Goldhagen, an die Tafel!

Wie deutsche Historiker den Wissenschaftler Daniel Goldhagen demontieren.

Als "Scharfrichter" ist Goldhagen von Augstein beschimpft worden. Der ist nur Hobbyhistoriker. Doch die deutschen Fachhistoriker haben auch kräftig in das von Augstein und anderen Journalisten gestimmte Horn geblasen: Goldhagen vertrete in seinem Buch "Hitlers willige Vollstrecker" die "Kollektivschuldthese" wurde gesagt, wobei schlicht "vergessen" wird, daß es diese These nur in der deutschen Phantasie einiger rechter und neuerdings auch gewendeter ehemals linker deutscher Historiker gibt.

Ferner wurde behauptet, daß Goldhagens Argumentation "rassistisch" sei, weil "die Deutschen" gar nicht so schlimm und die anderen weit schlimmer gewesen seien. Schließlich habe es

ja auch den deutschen Widerstand gegeben -, der bekanntlich ein gigantisches Unternehmen zur Rettung von Tausenden von Juden gewesen sein soll. Schließlich habe es ja auch progressive Traditionen in der deutschen Geschichte gegeben -, die offenbar aus lauter Revolution besteht. Schließlich hätten ja auch die Amerikaner die Indianer, die Türken, die Kurden, Stalin die Kulaken usw. usw. ausgerottet, weshalb die Schoah nur ein ganz normaler Genozid gewesen sein soll.

Wenn Goldhagen dennoch das Gegenteil von all dem behauptet und sich dem neuen nationalistischen und "antitotalitären Grundkonsens" der Deutschen entziehe, dann wolle er sich nur an den armen Deutschen rächen. So was und einer darf natürlich nicht sein. Und daher wurden allenthalben die Scheiterhaufen errichtet. Daß sie dann doch nicht angezündet wurden, verdankte Goldhagen gewissen Teilen des Volkes, die sich als einsichtiger erwiesen als gewisse Historiker und gewisse Feuilletons von der FAZ bis zur taz und die die bereits verkündete Verurteilung des "jüdischen Scharfrichters" verhinderten.

Doch Goldhagen hatte damit nur eine (publizistische) Schlacht, nicht den (historiographischen) Krieg gewonnen. Die deutschen Historiker formierten sich unter der von Eberhard Jäckel schon frühzeitig ausgegebenen Parole, wonach Goldhagens öffentlich erfolgreiches Werk "einfach ein schlechtes Buch" und er selber ein schlechter Historiker bzw. ein dilettierender Politologe sei, dem der Besuch eines historischen Proseminars an einer - natürlich deutschen - Universität dringend anzuraten sei.

Was Goldhagen alles noch lernen müsse, machte ihm jedoch kein ausgewachsener Ordinarius, sondern der Nachwuchshistoriker Dieter Pohl in einem umfangreichen Artikel in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte klar. Pohl kritisierte zwar auch, daß Goldhagen keinen "Vergleich staatlicher Massenverbrechen" gezogen und "die Deutschen" für den Holocaust verantwortlich gemacht hätte, konzentrierte sich jedoch in der Erwartung, daß der "Teufel im Detail steckt" auf selbige Details. So monierte er, daß Goldhagen dieses oder jenes absolut wichtige (meist deutsche) Buch nicht herangezogen und "originale Täterquellen" nur "spärlich" herangezogen hätte. All dies wurde sehr geschickt, weil relativ zurückhaltend vorgetragen. Noch geschickter war die Entscheidung des Instituts für Zeitgeschichte, Pohls Aufsatz nicht bereits im Sommer 1996 auf dem Höhepunkt der Goldhagen-Kontroverse, sondern erst Anfang 1997 herauszubringen.

Goldhagen hätte hier sofort reagieren müssen. Statt dessen ist er ziemlich ausführlich auf die Kritik eines gewissen Norman Finkelstein eingegangen, der bis dahin allenfalls Lesern von trotzkistischen Postillen durch seine extremen antizionistischen Ausfälle bekannt war. Mit der Geschichte des Holocaust dagegen hatte sich Finkelstein überhaupt nicht beschäftigt, was man seinem Goldhagen-Verriß auch deutlich anmerkt. Dennoch hielten es die Hobby-Historiker vom Spiegel für angebracht, das Finkelstein-Traktat in einer, um die antizionistischen Ausfälle gereinigten deutschen Fassung ganz groß herauszubringen. Dieser "Schuß" ging nach hinten los bzw. zündete erst gar nicht, weil Finkelstein nicht in der Lage war, Goldhagen Unfähigkeit und wissenschaftliche Unredlichkeit nachzuweisen.

Das nächste "Geschoß" war besser plaziert. "Abgefeuert" wurde es von Ruth Andrea Birn, die Schülerin des oben erwähnten Eberhard Jäckel ist und ein gutes Buch über die "Höheren Polizei- und SS-Führer" geschrieben hat. Sie publizierte im März 1997 im englischen Historical Journal eine vernichtende Besprechung des Goldhagen-Buches. Auch hier geht es um Details. Etwa um die Frage, ob diejenigen Deutschen, die kurz nach Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion Hunderte von Juden in eine Synagoge gesperrt und bei lebendigem Leibe verbrannt haben, sinnlos betrunken waren oder, wie Goldhagen behauptet, bei klarem antisemitischen Verstand gewesen sind. Um zu entscheiden, wer bei diesen und anderen Fragen recht hat, müßten die einzelnen Akten der deutschen Staatsanwälte herangezogen werden, die sowohl Goldhagen wie Birn in der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen gelesen und - teilweise divergierend - interpretiert haben. Doch dies ist ein Fall für Historiker und kein Anlaß für einen Historikerstreit.

Dabei wäre es auch geblieben, wenn Goldhagen nicht einen ganz entscheidenden Fehler gemacht hätte. Anstatt sich mit einem Gegenartikel zu begnügen, den er inzwischen auch veröffentlicht hat (in: German Politics and Society), forderte er die genannte englische Zeitschrift über seinen Anwalt auf, Birns Aufsatz "öffentlich zurückzunehmen". Dies ist, wie Goldhagen versichert, nach englischem Recht möglich und wird bei "naturwissenschaftlichen Zeitschriften" auch praktiziert. Dies mag sein. Praktisch und taktisch war es jedoch eine Eselei, die von Goldhagens Kritikern sofort gnadenlos ausgenutzt wurde.

Der Freiburger Historiker Ulrich Herbert, der selber mit einer negativen Besprechung von Goldhagens Buch hervorgetreten war, machte die Sache in einem Leserbrief im notorisch Goldhagen-feindlichen Spiegel publik. Dann machte die Geschichte, angereichert durch alle möglichen zusätzlichen richtigen und falschen Ausschmückungen, die Runde im deutschen Blätterwald. Michael Jeismann, der eine Dissertation über den deutschen und französischen Nationalismus des 19.Jahrhunderts geschrieben hat, entrüstete sich in der FAZ über den angeblich "allmächtigen Autor" Goldhagen, der nun "Rechtsanwälte lesen" lasse. Damit nicht genug, führt Jeismann gleich eine Fern-Psychiatrisierung Goldhagens durch, der wie andere amerikanische Juden auch in einen "Kult der Viktimisierung" flüchte, der "Ausdruck einer tiefgreifenden Verunsicherung der amerikanischen orthodoxen Juden" sei, wogegen nur ein "Opferbewußtsein" helfe.

Der Spiegel ernannte Goldhagen dagegen zu einem "Holocaust-Ideologen" und gewährte mit der Goldhagen-Kritikerin Birn unter der Überschrift "Holocaust als Andachtsbild" ein Interview. Doch den Vogel schoß mal wieder der frühere taz-Schreiber und nach Eigenlob von deutschen Staatsanwälten sehr geschätzte Mielke-Spezialist Götz Aly ab, der in der Berliner Zeitung Goldhagen zum "Streithansel" und "smarten New Yorker Großinquisitor" ernannte, der den offensichtlich masochistischen Deutschen "den Blick in die mörderischen Abgründe des deutschen Wesens" geboten hätte.

Goldhagen selber hat vor kurzem geklagt, "the Germans tried to silence me". Damit hat er aus drei Gründen nicht recht. Einmal sind es nicht die "die Deutschen", sondern die deutschen Hi0storiker. Zweitens schweigen sie ihn nicht einfach tot, sie rufmorden ihn. Drittens haben sie es nicht nur versucht, sondern fast erreicht. Die Holocaust-Professur an der Harvard-Universität hat Goldhagen schon nicht bekommen. Er wird auch noch den Rest seiner wissenschaftlichen Reputation verlieren, die ihm von deutschen Historikern von Anfang an abgestritten wurde, wofür allerdings vor allem deutsche Motive maßgebend waren.