Aus den Kolonien

Mallorca-Urlaub - pauschal oder zu Hause. Ein neudeutsches Pop-Phänomen der allerältesten Sorte.

Jetzt wird es auch dem stern zuviel. Seit etlichen Jahren dummbeutelt sich der Mützenkaspar Tom Gerhardt zwar schon durch Talk- und Spielshows aller Formate, doch erst sein cineastischer Millionenbrüller und "Kassenschlager" "Ballermann 6" hat ihm jene Omnipräsenz beschert, die er verdient; er, der wahrscheinlich wirklich selber daran glaubt, es zeuge von Humor und gründlicher Witzischkeit, einen komisch gemeinten Vortrag aus den hingebrunzten Interjektionen "Boh ey!", "Voll normaaal!" und "Wat denn!" zusammenzusetzen.

Selten war es so einfach, ein Werk deutscher Comedy für den Scheiß zu erklären, der da ständig angerührt wird. "Doof iss Trumpf", beschied der stern (46/1997), und er hat recht. Eindeutig, plump und feist, selbstgefällig und von keinem Gedanken tangiert, kommt die Blubberblase Gerhardt resp. die von ihm geschaffene Figur daher. Der Deutsche liebt's; er hält viel auf einen ordentlichen Spaß. Gesundes Lachen ist gesund.

Neu daran: Das geschützte Markenzeichen Ballermann 6 geriet mit Gerhardt zum Symbol, zur Etikette. Es reicht nicht mehr, nach Mallorca zu fahren und in El Arenal Sangria aus Eimern zu kippen, es reicht definitiv nicht mehr. Nun hat die mutmaßlich bataillisch-orgiastische Sommerprozedur auch den hiesigen Unterhaltungsbetrieb ereilt, saisonal unabhängig, umfassend. Wozu noch verreisen, wenn es sich auch im Mutterland kampfsaufen läßt, bis die Heide wackelt und der Sessel umfällt!

Kinos, berichtete der stern, werden zugereihert, den Soundtrack liefern CD sonder Zahl ("Die Mallorca-Hits des Jahres" u.ä.), und verfrüht rekapi- und kapitulierte das Hamburger Magazin: "Ja, das war ein Ballaballa-Jahr."

Der Trend hält an, solange Trends gemeinhin anhalten. Allerdings wissen die zuständigen Vermarkter, daß die Ballermann-Ochsereien auf einem besonders zähen Sozialritual gründen, einem spezifisch kleinbürgerlichen, sorgsam tradierten Vergnügungsspektakel, über das man die Nase rümpfen mag oder nicht. Wirklich erbärmlich sind die Adaptionen in Film, Musik und Literatur, denn sie verstärken allererst das gewöhnliche Gedöns zum Popereignis.

Wer bislang den Trubel mied, läuft seit Gerhardts Frontalangriff Gefahr, behelligt und involviert zu werden. "Bombardiert mit Tele-Visionen permanenten Vollrausches und garantierten Gerammels", ächzte der stern, "brach" nicht bloß "noch der letzte Kegelclub von Hinterholzheim ins gelobte Land der Libertinage ein", sondern flöten sie hierzulande das Lied von Lust und Lustigkeit.

Der "alldeutsche Urlaubsmythos" büßt seine distinkten Merkmale ein. Symbolisches Kapital läßt sich nicht mehr daraus schlagen, nicht auf Mallorca gewesen zu sein. Es ist ja hier. Das vom Bachtinschen karnevalesken Taumel weit entfernte und qua Marschbefehl angeschobene "anarchische" (stern) Fullforcefeiern hat seinen neuen Ort etwa auf Ballermannpartys in der Essener Grugahalle gefunden. Gerhardt, die Bumsfallera-Visage, proklamiert auch gleich "kulturpolitische Bedeutung" für seine Kinokatastrophe wie für das Label Ballermann 6 schlechthin.

Auf Mallorca selbst tobt hingegen das Verbrechen, die Insel versinkt in Kriminalität. "Das Blutbad am Ballermann", titelte Bild (13.11.) und entwarf ein Szenario, das die Schrecken jedes Flugzeugabsturzes weit übertraf - den Einbruch der zwielichtigen Welt in die lichten Areale von El Arenal. "Frankfurter Bierkönig gefesselt und erschossen / Auch Sohn, Kindermädchen und Hund tot", las man und wußte, der Deutschen angestammtes Reich steht vor dem Untergang. "Tausende von Urlaubern tranken bei ihm Bier. Für sie war er der fröhliche Wirt Manfred, der Bierkönig von Mallorca. Er ist tot!"

Mallorca und Ballermann 6 - das ist nun auch ein Thema für die Sicherheitsberatung. Wo der Deutsche nicht mehr Deutscher sein darf, wo spanische Polizisten die Schnapsleichen nicht mehr behutsam zum Strand spedieren, da gerät die Welt aus den Fugen. "Meisel gehörte der 'Bierkönig' in der Schinkenstraße von Arenal (Ö), unweit vom Ballermann 6. (Er) kam vor sieben Jahren nach Mallorca, wurde schnell zum weltgrößten Einzelabnehmer von 'König' - Pilsener (80 Fässer am Tag). (Ö) 'Ich bin der einzige deutsche Kneipenbesitzer in der Biermeile, alle anderen Bars und Kneipen gehören Mallorquinern'." Das war sein Ende. "Der kräftige, dunkelblonde deutsche Wirt" fing zwei Kugeln. Bums - Bierkönig weg.

"Das Blutbad am Ballermann" (Bild, 14.11.) zieht mehrere Titelbilder nach sich. "Auch der kleine Westhighland-Terrier ist tot." Offenbar strolchten "nahe dem 'Ballermann'" schon länger dubiose Gestalten herum. Interpol ermittelt, man vermutet Drogengeschäfte. "Rachemord?" "Wer erbt?" (Bild, 15.11.) Und wer macht wieder sauber? Wer reinigt Mallorca von den Flecken der abscheulichen Bluttat?

"Kam er Afrikanern in die Quere?" Was machen die mitten unter Deutschen? "Sie handeln am Strand mit laserähnlichen Strahlern (Ö), sie haben diesen Markt fest in der Hand. Ausnahme: Meisel. In seinem Lokal 'Bierkönig' gibt es ebenfalls diese 'Laser' - zum Ärger der Afrikaner." (Bild, 17.11.)

Wir haben es also mit ökonomischen Kontaminationen zu tun. Einst floß lediglich der Schnaps, und das ehrliche Handwerk des Bierausschanks ward verrichtet. "Mallorcas Bierkönig Manfred Meisel - er wurde tatsächlich erpreßt", die mafiotische Unterminierung des künstlichen Paradieses und die Behelligung seiner milliardenschweren deutschen Herren, die bislang im Hintergrund blieben, ziehen weite Kreise. "Noch ein deutscher Millionär auf Mallorca wurde erpreßt", und auch ihm mag die Abrechnung blühen. "Dieser Freitag war als fester Termin des Vertragsabschlusses mit einem Sicherheits-Unternehmen angesetzt." (Bild, 20.11.) War, war.

Sicherheit geht vor. Solcher Aufklärung über den Ballermann-Komplex ist die Bücherbranche kaum zugeneigt. Der beliebte Frankfurter Verlag mit der Meise erkannte die akute Mode und schritt zur Tat: Qua Multimedia-Paket aus Roman und Platte sucht er Anschluß an den breiten Kult und suggeriert ironische Brechung eines Mythos, wo lediglich Verdoppelung intendiert wird. Der Witz der mallorquinisch-deutschen Endlos-Zeremonie liegt in der Sache selbst, außerhalb ist nichts zu holen; als Ethnologe, der "Feldforschung" (Eichborn) betreibt, macht sich Auftragsschreiber Mehrwald so lächerlich wie Tom Gerhardt.

"Keiner verläßt die Theke", Jörg Mehrwalds als "entfesseltes humoristisches Feuerwerk" annonciertes Büchlein ohne jeden Verstand und Charme, stellt unter Beweis, daß mancher Trend branchenspezifisch nicht weiter auszuschlachten ist. Das Unmögliche zu tun - eine, haha, komische Erzählung über einen seinen eigenen hermetischen Gesetzen gehorchenden Unterhaltungs-Kosmos hinzustemmen, aber ausschließlich auf Material zurückzugreifen, das unbearbeitet in narrativen Texten nichts verloren hat - diese von nichts als null Sinn nicht mal für Trash-Literatur und ihr Sujets zeugende Unternehmung fällt somit verdientermaßen verheerend aus. Mehrwalds Figuren brechen, göbeln ("die übrigen Fahrgäste versuchten, ihren Mageninhalt in die viel zu kleinen Tüten zu kanalisieren"), bechern, rotzen, spucken, poppen wie im richtigen Ballermann-Leben, und das sei ihnen gegönnt; wir indes mögen fürderhin davor bewahrt bleiben, die Worte "Bierchen" und "Erlebnistrinken" lesen zu müssen und übers Kotzen im Bus, über betrügerische Hoteliers (die Dusche

geht nicht!), das Herumschlägern und den "stimmungsvollen Ausschank"

informiert zu werden; nein, nichts läßt Mehrwald aus, nicht den steinältesten Prost-Prostata-Jokus, nicht die dicken Deutschen mit Patschehändchen, nicht die kleinen wieselnden spanischen Putzfrauen. Woher z.B. kommen die Kampftrinker? Aus Bottrop. Wie dachte Markus, die Hauptfigur (der "frischgebackene Marketing-Chef der Schippchen-Brauerei")? "Markus dachte in Fetzen." Was sind Biertrinker? "Gemütlich". Was tragen Markus und sein Boß, der Herr - Onomatopoesie! Onomatopoesie! - Stefest? Sie tragen Hawaii-Hemden. Wie hat man sich die Bierstraße, das Zentrum deutschen Urlaubssehnens, vorzustellen? "Ein Lichtermeer voller verheißungsvoller Angebote zum grenzenlosen Verzehr von Speisen und Getränken eröffnete sich ihren gierigen Blicken." Und ist aber doch? Eine "Irrenanstalt".

Auf Seite 65 hören wir dann auch schon wieder auf, uns genauer mit dem großen deutschen Schmelztiegel, dem deutschen Bierkübel El Arenal zu beschäftigen. Gewiß, Mehrwald hat für seine plumpsende Werbeagentursprosa recherchiert, saß in der Gegend rum und schrieb hin, was keiner lesen will: daß "der Zapfhahn am Ballermann rauscht". Die Leut' wollen, zu Recht, Kino und Bier. Und Musike. Die bekommen sie in Form des Soundtracks zum Buch verabreicht, einer Maxi-CD gleichen Titels mit vier Party-Krachern für jeden schlechten Geschmack - volkstümelnd, mainstream-rockig ("für alle geeignet, die auch Rod Stewart, Joe Cocker, Status Quo, Aerosmith und die Toten Hosen hören"), schlagergetrimmt oder instrumental. "Alle mal herhören! Ich bin der Kommissar! Wer ist hier der Schluckspecht? Keiner verläßt die Theke! - O je, das mußte ja so kommen!"

Exakt.

Der Unterschied zwischen quasiliterarisch recyceltem Bierbank-Witz und Komik heißt Gerhard Polt. Der zwischen Abgreifergeschrammel und Musik Biermöslblosn. Wie aber heißt es bei Mehrwald? "'Und außerdem: Ein Pils wird sieben Minuten gezapft.'"

Nicht mal das stimmt. Wir geben zurück in die angeschlossenen Trunkhäuser.

Jörg Mehrwald: Ballermann 6 - Keiner verläßt die Theke. Eichborn, Frankfurt /M. 1997, 172 S., DM 24,80

Die drei Pilsköpfe: Ballermann 6 - Keiner verläßt die Theke. Maxi-CD, Eichborn, Frankfurt/M. 1997, DM 12,99