»Unerledigte Geschäfte«

Auf der Londoner Nazigold-Konferenz, die richtiger wohl Raubgold-Konferenz heißen müßte, wurde ein Fonds für Überlebende des Holocaust eingerichtet - ohne deutsche Beteiligung

"Wir dürfen nicht ins neue Jahrtausend eintreten, ohne die unerledigten Geschäfte dieses Jahrhunderts zu Ende zu bringen." Stuart Eizenstat, US-amerikanischer Unterstaatssekretär und Verhandlungsführer der US-Delegation auf der am Donnerstag vergangener Woche zu Ende gegangenen Nazigold-Konferenz, fand deutliche Worte.

Dabei waren die Ergebnisse der Konferenz mehr als dürftig: Zwar war ein Fonds für die Überlebenden des Holocaust eingerichtet und die bisherige Forschungszusammenarbeit koordiniert und verbessert worden, doch die zentralen Forderungen des Jüdischen Weltkongresses (JWK) blieben weitgehend unbehandelt. Auf die Öffnung aller relevanten Raubgold-Archive und ein gemeinsames Vorgehen bei der individuellen Kompensation von Opfern der Shoah wird man weiterhin warten müssen. Eine Folgekonferenz im Frühsommer 1998 in Washington soll sich mit dem Verbleib von geraubten Wertpapieren, Versicherungen, Kunstgegenständen und Schmuck beschäftigen.

Drei Tage lang hatten Delegierte aus 41 Ländern sowie Vertreter verschiedener Hilfsorganisationen im Lancaster House in London versucht, die Herkunft des von Deutschen zwischen 1938 und 1945 geraubten Goldes zu klären. Dabei sollten vor allem die Wege rekonstruiert werden, die das Gold verschiedener ausgeplündeter Nationalbanken ("monetäres Gold") sowie das Organisationen und Privatpersonen geraubte Gold ("nicht monetäres Gold") während und nach dem Zweiten Weltkrieg genommen hat. Die Zuordnung des sogenannten monetären Goldes - also des Goldes, das nach militärischem Überfall und anschließender Besetzung durch die deutsche Wehrmacht aus den jeweiligen Zentralbanken der einzelnen Staaten geraubt und in der Reichsbank umgeschmolzen wurde - war einfach. Die Zahlen dazu sind seit Jahren bekannt. Genauso, daß ein Großteil davon in die Schweiz gebracht wurde.

Ganz anders hingegen sieht es mit dem Gold aus, das Privatpersonen - in der Mehrzahl Juden - in allen unter der Herrschaft Deutschlands stehenden Staaten geraubt wurde: in Form von Münzen, Barren, Ringen, Schmuck - und Zahngold.

Hier klaffe nach wie vor eine "Wissenslücke", erklärte Eizenstat schon zu Beginn der Konferenz - ohne jedoch Dokumente vorzulegen, die seine These gestützt hätten. Doch die hatte die New York Times bereits einen Tag zuvor zitiert: In wesentlich höherem Maße als bisher angenommen, sei "nicht monetäres" Gold nach dem Krieg in den Besitz der westlichen Alliierten gelangt. Noch 1952 seien mindestens 40 Goldbarren eingeschmolzen worden, die aus Schmuck und Münzen bestanden hätten. Die Tripartite Gold Commission (TGC) habe mit diesem neu eingeschmolzenen Gold den Staatsschatz der beraubten Länder wieder aufgefüllt. An die Opfer des NS-Terrors oder ihre Nachkommen sei deren Besitz nur unzureichend zurückgegeben worden.

Die TGC war 1946 - nach dem

Washingtoner Abkommen - von den USA, Großbritannien und Frankreich eingerichtet worden, um den ausgeplünderten Zentralbanken ihr Gold zurückzugeben. Was in den folgenden Jahren auch geschah. Dennoch verfügt sie bis heute über Restbestände von 5,5 Tonnen Raubgold (im Wert von umgerechnet knapp 120 Millionen Mark). Das entspricht knappen 1,7 Prozent des ursprünglich von der Kommission verwalteten Goldes. Dieser Rest soll, wie die TGC schon vor der Konferenz vorschlug, nicht an die berechtigten Regierungen verteilt, sondern über einen Holocaust-Fonds an die überlebenden Opfer des Holocaust ausgezahlt werden.

Die Einrichtung dieses Fonds stand daher auch im Mittelpunkt der Konferenz. Großbritannien und die USA gaben Einlagen von einer Million Pfund (etwa drei Millionen Mark) und vier Millionen Dollar (etwa 7,1 Millionen Mark), die in den nächsten drei Jahren auf insgesamt 25 Millionen Dollar aufgestockt werden sollen, vor. Einige der nach wie vor gegenüber dem TGC anspruchsberechtigten Länder folgten nach: Griechenland, Luxemburg, Polen und Österreich wollen auf ihre Goldquote zugunsten des Fonds verzichten. Frankreich, die Niederlande und die Schweiz haben hingegen eine Fonds-Beteiligung abgelehnt. Die französischen und holländischen Delegierten wollen individuelle Entschädigungsleistungen an Juden unabhängig von dem neugeschaffenen Fonds leisten.

Von der deutschen Delegation war zu einer eventuellen Fonds-Beteiligung nichts zu vernehmen. Anstatt hochrangige Politiker der Bundesrepublik (der Rechtsnachfolgerin des Dritten Reichs) oder Vertreter der Bundesbank (der Rechtsnachfolgerin der Reichsbank) nach London zu senden, hatte man sich in Bonn für die zweite Wahl entschieden. Mit der Entsendung eines pensionierten Diplomaten, dem Leiter des Münchner Instituts für Zeitgeschichte und einem stellvertretenden Leiter des Bundesarchivs setzte man ein klares Zeichen, welche Bedeutung der Raubgold-Konferenz in Deutschland zugemessen wurde. Gilt es doch in Bonn und Frankfurt am Main, Zeit zu schinden und so zu einer "biologischen Lösung" des Problems zu gelangen.

"Dabei eilt die Zeit, wenn die schwindende Zahl von überlebenden Opfern des Naziterrors noch zu deren Lebzeiten entschädigt werden soll", versuchte die Neue Zürcher Zeitung Ende vergangener Woche politisches Handeln zumindest in der Schweiz zu beschleunigen (obschon die Haltung der Zeitung in dieser Frage ambivalent genannt werden muß). Denn auch dort wird seit Jahren geschickt verzögert. Mit dem Verweis auf die staatliche Solidaritätsstiftung lehnte der Schweizer Delegationsleiter Thomas Borer eine Beteiligung der Alpenrepublik an dem Holocaust-Fonds ab. Borer, der sich auch Chef der "Task Force Vermögenswerte Naziopfer" im "Eidgenössischen Department für auswärtige Angelegenheiten" nennen darf, verwies in London erneut auf das Washingtoner Abkommen mit den USA, Großbritannien und Frankreich von 1946. Darin hatte sich die Schweiz verpflichtet, von den - nach damaligem Wert (etwa ein Zehntel des aktuellen Wertes) - 258 Millionen Dollar Raubgold, die nach amerikanischen Schätzungen in Züricher Tresoren lagerten, nur 58 Millionen zurückzuzahlen. Von den bei Kriegsende in der Schweiz liegenden deutschen Vermögenswerten wurde lediglich eine Abschlagszahlung in Höhe von 28 Millionen Dollar geleistet. Private Konten von Nazi-Funktionären in mehrstelliger Millionenhöhe waren in diese Regelung ohnehin nicht einbezogen.

Kaum etwas fürchten Schweizer Politiker und Banker so sehr wie eine eventuelle Revision dieses Abkommens. Der Schweizer Außenminister Flavio Cotti hatte deswegen bereits vor der Konferenz die britische Regierung "um eine faire und sachliche Konferenzführung" gebeten. "Mit einseitigen und haltlosen Behauptungen" dürfe dort nicht gearbeitet werden.

Doch genau diese Revision fordert der Jüdische Weltkongreß seit Jahren. Edgar Bronfman, Präsident der Organisation, hatte zuletzt am Vorabend der Konferenz die Schweiz zur Zahlung von mindestens einer Milliarde Dollar Entschädigung an die Holocaust-Opfer aufgefordert. Unterstützt wurde er dabei von dem britischen Oberhaus-Abgeordneten und Vizepräsidenten des JWK, Lord Janner, mit dem Argument, nur so könne eine Neuverhandlung desWashingtoner Abkommens vermieden werden. Nachdem während der Konferenz auch noch die israelische Delegation die Diskussion um eine Revision des Washingtoner Abkommens eingefordert hatte, mochte die Neue Zürcher Zeitung zum Schluß nicht einmal mehr den USA trauen, auf die man zuvor als Vermittler gesetzt hatte: "Eizenstat signalisierte in London (...) einmal mehr, daß die amerikanische Regierung so lange nicht offiziell eine Neuverhandlung des Washingtoner Abkommens ausschließen will, bis die Schweiz das aus seiner Sicht Nötige geleistet hat. Daß dies auch Diskussionen über Geld meint, ist offensichtlich."

Dabei hatte Stuart Eizenstat - offensichtlich genervt von der siebenundvierzigsten Beschwörung des Washingtoner Abkommens durch Thomas Borer - nur noch einmal das benannt, was ohnehin alle wußten: daß nicht alles, was zwischen 1939 und 1945 in die Schweiz eingegangen ist, auch von ihr zurückbezahlt wurde. Einer Schlußfolgerung hatte er sich dabei enthalten.