Gelenktes Gedenken

Der "Runde Tisch" in Lübeck fordert ein Bleiberecht für die Flüchtlinge aus der Hafenstraße

Nur Organisatorisches steht zur Disposition: Wo genau das Denkmal hin soll, ob es auf Stelzen stehen oder von einem festen Fundament getragen wird und was mit ihm passiert, wenn eines Tages auf dem Grundstück gebaut werden soll - dort, wo vor zwei Jahren noch 48 Menschen lebten und heute eine brache Fläche ist. Zehn von ihnen starben "bei einem Brand" soll an der Lübecker Hafenstraße demnächst zu lesen sein. Das schlägt der "Runde Tisch Brandanschlag auf unsere Synagoge" vor, an dem neben antirassistischen Gruppen VertreterInnen der Kirche und der Stadt beteiligt sind. Kibolo Katuta, Überlebender der Nacht auf den 18. Januar 1996, nickt erst zustimmend. Dann fragt er zaghaft an, ob man nicht wenigstens "Brandanschlag" schreiben könne.

Der persönliche Referent von Lübecks Bürgermeister Michael Bouteiller (SPD), Holger Walter, wiegt den Kopf. Um Worte wolle man sich nicht streiten, und offen für Vorschläge sei er sowieso. Jedoch: Der Text müsse neutral gehalten werden, denn ob es ein Brandanschlag war und wer das tödliche Feuer in dem Flüchtlingsheim legte, habe ja leider nicht aufgeklärt werden können.

Der Zairer Katuta sieht das ganz anders. Er ist sich sicher, daß es ein Brandanschlag von außen war. "Aber um das Image Deutschlands zu retten, haben sie alles getan, um es anders darzustellen." "Sie", das sind die Polizei, die Regierung und jenes Landgericht, das im Juni zwar den Libanesen Safwan Eid freisprach, einen Brandanschlag von außerhalb auf die Flüchtlingsunterkunft jedoch ausschloß. "Es war ein rechtsradikaler Anschlag, und das weiß auch die ganze Welt", ist Katuta überzeugt.

Doch die Stadt Lübeck fühlt sich an das Landgerichtsurteil gebunden, und von einem rassistischen Anschlag wird auf dem Denkmal deshalb keine Rede sein. Als am vergangenen Wochenende plötzlich eine Tafel "zum Gedenken der Opfer ausländerfeindlicher Gewalt" am Rathaus hing, beeilte sich Walter zu versichern, daß sie eine Fälschung sei: "Von einem ausländerfeindlichen Anschlag zu sprechen, entspricht nicht unserer Intention."

Die Stadt hat sich erklärt, die überlebenden 38 Flüchtlinge unterstützen zu wollen. Doch das Bemühen stößt dort auf Grenzen, wo es über mitfühlende Bekundungen und organisatorische Fragen hinausgehen müßte. So haben zwar alle Überlebenden mittlerweile eigene Wohnungen - ein paar Anrufe bei Wohnungsbaugenossenschaften, und plötzlich war in den meisten Fällen binnen weniger Wochen möglich, worauf einige zuvor monatelang gewartet hatten. Doch ein Bleiberecht haben die Überlebenden, die zum Teil ihre Familien verloren und selbst schwere Verletzungen davontrugen, immer noch nicht. 24 von ihnen haben nur eine Duldung, die bis Ende April befristet ist. Zwar hat Bouteiller angekündigt, sie bis zum Ende des Jahres zu verlängern. Gewißheit für ihre Zukunft gibt das den Flüchtlingen jedoch nicht. Auch auf Jobsuche können sie sich vorerst nicht begeben, denn an eine Arbeitserlaubnis ist bei einem derart unsicheren Status nicht zu denken.

Zum zweiten Jahrestag des Brandanschlages überreichte der "Runde Tisch" der schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) rund 5 000 Unterschriften, mit denen ein Bleiberecht aus humanitären Gründen gefordert wurde. Rund 400 Menschen demonstrierten für dieses Recht in der Lübecker Innenstadt.

Bouteiller verweist auf die Landesregierung in Kiel, der schleswig-holsteinische Innenminister Ekkehard Wienholtz (SPD) auf Bonn. Manfred Kanther (CDU) allerdings denkt gar nicht daran, einem Bleiberecht aus humanitären Gründen zuzustimmen, denn denn dies könne "Präzedenzwirkung" haben. Er hat hingegen nicht gesagt, daß er Wienholtz daran hindern würde. Der Kieler Minister könnte es also einfach tun, tut es aber nicht. Hinter vorgehaltener Hand wird spekuliert, daß die Landes-SPD die Bundestagswahlen im kommenden Herbst abwarten will und auf einen sozialdemokratischen Bundesinnenminister setzt.

"Wienholtz hat keinen Mut", sagt Katuta. Er ist dennoch optimistisch, auf Dauer in Lübeck leben zu können. "Man kann die Opfer doch nicht abschieben. Wir haben alle physische und psychische Probleme", erzählt der Zairer, dessen Tochter nachts oft aufwacht und "Papa, es brennt" schreit. Äußerlich verläuft sein und das Leben seiner Familie längst wieder in geregelten Bahnen. Sie haben sich Rahmenbedingungen geschaffen, die nicht nur bis zum Ablauf der Duldung, sondern auch für die Zukunft Bestand haben sollen. Einen Monat nach dem Brand bezogen sie eine Zweizimmerwohnung. "Wir fühlen uns sicher, weil wir mit Deutschen zusammen wohnen", sagt Katuta. "In der Hafenstraße waren wir Flüchtlinge isoliert."

Der Zairer Jean-Daniel Makodila,dessen Frau und fünf Kinder bei dem Brandanschlag starben, lebt heute allein in einem Hochhaus. Kibolo Katuta besucht ihn oft. "Wir haben alle das gleiche Leid", sagt Katuta und erklärt damit auch die "starke Solidarität untereinander."