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Langer Anlauf, kurzer Sprung

Der Abschied vom Kommunismus als Variante des Antikommunismus. Eine Antwort.

Wer den Aufsatz "Abschied von einer Idee" liest, gewinnt rasch den Eindruck, einem Bauchredner zuzuhören. Dieser hat zwei Frankfurter Philosophen, von denen der eine bereits 1969, der andere 1973 verstorben ist, aufgegessen, und nun sprechen sie aus ihm heraus. Hätte er sie verdaut, dann wüßte man wenigstens, ob der kannibalische Vorgang seinem eigenen Körper und Geist irgendwelche Kräfte zugeführt hat. So aber rumpeln und pumpeln die Verschluckten in seinem Bauch herum wie einst die Geißlein in dem des Wolfs. Während die beiden Westend-Philosophen das, was sie zu sagen hatten, (unter uns: es war gar nicht so viel) immerhin sprachlich geregelt kriegten, lädt ihr Epigone nachgerade dazu ein, daß man sich ihm gegenüber als Karl Kraus aufspielt. Kommen wir also lieber zur Sache selbst.

Die besteht unter anderem darin, daß Thomas Becker das, was er unter "Kommunismus" versteht, implizit einteilt: in ein gesellschaftliches Ziel und den Weg dahin. Dies ist branchenüblich und okay. Das Ziel, die "freien Produzenten", hat wohl etwas mit dem "Verein freier Menschen" im Fetischkapitel des ersten Bandes das "Kapital" zu tun und ist dort eine harmlose, fast schon idyllisch geschilderte Angelegenheit. Aber der Weg! Er wird laut Becker im Marschtritt des Kollektivs zurückgelegt, und dieses ist für ihn rot wie braun, ja fast schon ein bißchen mehr rot als braun.

Dabei wäre es ihm gut nachzuempfinden, hätte er seinen Abscheu vor Stalins Gulags geäußert und seinen Abschied vom Kommunismus damit begründet. Da er, wie seine beiden Vorbeter, keinen Wert darauf legt, zumindest zu überlegen, wie aus einer spezifischen historischen Konstellation - nämliche derjenigen der UdSSR - auch die Besonderheit eines Verbrechens immerhin erklärt (wenngleich nicht entschuldigt) werden kann, wäre sein Vorgehen methoden-immanent korrekt. Aber die Kommunisten sollen ja partout nicht nur am Gulag schuld sein, sondern auch an Auschwitz.

Die Brücke vom einen zum anderen läßt Becker sich von Goldhagen bauen. Dieser habe nachgewiesen, daß die Mehrheit der Deutschen den Judenmord unterstützte. Daraus wird offenbar gefolgert, daß auch die Majorität der Arbeiterklasse sich so verhielt.

Ich folge nunmehr den ungeprüften Sachbehauptungen, um herauszufinden, ob - unabhängig von historischer Verifikation oder Falsifikation - aus ihrer Kombination sich so etwas wie eine logische Konsequenz ergäbe. Also weiter:

Förderte - angeblich - die Mehrheit der Arbeiterklasse den Judenmord, dann soll dies auch für ihre kommunistische Minderheit gelten. Ergo: Kommunismus schütze nicht vor der Beteiligung an der Vernichtungspolitik. Bevor man den kombinierenden Sherlock Holmes darauf hinweisen kann, daß er die disparaten Teile seiner Indizienkette doch etwas arg locker arrangiert, wird er apodiktisch und sagt uns, daß es sich nicht etwa um eine schlimme Kontingenz handelt, sondern um eine historische Zwangsläufigkeit, die man fortan wohl als Beckersches Gesetz wird im Gedächtnis behalten müssen: "Jeder diese neue Konstellation nicht beachtende Versuch, Emanzipation in das Schema vergangener Klassenkämpfe und Bauernkriege zu zwängen, mußte in Antisemitismus umschlagen, noch bevor die Juden ins Schußfeld gerieten."

Die Konstellation, welche beachtet werden müsse, deutet Becker so: "Noch bevor der Sozialismus in einem Land die Hoffnung auf eine von der Herrschaft des Menschen über den Menschen freien Welt im bürokatisch erzwungenen Kollektiv erstickte, wurde Kollektivismus die Ideologie der vogelfreien Massen im Kapitalismus, das Kollektiv als kollektives Über-Ich Modell totaler Vergesellschaftung."

Im Original von 1947 war gemeint, daß die Dialektik der Aufklärung mindestens drei verschiedene Formen von neuer Barbarei hervorbringen konnte: den Faschismus, den (in jenem Buch noch kaum genannten ) Kommunismus und den (dort breit erwähnten) American Way of Life, und all dies ist wohl auch als "verwaltete Welt" deutbar. Will man von daher Auschwitz erklären, ist das deutsche Volk eine Nebensache. Es wäre halt nur ein Zufall gewesen, daß ausgerechnet diese Nation über die Aufklärung stolperte - ein Malheur, welches gemäß solcher Logik auch anderen hätte passieren können.

An dieser Stelle emanzipiert sich Becker denn doch von seinen Lehrern. Er verengt die bei ihnen immerhin vorhandene Breite der Moderne-Kritik und läßt nur den Kommunismus als einzigen Täter, der ihn interessiert, übrig.

Ich finde, das alles hätte er einfacher haben können: Daß er vom Kommunismus nichts wissen will, hat er mit fast allen seinen Landsleuten gemeinsam. Diese nennen für ihre Abneigung die verschiedenartigsten Gründe. Becker, wohl ein Intellektueller mit Anspruch auf Originalität, will keinen davon übernehmen. Es soll etwas Besonderes sein, und er entscheidet sich, um seine Unlust am Kommunismus zu motivieren, für Auschwitz. Darunter tut er's nicht.

Darf ich das, bitte, ein wenig unappetitlich finden - ja fast schon deutsch?