Ausgerechnet heute,wo ich studieren wollte

Gefährliche Orte XII: Die Freie Universität Berlin im November 1997. Umfrage unter Studierenden

Blitzinterview mit Studentinnen und Studenten der Freien Universität in der "Silberlaube", Habelschwerdter Allee. Frage 1: Dein bestes Erlebnis an der Uni? Frage 2: Wie kommt man aus der Bildungsmisere? Frage 3: Was sonst noch?

Angelika, 29, Philosophie, Englisch:

Als ich auf dem Campus verhaftet wurde. / Weiß nicht. Vielleicht, wenn man das Studium straffer macht. / Rüttgers? Och, Gott, der ist für die Misere unerheblich.

Bernd, 22, Jura: Sag ich nicht. / Zulassungsbeschränkungen, Gebühren, praxisorientierter studieren. / Von welcher Zeitung?

Thomas, 35, Politik: Seminar bei Genscher und daß wir uns begegnet sind (zeigt auf Ursula). / Jeder hat grundsätzlich ein Recht auf Bildung. Also wenn dann die Nachfrage so groß ist, dann müssen eben mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden, damit Professoren und vor allen Dingen wissenschaftliche Mitarbeiterinnen eingestellt werden können. / Trotz allem ist die FU okay, wenn man sich mal andere Universitäten ansieht.

Nina, 22, studiert nicht, ist mit ihrer Freundin zum Mensaessen verabredet: Mal sehen, wie das Essen ist. / Interessiert mich nicht. / Kannst ja mit essen kommen.

Hauke, 23, Germanistik, Politik: Gar nichts. Ich fühle mich unangenehm berührt, wenn ich aus der U-Bahn steige und zur Silberlaube gehe. / Das ist mir sowas von egal. / Ich kann dieses ganze studentische Gelaber und Gehabe mit Protesten und so nicht mehr aushalten. Immer dasselbe. Also wenn die wirklich etwas bewirken wollen, dann muß das mal radikal durchgezogen werden. Mit Särgen und Kreuzen und Sprüchen wie "Die Uni stirbt, so tut doch was!" - darüber lachen die sich doch kaputt.

Karsten, 25, hat mal studiert, verkauft jetzt Schreibwaren vor der Uni: Besetzung bei den Psychologen 1994, die Party auf dem Dach danach, Sommer, Drogen, Musik, und die Einsicht, daß studieren schlecht ist. / Gar nicht. / Wie? Was sonst noch?

Tilman, 23, VWL: Brieftasche mit 1 400 Mark gefunden. / Ich würde nicht immer von Bildungsmisere reden. Wenn du sowas hast wie Selbstdisziplin, dann läuft das auch. Wenn Leute sagen, es ist zu voll oder Bücher sind nicht da, dann sind das - ehrlich gesagt - doch nur Ausreden. Die wollen halt manchmal auf den Putz hauen, das ist ein studentischer Reflex. Na ja, und einige peitschen die Leute natürlich auch auf, aber denen geht es eigentlich nicht um bessere Studienbedingungen. Nicht wirklich. Die wollen Remmidemmi. Solche Leute sollte man sofort rausschmeißen, auch wenn das jetzt hart klingt.

Jasmin, 27, Erziehungswissenschaften: Letzte Party im "Geschwulst" (Kneipe der Politologen, aufgehende Sonne erlebt, Uni sah ganz anders aus). / Studiengebühren ist total der falsche Weg, ich zahle 530 Mark Miete, 70 Mark Telefon, 75 Mark Ticket, 300 Mark geht für Essen drauf, Klamotten, Theater, dann die ganzen Bücher, und ich kriege nur 500 Mark von meinen Eltern, weil meine Schwester auch noch studiert. Den Rest verdiene ich halt mit arbeiten (Zwischenfrage: Wo? Antwort: Bei "Humana"), da kannst du dir ja ausrechnen, daß das bescheuert ist mit den Studiengebühren. / Hmm, wird schon irgendwie gehen. Die Freundin von Jas

min: Die wollen, daß wir funktionieren wie Maschinen!

Florian, 27, Politik: Mein bestes Erlebnis war eigentlich an einer anderen Uni, Brüssel. In Berlin freut man sich, wenn man mal eine Erkenntnis hat, aber das ist eher selten. Ja, und natürlich, daß man nette Leute trifft. Ansonsten ist alles eher grausam. / Indem man Steuerlöcher stopft und Kohle reinkommt, die dann in den Bildungsbereich investiert werden kann. Die Wirtschaft soll sich raushalten. Studiengebühren sind Quatsch. Die Verschwendung muß aufhören. / Heute wollte ich studieren. Das ging nicht, weil der Raum geschlossen war - wegen Streik. Ich kann da aber einfach nicht mehr mitmachen. Ich kann nicht mehr. Man ist da so ein anonymer Wicht.

Alexander, 38, schnorrt in der Cafeteria, wenn es draußen regnet: Ha, ha. / Mir egal. / Nichts.

Stefanie, 23, Erziehungswissenschaften: Das war nicht direkt an der Uni. Eher die Skifahrt mit meiner UnisportGruppe. Total witzige Leute. Erst war ich ziemlich isoliert, als ich nach Berlin gewechselt bin. Jetzt kenn ich total viele Leute, die auch wieder Leute kennen, kennst du ja sicherlich. Ja, das war mein bestes Erlebnis. / Äh, ja, gute Frage. / Nö.

Im Tagesspiegel beschrieb vor kurzem ein 26jähriger Geographiestudent seine Studiensituation in Berlin. Sein Vater, so beschließt er seinen Bericht, würde ihn wohl dafür bewundern, unter welchen Bedingungen er studiere. Vorher hat er sein Leid geklagt: Professoren haben keine Zeit, die erforderlichen Bücher sind zu teuer, Seminare überfüllt, das Geld ist knapp, die Zeit auch, weil man arbeiten muß und so weiter und so fort. Mit einem Wort: Als Student fühle man sich unerwünscht und frustriert.

Wolfgang, 24, studiert an der Humboldt-Uni Kulturwissenschaften und ist an der FU wegen der Mitfahrgelegenheiten, die am Schwarzen Brett hängen: Als ich eine Nacht nicht schlafen konnte, total übermüdet am nächsten Morgen um 10 Uhr zur Veranstaltung kam, die dann aber wegen einer angesetzten Fahrraddemo ausfiel. / Das Problem an der Wurzel packen und sich auf keinen Fall in eine Standortdiskussion verwickeln lassen. / Schluß mit den Spaßmaßnahmen!

Interview mit Christoph Wolff, 22, Jura, stellvertretender Bundesvorsitzender des Rings Christlich Demokratischer Studenten, in der Audimax, desjenigen Studentenmagazins, das das jüngste Interview mit Dorris Dörrie führte:

Die Universität ist ein Mikrokosmos mit unterschiedlichen Interessensgruppen. Wie in der ganzen Gesellschaft wird sich auch dort ein fairer Wettbewerb entwickeln.

Ludger, 28, Psychologie: Es gibt an Universitäten keine schönen Erlebnisse, und jeder, der etwas anderes sagt, lügt. / Zum Teil ist die Bildungsmisere hausgemacht. / Zum Teil haben die Politiker versagt.

Simone, 28, Psychologie: Ich bin alleinerziehend, steh' auf eigenen Beinen und studiere. Darauf bin ich stolz. / Es wäre falsch, die Hochschulmisere als Einzelproblem aufzufassen. Tatsächlich ist die derzeitige Situation nur Ergebnis eines langwierigen Prozesses in Deutschland und anderen Ländern, der darin besteht, daß die staatliche Steuerungsfähigkeit allmählich abnimmt und auch bewußt runtergefahren wird. Die Gesellschaft wird mehr und mehr durchkapitalisiert. Leistungsanforderungen werden immer häufiger groß geschrieben. Unsere Leistungsgesellschaft fordert Opfer, die Schwächsten haben das Nachsehen, man bezahlt scheinbaren Fortschritt mit den Lebensgrundlagen. Es gibt in Deutschland in etwa so viele Studienplätze wie Obdachlose. Das muß man sich mal klarmachen. Bedenken muß man auch die versteckte Armut, die schleichende Auflösung der tariflich geregelten Arbeitswelt - die finanziell kostspieligen Spätfolgen durch Umweltverschmutzung, die wir jetzt noch gar nicht sehen.

Gleichzeitig wird zum Beispiel die Genforschung trotz aller Regularien heimlich fortgesetzt. Die Vergrößerung der militärischen Möglichkeiten Deutschlands, Transrapid und Eurofighter, Expansion des Repressionsapparates und großdeutsche Ambitionen und nationalistische Parolen - das alles gehört zusammen und muß zusammen gedacht werden. Das kapitalistische Verwertungssystem beutet alles aus, was nicht niet- und nagelfest ist. Den Menschen natürlich in erster Linie. Insofern muß man grundsätzlich über unsere Lebensweise nachdenken. Allein das Besetzen von Hörsälen greift da zu kurz.

Frank, 34, Politik: Fällt mir nichts ein. Ich bin schon froh, wenn ich einigermaßen problemlos einen Schein bekomme. / Ich weiß auch nicht. Als ich anfing, Jura zu studieren, dachte ich wahrscheinlich viel zu sehr an das typische Klischee vom freien Studentenleben. Aber studieren ist echt kein Zuckerschlecken. Manchmal frage ich mich, warum ich mir das antue. Aber es gibt natürlich auch keine Alternative. Ich will hier so schnell wie möglich wieder raus. / In der Universität lernt man nichts!

Berliner Zeitung: Offensichtlich hat die Studentengeneration noch keine gemeinsame Sprache gefunden (Ö) Das verbreitete Beharren auf eine skeptische Individualität scheint ihr größtes Anliegen zu sein - eine für deutsche Verhältnisse geradezu beglückende Erfahrung.