Der Fischgeruch des Geldes

Ökonomie-Kritik am frühen Abend. Sat.1 zeigt Dieter Wedels Sechsteiler "Der König von St. Pauli".

Verfolgt von einer Motorradstreife, jagt ein roter Sportwagen durch eine schmale Straße über buckliges Pflaster. Als der Beamte erkennt, wer im Wagen sitzt, ruft er dem Fahrer eine devote Entschuldigung zu, er habe ihn, Max Graf, den Sohn einer Unterweltgröße, nicht gleich erkennen können. Dieser steigt aus, nimmt ein paar Stufen hoch zum Eros-Center, das sein Vater betreibt, lehnt sich ans Treppengeländer und winkt die Tänzerin Lajana zu sich. "Halleluja", sagt Max, "wir sind in Schmiergeld-City."

Schmiergeld-City, das ist St. Pauli, Herbertstraße und - für Dieter Wedel - Hamburgs Gotham-City.

Daß sich der sechsteilige Fernsehfilm "Der König von St. Pauli" aus dem Zeichenvorrat des US-amerikanischen Genrefilms, vor allem des Mafiafilms, zu bedienen versucht, geht nicht ohne jene Peinlichkeiten ab, die bei der Übertragung von Bildern und Motiven in ein anderes kulturelles Milieu üblicherweise entstehen. Insbesondere die Sprache der Unterwelt muß für den deutschen Film erst noch erfunden werden. Wenn Heinz Hoenig in der Rolle des Ex-Boxers Sugar sagt: "Wer will Würfel-Rudi von der Speisekarte streichen?" wirkt das eben nicht hardboiled, sondern nur albern. Besser schon, was Hans Korte als der "Graf", der Mann, der St. Pauli kontrolliert, über Lujana, gespielt von Sonja Kirchberger, zu sagen hat. Komisch, allerdings, wie er es sagt - mit dem feierlichen Ernst eines Oberstudienrates nämlich: "Tolles Weib, gehört zu den abgebrühtesten, die eine Hand nach dem Schwanz, die andere nach dem Geld ausstrecken".

Konsequent ist, daß nach den beiden Erfolgsserien "Der große Bellheim" und "Der Schattenmann" Wedels dritter großer und wohl schwächster Mehrteiler um Geld, Macht und Korruption in die Welt der Huren, Zuhälter, Spieler und Kriminellen führt. Wedel wechselt abermals Schauplatz und Milieu - zentraler Topos im "Bellheim" war das Kaufhaus, im "Schattenmann" der von Korruption unterwanderte Polizeiapparat -, um das Bedrohungsszenario des wirtschaftlich wie moralisch gefährdeten Standorts ein drittes Mal zu entwerfen. Und zwar dort, wo die Jagd nach dem Geld weder von bürgerlicher Moral gebremst noch verschleiert wird.

St. Pauli fungiert als Gegenstück und Zerrbild einer auf Sparsamkeit, Maßhalten und Arbeitsethos gegründeten bürgerlichen Ökonomie. Aber längst ist der vormals in sich geschlossenen Wirtschaftsraum, wo die Dinge nach den ungeschriebenen Gesetzen der Ehre geregelt sind, nicht mehr autark. So, wie die Kaufhauskette Bellheim in den Sog der Globalisierung gerät, sich der verdeckte Ermittler Charly Held ("Schattenmann") in den Fallstricken der Wirtschaftskriminalität verfängt, rutschen die Bordelliers und Nachtclub-Betreiber in ein Abhängigkeitsverhältnis gegenüber Banken und Spekulanten.

Rudi Kranzow (Hilmar Thate), Besitzer des Clubs "Blaue Banane", eine Glückssucherfigur, und sein Konkurrent, der "Graf", ein Aufsteiger, der sich vom Fischhändler und Zuhälter zum Inhaber einer lukrativen Import-Export-Firma hochgearbeitet hat, bekriegen sich gegenseitig und bemerken zu spät, daß der Deal um die besten Grundstücke des Viertels längst nicht mehr am Pokertisch, sondern im Hamburger Finanzsenat abgewickelt wird. "Der Geruch in unserem Viertel hat sich geändert: Haifischzeit" (Heinz Hoenig) oder: Der Kapitalismus der Gründerzeit ist handlungsunfähig geworden. Die kleinen Tricks der Club-Besitzer, mit denen anfangs noch das große Geld zu machen war, sind wirkungslos geworden.

Die Existenzen sind von der Ökonomie nachhaltig zerrüttet, und die Ökonomie hält die zerrütteten Existenzen nachhaltig im Griff. Zum Beispiel Kranzow, früher der "König von St. Pauli". Sein Strip-Lokal "Blaue Banane" mit Live-Sex - Vorbild dürfte das "Salambo" sein - läuft nicht mehr, seit "Graf" nebenan ein Eros-Center betreibt. Als Spieler versucht er, sich das Geld beim Pokern zu verschaffen, verliert an einem Abend 70 000 Mark und schlittert geradewegs in den Ruin. Seine Tänzerin Lajana, ehemals eine Attraktion auf St. Pauli, spürt mit 30 Jahren bereits das Ende ihrer Karriere heraufziehen. Ihr schwebt eine Existenz als Unternehmerin vor. Wagemutig stürzt sie sich in ein windiges Immobiliengeschäft, verspekuliert sich und wird Opfer ihrer Hintermänner. Und der "Graf", der immer noch auf seine Chance wartet, vom Bordellier zum Nobel-Hotelier umzusteigen, wird - wie schon der Patriarch Mario Adorf als Herzog im "Schattenmann" - den Fischgeruch der Gosse nicht los.

Dem gängigen Mißverständnis von Populärkultur, wonach der Unterhaltungsfilm nur dann erfolgreich ist, wenn er wie die neudeutsche Komödie Ablenkung von der Krise verspricht, ist Regisseur und Drehbuchautor Wedel in allen drei Teilen seiner lose miteinander verbundenen Trilogie jedenfalls nicht aufgesessen. Wedel nutzt seine Serien - dies die Gemeinsamkeit mit dem US-Kino und seinen Filmen über die Zeiten der Depression - zur symbolischen Bewältigung der Krise. Und niemanden kann erstaunen, daß sein Einspruch gegen den Terror der Ökonomie im frühen Abendprogramm nicht gleich die Grundlagen der Gesellschaft in Frage stellt. Sondern es sich ziemlich leicht macht.

Ein retrospektiver Blick verklärt und romantisiert die Gründerzeiten und deren Aufbauleistung, damit die Gegenwart des Räuberkapitalismus umso entarterter erscheinen kann. Die Situation retten kann nach dieser Logik allein der kreative Kleinunternehmer, der Self-made-Mann des zweiten Wirtschaftswunders. Sein sinnliches Verhältnis zum Geld macht ihn der Finanzbourgeoisie, anämische Typen mit Stirnglatze und Brille - die eigentlichen Systemfehler - letztlich überlegen.

Erstaunlich allerdings, daß diese schon aus "Bellheim" und "Schattenmann" bekannten Konstellationen die Handlung diesmal nicht so recht vorantreiben wollen. Wohl deshalb nicht, weil die Geschichte so flott auf eine Lösung der Konflikte zusteuert. So kündigt sich die Renaissance des Kiez bereits sehr penetrant in der ersten Folge an, wenn Kranzows Sohn, der Jura-Student Robert, als Inkarnation des links-alternativen Mieteranwalts auf St. Pauli auftaucht. Es scheint, als habe Wedel ziemlich lustlos in die Rezeptkiste mit grün-alternativen Modernisierungskonzepten gegriffen, um den erstbesten in sein Drehbuch zu schreiben. Nur so jedenfalls ließe sich erklären, daß die Einrichtung eines soliden Mittagstischs für die Huren die Probleme des verschuldeten Kranzow-Clans lösen muß.

Wedel hält seine Charaktere, eigentlich eher Typen eines mittlerweile festen Repertoires, fest am Gängelband. Die Gestalt des Patriarchen, des Modernisierers, des Schurken oder des Korrupten der ersten, zweiten und dritten Kategorie (Angestellter, Unternehmer, Politiker) besitzen nicht nur eine Funktion, sondern sind Funktion. Die vielleicht wichtigsten Aufgaben kommt dabei den weiblichen Figuren zu, erst der Sex-Cash-Nexus der weiblichen Typen verschafft den Standort-Geschichten die gewisse symbolische Aufladung und den Gleichnis-Charakter.

Projektionsfläche der Ökonomiekritik ist in allen drei Serien die Figur der Profitmacherin. Im "Bellheim" ist es eine Bankerin (Leslie Malton), die mit Insider-Tips ihr Vermögen machen will. Im "Schattenmann" nutzt eine Friseurin (Jennifer Nitsch) den Prominenten-Salon, in dem sie arbeitet, als Kontakt-Hof, und im "König von St. Pauli" ist es die Stripperin und Prostituierte Lajana, die sich auf "schmutzige" Spekulationsgeschäfte einläßt.

Nirgends wird die Amoralität des Geldes sinnfälliger gemacht, nirgends die Legitimität des Vermögens wirkungsvoller angezweifelt als in der Figur der geldgierigen, geldgeilen Frau. Indem die zweifelhafte (Sexual-)Moral auf die Fragwürdigkeiten des Vermögens transferiert wird, dient sie der Verkörperung eines hysterisch gewordenen Kapitalismus und symbolisiert die Furcht vor der überhitzten, überschnappenden Spekulationsmaschinerie. Anders als die klassiche Figur der ausgehaltenen Frau, z.B. das "Gangsterliebchen", verzichten diese Frauen allerdings darauf, ihre materiellen Wünsche durch "weibliche" Finesse zu verbergen, sondern verhandeln konkret um die ökonomische Basis der Beziehung, z.B. Jennifer Nitsch als die Sonnenbank-gebräunte Friseurin. Sie teilt dem braven Polizisten Charly mit, daß sie keinesweg vorhat, das kleine Reihenhaus oder sein schmales Beamtengehalt mit ihm zu teilen. Entweder er läßt sich auf die Schmiergeld-Geschäfte ein, oder sie verläßt ihn.

Im "König von St. Pauli" spielt die Schlüsselszene, die Verhandlung der Hure Lajana mit dem Rechtsanwalt und Immobilien-Besitzer Dr. Fischer um ein Hafengrundstück, in einer Rotlicht-Bar. Die völlig überzogene Gestik Sonja Kirchbergers - sie streicht sich über die Hüfte, greift nach einer Zigarette und fährt demonstrativ mit der Zunge an ihr entlang - stellt hier den Zusammenhang zwischen Sex und Ökonomie her.

Zwar haben auch die männlichen Figuren ein ausgeprägt sinnliches Verhältnis zum Geld, letztlich aber bleibt es rational. So besteht der "Graf" darauf, die Tageseinnahmen seiner Bordellgeschäfte jeden Abend nach einem festgelegten Ritual vorgeführt zu bekommen; er will - und dies dient zur Unterscheidung zwischen dem produktiven Kapitalisten und dem Finanzyuppie - sein Geld sehen.

Wedel beschließt seine Trilogie, ohne dabei auch nur einmal die wenig charismatische Figur des Arbeitslosen ins Bild schieben zu müssen, obwohl die Rezessions-Saga mit der Metapher des handlungsunfähig gewordenen Subjekts an eben diese Existenz-Ängste des Publikums appelliert und daraus auch einen großen Teil ihrer Wirkung bezieht. Weil die ökonomische Krise: der (drohende) Arbeitsplatzverlust immer auch eine Identitätskrise der "Männlichkeit" bezeichnet, reagiert Wedel mit tröstlichen Stereotypen. - So weiß man am Schuß zwar nicht, welche Farbe das Geld hat, weiß aber, daß es nach Fisch riecht.

"Der König von St. Pauli". Sat. 1. 13., 14., 17., 18., 20. und 21. Januar, jeweils um 20.15 Uhr.