Stig Larsson schwedische Journalist und Buchautor, über die rechtsradikale Musikszene in seinem Land

»Hitparade der Schläger«

Kann man die neofaschistische Organisierung in Schweden mit der Entwicklung in Deutschland vergleichen?

Zunächst unterscheidet sie sich dadurch, daß wir keine Pogrome wie in Rostock oder Hoyerswerda hatten. In den neunziger Jahren gab es in Schweden keine Naziaufmärsche in derartigen Größenordnungen.

Dennoch gibt es auch in Schweden eine rassistische Mobilisierung.

Die schwedischen rechtsradikalen Gruppierungen hatten ihren Durchbruch in den späten achtziger Jahren. Vorher gab es hier keine ernstzunehmenden organisierten Gruppen. 1979 gründete sich die sogenannte SS, eine Organisation, die sich "Schweden soll schwedisch bleiben" nennt. Diese Gruppe entwickelte sich zu einer führenden Kraft in der rassistischen Bewegung der achtziger Jahre. 1988 schuf sie eine Partei namens "Schwedische Demokraten", eine ernstzunehmende rassistisch orientierte Organisation, die sich an Le Pens Front National orientiert. Parallel dazu wuchs gegen Ende der achtziger Jahre die Skinhead-, Neonazi- und White Power-Bewegung. Der Kern dieser Bewegung verbündete sich 1988 mit dem englischen Blood & Honour-Netzwerk. Ian Stuart, der verstorbene Sänger der Nazi-Band Screwdriver, kam damals eigens für ein Treffen nach Stockholm. Dabei wurde die Herausgabe einer Zeitschrift namens White Rebel beschlossen. Das Blood & Honour-Netzwerk sorgte für die Finanzierung, den Druck und den Vertrieb der Zeitschrift; die Schweden machten die Produktion. Ihre politischen Vorbilder fanden die schwedischen Neonazis damals nicht in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien, sondern in den USA: Sie orientierten sich an den Aryan Nations, den "Turner Diaries" und an der damaligen US-amerikanischen Terrororganisation The Order.

Und welche Konsequenzen hat diese Orientierung heute?

Sie führte 1991 zur Gründung der schwedischen Variante des US-amerikanischen Order, der VAM - auf deutsch "Weißer Arischer Widerstand". 1993 nahm die Polizei mehrere VAM-Mitglieder fest, die anschließend zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Das führte dazu, daß die White Power-Bewegung erst einmal verunsichert war. Sie begannen, sich nach anderen Finanzierungsmöglichkeiten umzusehen und entdeckten die Musikszene. Seit 1994 hat sich in Schweden eine der weltweit größten Produzentenszenen von Nazimusik etabliert. Natürlich wird dabei eine Menge Geld verdient. Das hat dann zu den momentan heftig tobenden internen Auseinandersetzungen zwischen den britischen Neonazis um Combat 18 und der schwedischen Zeitschrift Nordland geführt.

Wie erfolgreich ist die rassistische White Power-Musik innerhalb des schwedischen Mainstreams? Verfügt sie wirklich über gesellschaftlichen Einfluß?

Ja. Ein Beispiel dafür ist die Neonaziband Ultima Thule. Bis 1993 hatte Ultima Thule eine Fan-Gemeinde, die knapp 200 Leute umfaßte. Dann erhielt die Band, die es immerhin schon zehn Jahre lang gab, einen Plattenvertrag von Bert Carisson, einem rechtsgerichteten Produzenten. Nachdem sie diesen kommerziellen Vertrag hatte, stiegen drei Lieder der Gruppe in die Tops der schwedischen Hitlisten. Ihr Verkauf stieg derartig an, daß sie es auf drei goldene Schallplatten innerhalb von drei Monaten brachte. Jugendliche in ganz Schweden, in Klubs und in jeder Schule, hörten auf einmal Nazimusik. Das war der Zeitpunkt, an dem die Nazis kapierten, daß sie den richtigen Weg eingeschlagen hatten.

Sie halten die schwedischen Neofaschisten politisch für nicht so gefährlich, obwohl sie über einen großen Einfluß in der Musikszene und der Jugendsubkultur verfügen. Woher kommt dann die rechte Gefahr in Schweden?

In Zukunft kann die White Power-Musikszene vielleicht wirklich gefährlich werden. Aber bis jetzt beeinflussen die Neonazis die politische Tagesordnung noch nicht. Um ein weiteres Mal das Beispiel Ultima Thule aufzugreifen: Wer hat der Band denn die Türen geöffnet? Bert Carisson ist Gründungsmitglied einer rechten Partei namens Neue Demokratie, die eine eindeutig rassistische Politik betreibt. Er hat den entsprechenden Einfluß und die Macht, um die White Power-Musik zum Erfolg zu bringen. Die Neonazis hatten das jahrelang selbst erfolglos versucht.

Meiner Ansicht nach ist die Formierung einer rassistischen Lobby, die in einige Gegenden Schwedens sehr erfolgreich arbeitet, viel gefährlicher, weil sie völlig andere Zielgruppen, beispielsweise Akademiker, anzieht. Bei den letzten Wahlen erhielten die Schwedischen Demokraten fünf Landtagssitze in verschiedenen Gegenden. Das ist seit 1945 der größte Erfolg für eine Partei mit quasi faschistischer Ausrichtung. Und im Landkreis Skona, an der südlichen Spitze Schwedens, gewannen fünf rechtsgerichtete populistische Parteien mit einem rassistischen Programm insgesamt 50 Mandate. Ihre Forderungen sind die gleichen wie die der Nazis: die Ausweisung aller Immigranten und Immigrantinnen. Und als politische Gruppierungen sind sie gesellschaftlich weitaus gefährlicher.

Die Nazimusikszene in Schweden hat enge Kontakte nach Deutschland und in die USA. Warum ist das Land für Nazis in ganz Europa so interessant?

Meiner Ansicht nach ist Schweden für die USA nicht von besonderem Interesse. Aber in Deutschland gelten andere Gesetze, die die Herstellung von Naziliteratur und Musik wesentlich schwieriger machen. Da ist es natürlich sehr bequem, einige hundert Kilometer entfernt alles produzieren zu können. Erst jetzt wurde hier das erste Mal von einem Gericht entschieden, daß eine Schallplatte der Anstiftung zum Rassenhaß dient. Momentan ist Schweden der ideale Ort für Neonazis, und das nutzen sie für ihre Zwecke.