Steh auf, wenn du kein Linker bist

Vor fünf Jahren wurde der Fernsehspot mit dem Focus-Chefredakteur-Darsteller erfunden

Nach ein paar Gläsern Jodelwasser sucht deutscher Frohsinn seinen Ausdruck im Gesang. Sollte der Anlaß ein besonderer sein, wird Selbstgedichtetes in jeglicher Tonart vorgetragen. So brachte, als der Burda-Verlag das erfolgreiche erste Jahr seines Focus feierte, ein gemischter Chor aus Redakteuren folgendes zu Gehör: "Wer Focus liest, der kriegt news to news / konkret und klar, keinen Zynikschmus / Wenn sein Opa ihn dabei unterbricht / sagt er nur kurz, Spiegel braucht man nicht". Michael Holms Schlager "Tränen lügen nicht" vertonte den Lyrikstuß. Der Einwand, es müsse doch wohl "Zynismus" heißen und dieser lasse sich mit seinem Gegenteil, dem Schmus, nur sehr gewaltsam in einem Wort unterbringen, wäre ebenso lächerlich gewesen wie eine Sprachkritik an der volkstümlichen Weise "Ole, wir fahrn ins Puff nach Barcelona". Edmund Stoiber hielt die Laudatio.

"Der Spiegel kann ruhig die Intellektuellen haben, wenn wir die Intelligenten bekommen", sagt Helmut Markwort, "Erster Journalist" im Hause Burda, und meint Leser sowohl wie Redakteure. Diese dürfen inzwischen, da nur der Otto-Katalog mehr Anzeigen zählt als Focus, vollkommen "angstfrei arbeiten". Markwort selbst jedoch, soeben von der Illustrierten Bunte auf Platz neun der Liste der "200 wichtigsten Deutschen" gesetzt, sehnt sich längst nach intellektuellem Ruhm.

"Für ein Komma renne ich sechs Treppen hoch", verriet er neulich dem Tagesspiegel. Ja, arbeiten die denn immer noch mit Bleisatz, könnte man diese rätselhafte Aussage mißverstehen, oder kennt nur der Archivar die einschlägigen Regeln? Nein, Markwort dachte an Karl Kraus, um dessen Nachfolge er sich erstmals offiziell bewarb. Kraus nämlich ließ wegen eines deplazierten Kommas eine ganze Auflage seiner Fackel einstampfen. Soweit kann Markwort heutzutage nicht mehr gehen - denn auf die redaktionellen Beiträge ist zwar gepfiffen, doch um die schönen Anzeigen wäre es ewig schade -, aber sechs Treppen rennt er allemal. Um sich zu kasteien, um seinem Körper die Erinnerung an die Schmach schmerzhaft einzuschreiben. Und damit das ganze Haus merkt, im letzten Heft habe irgendwer mal wieder interpunktionsmäßig Scheiße gebaut.

Am FAZ-Herausgeber Schirrmacher, schrieb die Bunte, "hätte Goethe seine Freude gehabt". Warum sollte Markwort nicht unser heutiger Karl Kraus sein? "Manche Leute regen sich darüber auf, daß ich positiv bin und Spaß habe." So ähnlich, stellt man sich vor, würde der joviale Satiriker, lebte er unter uns, den Übelgelaunten die Leviten lesen. Und sein berühmter Wiener Schmäh ließe ihn hinzufügen: "Im Gegensatz zum Spiegel wird bei mir nicht immer alles mies gemacht." Gäbe man ihm aber den intellektuellen Rabatt, wenn nur die Fakten stimmten, bringe der Leser die Kommaregeln notfalls selber mit, so würde Karl Kraus wohl antworten, dazu falle ihm gar nichts mehr ein.

Am vergangenen Wochenende wurde Focus fünf. Was hat der Karaoke-Chor diesmal gesungen? "Steh auf, wenn du nur Focus liest / Steh auf, wenn Augstein dich verdrießt / Steh auf, wenn du kein Linker bist / Der anderen den Spaß vermiest" nach der Melodie "Go west"? Oder "Helmut Markwort, das ist unser Mann / ein Mann, ein Mann, ein Mann, der alles kann" nach der Melodie "Percy Stuart"? Es wurde bisher nicht überliefert, irgendein angstfreies Poem aber muß es gewesen sein.