportierten dabei latent politische Inhalte. Eine besondere Rolle spielte hier der Antisemitismus, wie die Puppen von Teufeln, Juden und anderen Bösen zeigen. Neben den politischen Karikaturen der militärischen Gegner, John Bull, Mr. Regenschirm, Mr. Lügenmaul u.a. stehen rassistische Stereotype wie "Neger" und "Zigeuner". Interessant sind auch die Frauenpuppen (oder Puppenfrauen? - gemeint sind Gretel, Prinzessin und die anderen) und ihre propagandistische Funktion für die Soldaten an der Front. Der Heimatschutz spielte beim Reichsinstitut für Puppenspiel, 1938 von KdF, HJ und Deutschem Gemeindetag unter der Leitung von Siegfried Raecks gegründet, immer mit. Die Massenproduktion von Mr. Regenschirm, Mr. Lügenmaul und seinen Freunden sollte Soldaten zum Laienspiel anregen, damit diese im Kameradenkreise selbst unterhaltsam sein könnten und so der "Volkstums- und Grenzarbeit" dienten. Vielleicht war aber eher eine therapeutische Behandlung der erwähnten Rotznasen intendiert, die mit Todeserfahrungen fertig werden mußten und doch geistig fit und kampfbereit zu sein hatten. Eine Eintragung in das Gästebuch von Max Jacob, einem Frontpuppentheaterspieler, die im November 1943 in Rußland gedichtet wurde, spricht Bände:

"Hier in des Teufels eigenem Land /

Ward Kasper uns durch Euch bekannt, /

Wohl uns in unserem Ringen! /

Denn wie man ab den Teufel wehrt, /

Hat Euer Kasper uns gelehrt, /

Nun muß es uns gelingen! /

Drum hebt den Kasper auf den Schild /

Es leb' des deutschen Mannes Bild /

Mit Parcevalens Wappen /

Mit Stahlhelm, Flak und Panzerturm, /

am Funkgerät im Wintersturm, /

und mit der Narrenkappen."

Doch auch in antifaschistischen Zusammenhängen hatte das Puppenspiel eine bis heute nicht in vollem Ausmaße bekannte Bedeutung, wie man schon am sowjetischen Puppentheater sehen kann. In der Tschechoslowakei, einem Land mit einer langen und lebendigen Tradition in diesem Bereich, wurde unter der Okkupation durch die Deutschen weitergespielt, entweder offen und zensiert oder konspirativ, etwa die aktuellen allegorischen Marionettenstücke von Jan Malik. Im Exil oder im Untergrund bedeutete allein das Stattfinden der Veranstaltungen schon eine Selbstbehauptung.

Auch in Konzentrationslagern wie Theresienstadt und alliierten Kriegsgefangenenlagern war das Puppenspiel verbreitet. Der relativ geringe Aufwand und die, zumindest in den Kriegsgefangenenlagern, erzwungene Tatenlosigkeit machten den Umgang mit dem Spielmaterial zu einem Weg aus Resignation und Apathie hin zu etwas Hoffnung und Lebensmut. Kasper und Konsorten sind nicht nur Propagandainstrumente, sie sind immer auch Spielzeug und Mittel zum Geschichtenerzählen.

Zwei Jahre dauerten die Vorbereitungen für diese Ausstellung, die auf eine Idee von Barbara Scheel vom Babuschka-Theater in Eppingen zurückgeht. Im Archiv des Staatlichen Puppentheaters in Moskau hatte sie diesen Schatz gehoben und den Leiter, Boris Goldowski, für den Plan gewinnen können, die Frontpuppen in Deutschland auszustellen. Bei Nikolaus Hein, dem Gründer und Leiter des Neuköllner Puppentheater-Museums war dann schnell ein Ausstellungsort gefunden, nur die Finanzierung blieb bis 1996 offen. Daß im Zweiten Weltkrieg Puppentheater an der Front und anderswo gespielt wurde, ist von HistorikerInnen, TheaterwissenschaftlerInnen und PolitilogInnen bisher nicht beachtet worden. Erst die heutigen Puppenspieler haben die Geschichte des Kasperles an der Front durch Recherchen und das Zuhören bei älteren Kollegen ans Tageslicht gebracht. Die dabei ausgegrabenen Figuren können in ihrer satirischen Schärfe leicht mit den Amateuren von "Hurra Deutschland" konkurrieren.

Bis 28. Februar 1998, montags bis freitags, 9 bis 17 Uhr, sonnabends und sonntags, 11 bis 17 Uhr, Puppentheater-Museum Berlin, Karl-Marx-Str. 135, Berlin-Neukölln.

Katalog: Dorothea Kolland (Hg.): FrontPuppenTheater, Puppenspieler im Kriegsgeschehen. Elefanten Press, Berlin 1997, 258 S., DM 29,80.

Freitag, 14. November, 20 Uhr: Vortrag von Dr. Matthias Brand und Bohumil Kostal über den Dichter Hanus Hachenburg. "Ich bin allein in der Asche nach der Flamme ..." Über ein Puppentheaterstück des 15jährigen, der in Theresienstadt ermordet wurde.