Links & Rechts, Rechts & Links

Nach Gollwitz: What’s left?

Heute ist es nicht nur illusionär, sondern reaktionär, sich positiv auf die Linke zu beziehen.

"Vielleicht ist der Kommunismus (oder Sozialismus) durch seine Verbindung mit dem Völkischen unrettbar verdorben wie ein in den Dreck gefallenes Pfund Mehl, und der Ostblock ist - ganz anders, als es scheint - zusammengebrochen, weil es seine Praxis war, stärker noch als im Westen die Gemeinwesen der Vorgeschichte zu konservieren - Nationen, Völker, Volksgruppen." Wolfgang Pohrt lieferte in der Oktober-Ausgabe der Zeitschrift konkret die beste Antwort auf die Frage "Was ist heute noch links?" Allerdings konnte man sein Statement nicht im redaktionellen Teil nachlesen, sondern in einer Anzeige. Für die Umfrage selbst war die Zeitschrift bemüht, ein Spektrum vom Edelautonomen bis zum Guten Menschen von Bad Godesberg zu präsentieren; die Ausführungen der meisten demonstrieren, warum es heute nicht nur illusionär, sondern reaktionär ist, sich positiv auf "die Linke" zu beziehen: In keinem einzigen Beitrag - sieht man gnädig von Jutta Ditfurths Adjektiv-Puzzle ab - wird links in Verbindung mit Antifaschismus oder gar Deutschlandkritik gebracht.

Vielleicht erinnert sich noch jemand an einen in konkret nachgedruckten Leitartikel von A. M. Rosenthal vom Frühjahr 1990. Rosenthal begründete sein Unbehagen an der Wiedervereinigung mit einer Textanalyse: "Ich suche in den endlosen Zeitungskommentaren, aber ich kann keines der Wörter finden, die ich suche. Dies sind einige der Wörter: Jude, Auschwitz, Rotterdam, polnische 'Untermenschen', Leningrad, Sklavenarbeit, Krematorium, Holocaust, Nazi." Welch' böse Überraschung: Alle diese Wörter fehlen auch in den Antworten auf die konkret-Umfrage. Woher kommt das? Ist es die Gnade der späten Geburt oder ein ideologischer Konstruktionsfehler? Jedenfalls: Adornos kategorischer Imperativ "Alles einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole" gilt der deutschen Linken nichts.

Doch die Anklage lautet nicht nur auf Gleichgültigkeit, sondern auch auf aktive Mittäterschaft. Das Beispiel Gollwitz zeigt, daß ein Gutteil der Linken heute die Rolle übernommen hat, die beim Pogrom von Rostock-Lichtenhagen die CDU/CSU spielte: Ihre Vor- und Afterdenker fabrizieren die Brand-Sätze, die dann von Glatz- und Hohlköpfen nur noch angezündet werden müssen. Schon länger waren Leute wie Gerhard Schröder, Christine Ostrowski oder Heinrich Graf von Einsiedel negativ aufgefallen - man konnte sich aber mit der These trösten, daß ihre rassistischen oder deutschnationalen Äußerungen nicht ihrem Links-Sein, sondern ihrem Zu-wenig- oder Nicht-mehr-Links-Sein geschuldet seien. Gollwitz läßt diese Ausflucht nicht mehr zu: Je weiter man sich auf der politischen Skala von der Mitte nach links bewegte, umso unverschämter wurde die Unterstützung für den Antisemitismus der Dörfler.

Geradezu vorbildlich verhielten sich der FAZ-Ableger Märkische Allgemeine Zeitung, die die Ereignisse aufdeckte und skandalisierte, und der Antikommunist Konrad Weiß, der - als einziger Politiker! - die eigentlich selbstverständliche Forderung nach dem Rücktritt Stolpes erhob. Die CDU übte sich in vielsagendem Schweigen und war damit jedenfalls nicht schlimmer als die Sozialistische Zeitung und andere Linksblättchen, die ebenfalls kein Wort über den Fall verloren. Gegen die SPD spricht, vielleicht noch mehr als die Tiraden ihres Landesvaters, das Fehlen jeder öffentlichen Gegenstimme - der Landesvorstand stellte sich sogar demonstrativ hinter Stolpe. Der PDS schließlich war selbst das noch zu wenig: In einer Kreistags-Resolution lobte sie "das berechtigte Verlangen der Gollwitzer Gemeindevertreter, bei der Nutzung des sogenannten Herrenhauses ihre Interessen mit zu wahren" und kritisierte die Stolpe-Verwaltung wegen mangelnden "Fingerspitzengefühls". Während die PDS-Spitze um Gysi und Brie diese Unappetitlichkeiten ihres Brandenburger Landesverbandes immerhin nicht weiter verbreitete (allerdings auch nicht dagegen vorging), entdeckte die PDS-Linke die einmalige Chance, via Gollwitz ihr Profil zu schärfen. Über die junge Welt, seit Sommer das Zentralorgan für alle kommunistischen Plattformen innerhalb und außerhalb der PDS, wurde eine regelrechte Kampagne gefahren: "Seit ihrem Nein zu den Plänen müssen sich die Gollwitzer in den Medien als Antisemiten, Rassisten und Ausländerfeinde beschimpfen lassen" - so der Tenor in gleich mehreren Ausgaben. Damit niemand auf den Gedanken kam, daß hier ein unautorisierter Heckenschütze am Werk sei, hievte die Redaktion die Artikelserie zu Beginn auf die Titelseite unter der dicken Headline: "Pressegeier über Gollwitz". Man kann ganz sachlich feststellen: Das hat nicht einmal die Junge Freiheit gemacht.

Bislang hat es der Zeitung nicht geschadet. Weder von den Redakteuren noch von den regelmäßigen Autoren der Zeitung hat jemand wegen der Gollwitz-Berichterstattung seinen Abschied genommen. Regelrechte Schützenhilfe bekam die jW durch das linke Monatsblatt ak (früher: Arbeiterkampf), das im Oktober mit dem Artikel "Gollwitz und die Heuchler" aufmachte. "Gollwitz, das ist auch ein Sündenbock", jammerte der Schreiber. Auch von entsprechenden Reaktionen der jW-Leserschaft ist nichts bekannt: Trotz der radikalen Rechtswende nach dem Rausschmiß der alten Redaktion im Juni 1997 haben 2 000, höchstens 3 000 das Abonnement gekündigt - etwa 10 000 goutieren den neu aufgelegten Antisemitismus oder schlucken ihn zumindest. Daran hat auch Gollwitz nichts geändert: Im November soll es sogar, glaubt man einer Mitteilung des jW-Verlages, zum ersten Mal seit April wieder einen Tag mit positiver Abo-Bilanz gegeben haben.

So sind die realen Kräfteverhältnisse in der Linken: Die Nachdenklichkeit, die nach der Wiedervereinigung und dem Golfkrieg in allen Strömungen zu beobachten war, hat keine Wirkung gehabt. Die allermeisten Linken waren, sind und bleiben Spießer, Reaktionäre, Antisemiten. Wie will man da einem Pohrt, einem Diner, einem Broder den Abschied von der Linken übelnehmen? Daß einige der Verzweifelten für diesen Abschied - so Hermann Gremliza pejorativ - "eine ethisch erstklassige Begründung" gefunden haben, ist kein Vorwurf, sondern ein Kompliment. Ob zur Ethik noch Ökonomiekritik hinzukommen müßte und ob der Kommunismus als deren Fluchtpunkt - anders als Thomas Becker auf der nächsten Seite postuliert - unersetzlich bleibt, wäre weiter zu diskutieren. Thesenartig sei formuliert: Kritische Theorie und negatorische Praxis stehen in der Linken auf verlorenem Posten. Für emanzipatorisches Gedankengut gibt es in der DKP nicht mehr Aufgeschlossenheit als in der FDP. Antinationalismus wird durch MTV-Konsum eher befördert als durch ML-Lektüre. Der "Verein freier Menschen" entsteht nicht auf der national-sozialistischen Animal Farm: Kommunismus müßte auch gegen die überwältigende Mehrheit der Kommunisten durchgesetzt werden.