Tord und Motschlag

Urteilsverkündung im Nolde-Schillock-Prozeß

Das Urteil im Prozeß gegen die beiden Berliner Neonazikader Detlef Nolde und Lutz Schillock, die wegen Mordes an zwei Wittenberger Neonazis, darunter dem ehemaligen Chef der Kameradschaft Wittenberg, seit April diesen Jahres in U-Haft saßen (Jungle World, Nr. 46/97), kam kaum noch überraschend: 14 Jahre Haft für den Schwimmmeistergehilfen und langjährigen FAP-Aktivisten Schillock; der führende Anti-Antifa-Kader Detlef Nolde kam - sichtlich zur Freude seines Verteidigers Hans-Günther Eisenecker - mit einer Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten davon. Damit folgte das Gericht den Strafmaßforderungen der Staatsanwaltschaft, die wegen erheblicher Alkoholisierung der Angeklagten vom ursprünglichen Vorwurf des zweifachen Mordes abgerückt war und auf Totschlag plädiert hatte.

Schon vor der Urteilsverkündung hatte die Staatsanwaltschaft für eine Überraschung gesorgt, als sie dem Antrag auf Haftverschonung von Nolde zustimmte und so dafür sorgte, daß Nolde zur Urteilsverkündung bereits auf freiem Fuß war. Zwar sah es das Gericht als erwiesen an, daß Nolde durch das direkte Versprühen von Tränengas in die Gesichter von Chris Danneil und Olaf Schmidke die Opfer bewegungsunfähig gemacht hatte und dann Danneil festhielt, damit Schillock den ehemaligen Kameradschaftsführer durch einen direkten Messerstich ins Herz töten konnte; das Gericht bewertete Noldes Aktivitäten jedoch nicht als "direkten Tatbeitrag" und verhängte daher auch nur eine Haftstrafe wegen "gefährlicher Körperverletzung". Daß Nolde zur Tatzeit noch zwei offene Bewährungsstrafen wegen gefährlichen Körperverletzungen offen hatte, scheint das Gericht wenig beeinflußt zu haben. Einmal hatte Nolder, der früher auch Beauftragter für die NPD in Ostberlin war, grundlos Reizgas gegen linke Jugendliche eingesetzt; beim zweiten Mal hatte er gemeinsam mit Kumpanen einen langhaarigen Mann mißhandelt, der im Vollrausch eingeschlafen war. Nolde hatte ihm eine brennende Zigarette in die Nase gesteckt; die Nazis urinierten auf den Mann und schnitten ihm die Haare ab.

Die Urteilsbegründung des Vorsitzenden Richters am Landgericht, Achim Sachs, spiegelte vor allem die Hilflosigkeit des Gerichts wieder, das Geflecht aus Lügen und Schweigen, das Nolde und Schillock in der zweimonatigen Verhandlung gewoben hatten, zu durchdringen. Während Richter Sachs von "sinnlosen Taten aus nichtigem Anlaß" und "Messerstichen gegen Kameraden" plauderte, freute sich die Riege der drei Neonazianwälte Hans-Günther Eisenecker, Wolfram Nahrat und Joachim Ehlke über den Erfolg ihrer Strategie. Der führende Nazikader Nolde kam mit einem blauen Auge davon, und die tatsächlichen Gründe des tödlichen Streits zwischen dem Kameradschafsführern Nolde und Danneil, dem Bordellbesitzer Schmidke und dem ehemaligen Wachschützer Schillock, bleiben unaufgeklärt. Das Gericht entschied sich, die Ursache für die Messerstecherei in einem - von den drei unverletzten Wittenberger Autoinsassen nur halbherzig bezeugten - Streit über das genaue Verbotsdatum der FAP zu sehen. Die Tatsache, daß der ebenfalls im Auto sitzende ehemalige Kameradschaftsführer aus Wittenberg, Danny Thüring, für den Verfassungsschutz von Sachsen-Anhalt gearbeitet hat, interessierte das Gericht gar nicht.

Zwar rügte Richter Sachs die offensichtlichen Versuche von Nolde und Schillock, alkoholbedingte Erinnerungslücken vorzutäuschen, als "durchsichtige Manöver" und hielt Nolde direkt vor, "je schwerer der Tatvorwurf, desto größer wurde offenbar der Filmriß bei den Angeklagten". Sowohl Nolde und Schillock hatten sich darauf berufen, zur Tatzeit vollständig betrunken gewesen zu sein. In den Zeugenaussagen wurde aber deutlich, daß Schillock nach seiner Festnahme in der Nähe des Tatortes geistesgegenwärtig genug war, um die Polizeibeamten aufzufordern, einen Blutalkoholtest an ihm durchzuführen, und daß Nolde immerhin noch im Polizeigewahrsam versuchte, sein Handy zu verstecken und damit zu telefonieren. Auch der von Nolde und Schillock behaupteten "Notwehrsituation" wollte das Gericht keinen Glauben schenken.

Im Anschluß an die Urteilsverlesung kündigte Rechtsanwalt Eisenecker an, gegen Noldes Haftstrafe in Revision zu gehen, während sein Mandant allen, die es hören wollten, seine Unschuld beteuerte und das Urteil als "furchtbar ungerecht" bezeichnete. Insbesondere die zur Urteilsverkündung angereisten Mitglieder der Kameradschaft Wittenberg machten allerdings deutlich, daß sie Noldes Beteuerungen wenig Glauben schenken.

Es bleibt abzuwarten, wie die Nazikreise aus den Unabhängigen Kameradschaften, zu denen Nolde und auch die Wittenberger gehören, mit der Situation umgehen werden. In der Berlin-Brandenburger Zeitung (BBZ) baute Christian Wendt jedenfalls seinem Freund Nolde schon die goldene Brücke zurück in den Kreis der Kameraden. Nachdem Wendt zu Prozeßbeginn noch den Ausschluß von Nolde und Schillock aus den "nationalen Kreisen" gefordert hatte, schreibt die BBZ wenige Wochen später von einer "Wende" im Prozeß und spricht Nolde von jeglicher Verantwortung für die Messerstecherei frei.