Form Follows Nature

Der finnische Architekt Alvar Aalto wäre am 3. Februar 100 Jahre geworden

"Wer sich mit der Architektur Alvar Aaltos befassen will", hat der Schweizer Architekt Werner M. Moser einmal gesagt, "tut gut daran, sich seiner Herkunft zu erinnern." Obgleich einer der maßgeblichen Architekten der Moderne, der in den zwanziger Jahren an der Seite seiner Zeitgenossen Ludwig Mies van der Rohe, Walter Gropius,

Le Corbusier, Werner M. Moser und anderen für eine Erneuerung des Bauens, eine an sozialen, menschlichen und ökonomischen Bedürfnissen orientierten Architektur international eintrat, blieb der Schwerpunkt des Werks von Hugo Alvar Aalto doch immer in Finnland.

Am 3. Februar wäre er 100 Jahre alt geworden. Eine Ausstellung in der Kunsthalle Helsinki stellt zu seinem Geburtstag unter dem Titel "Alvar Aalto in Seven Buildings" sieben seiner Werke in den Mittelpunkt, die zugleich zu den bedeutendsten Bauten der Moderne zählen: das Tuberkulose-Sanatorium in Paimio, eine Stadtbibliothek in Viipuri, die Villa Mairea in Noormarkku bei Helsinki, das Rathaus in Säynätsalo und die Vuoksenniska-Kirche in Imatra.

Bis auf die Stadtbibliothek in Viipuri stehen alle Gebäude in Finnland und - das ist bezeichnend für die Arbeiten Aaltos - sie leben aus der Landschaft Finnlands. Ähnlich wie Holland ist Finnland ein kleines Land, bestimmt durch seine periphere Lage, seine Offenheit zum Meer, seine relativ dünne Besiedelung und weiten Waldgebiete, die 70 Prozent seiner Bodenfläche ausmachen. Erst 1917 wurde es unabhängig. Alvar Aalto war damals 19 Jahre alt. Seine frühen Werke sind von einer gewissen Großzügigkeit geprägt, begann er doch in einer Zeit zu bauen- 1923 gründete er sein erstes Büro in Jyväskylä -, als die industrielle Nutzung der Bodenschätze gerade erst begann. Auch die Bauherren wollten Zeichen des Fortschritts setzen. Das Projekt für die 700-Jahr-Feier der Stadt Turku, das er zusammen mit Erik Bryggmann entwarf, gilt als das erste Bauwerk der Moderne in Nordeuropa - ein Jahr früher noch als der wesentlich berühmter gewordene Pavillon von Gunnar Asplund für die Weltausstellung in Stockholm.

Aalto zog schnell die Aufmerksamkeit der internationalenArchitektur-Avantgarde auf sich. Es waren der Schweizer Architekt Siegfried Giedion und Werner M. Moser, die ihn ermutigten, an den von Le Corbusier ins Leben gerufenen Internationalen Kongressen für Moderne Architektur (GIAM) teilzunehmen, die forthin für das "Neue Bauen" wegweisend werden sollten. Aalto orientiert sich an streng funktionalistischen Prinzipien. Beim Bau eines standardisierten Mietshauses 1927 bis 1928 in Turku macht er ähnliche Erfahrungen mit vorgefertigten Bauelementen wie zeitgleich Walter Gropius, Mies van der Rohe und andere bei der 1927 erbauten Siedlung Weissenhof in Stuttgart. Das Redaktionsgebäude der Zeitung Turun Sanomat in Turku, die Bibliothek in Viipuri (heute Rußland) und das Tuberkulosesanatorium in Paimio gehören in diese Schaffensperiode.

Obwohl es als Großprojekt für ein Einzugsgebiet von 46 Gemeinden geplant ist, behält Aalto in seiner Konzeption für das Sanatorium immer die psychischen und sozialen Bedürfnisse des einzelnen Menschen im Auge. Das Gebäude ist klar in seine Funktionsbereiche untergliedert, die Krankenzimmer des Pflegebereichs sind fernab vom Verkehr angesiedelt und öffnen sich mit großen Liegeterrassen nach Süden hin.

Bedenkt man, daß etwa zur gleichen Zeit das Seebad Prora auf der Insel Rügen geplant wurde, das im Sinne des Nationalsozialismus unter dem Motto "Kraft durch Freude" auf eine Masse von Erholungsuchenden ausgelegt war und jedes menschliche Maß weit überschritt, so tritt Aaltos humanistischer Ansatz umso deutlicher zutage. Als eine "Geste gegen den Faschismus" wertete denn auch der Schriftsteller Max Frisch den Entwurf des Finnischen Pavillons für die Weltausstellung 1939 in New York.

In einer Zeit, in der andere Länder sich mittels autoritärer Bauten international darzustellen suchten, blieb Aalto mit einer asymmetrischen Raumkomposition, bestimmt durch eine diagonale wellenförmige Anordnung der Wände, antihierarchisch - keineswegs jedoch zurückhaltend. Der Pavillon war eine klare Absage an die Symbolik von Macht und Autorität.

Nach dem Zweiten Weltkrieg folgten zahlreiche internationale Projekte, darunter das 1947/48 erbaute Baker House, ein Studentenwohnheim des Massachusetts Institute of Technology im amerikanischen Cambridge. 1957 wurde Aalto mit dem Ersten Preis für ein Wohnhaus auf der Internationalen Bauaustellung "Interbau" in Berlin ausgezeichnet, in Wolfsburg baute er 1962 ein kirchliches Gemeindezentrum, in Bremen im gleichen Jahr die Wohnsiedlung "Neue Vahr" und in Reykjavik 1968 das Nordische Haus als Kongreßzentrum.

Posthum wurde 1988 das Opernhaus in Essen, unter der Leitung seiner zweiten Frau Elissa Aalto, die stets zu seinen wichtigsten Mitarbeitern zählte, fertiggestellt. Es geht auf seinen Entwurf aus dem Jahr 1959 zurück und gilt als einer der bedeutendsten Theater- und Konzertbauten.

Für das Ehepaar Gullichsen entwarf Aalto 1939 das Einfamilienhaus Mairea in Noormarkku, das eine Synthese all der an anderen Gebäuden erprobten Elemente darstellte: Das Holz, das die Fassade des 1937 für die Weltausstellung in Paris entworfenen Pavillons charakterisiert; die am New Yorker Pavillon entwickelte geschwungene Linie der Raumkonzeption und der Ziegelstein als dominierendes Element der Fassade, den er erstmals bei den Gebäuden der Zellulosefabrik in Sunila (1935/39) verwendet hatte. Der Bezug auf die Umgebung, die Einbeziehung natürlicher Materialien, besonders Holz, und der sorgfältige Umgang mit Details fördern in der Villa Mairea das sinnliche und künstlerische Potential zutage, das der modernen Architektur inhärent ist.

Die geschwungene Linie sollte fortan Aaltos Architektur bestimmen. Im eigenen Atelierhaus in Munkkiniemi bei Helsinki entwickelte er 1955 die Form zu einem Halbrund weiter, das einen Gartenhof umschließt. Ähnlich sind die einzelnen Nutzungsbereiche des 1949 bis 1952 erbauten Rathauses von Säynätsalo um einen gartenartigen Innenhof gruppiert. In ihrer durchgehenden Ziegelsteinverkleidung wirken die Baukörper wie geologische Metaphern, verweisen auf das enge Verhältnis Aaltos zur Natur.

Unter den Kirchenbauten zählt die 1959 fertiggestellte Vuoksenniska-Kirche in Imatra zu Aaltos Meisterwerken. Die asymmetrische Raumkonzeption folgt den Anforderungen von Akustik und Lichtführung, da der Raum je nach den Ansprüchen vergrößert oder verkleinert werden kann. Die in Sichtachse der Kanzel liegende Wand ist in drei Bogen gegliedert, die das Gebäude auch nach außen formen.

Eine vergleichbare Gestaltung von innen nach außen findet sich in dem 1958 erbauten Haus der Kultur in Helsinki. Eigentlich als Gewerkschaftshaus für Arbeitervereine geplant, wird es heute vor allem für Konzerte und Kongresse genutzt. Der rhythmische Aufbau des Innenraums bewirkt, daß niemals der Eindruck von Leere aufkommt, auch wenn eine Veranstaltung weniger gut besucht ist. Die Asymmetrie spiegelt sich in der Außengestaltung, im Wechsel konkaver und konvexer Wellenformen, die dem ganz mit roter Ziegel verkleideten Bau jegliche Monumentalität nehmen. Er ist, am Ufer des Töölösees gelegen, einer der Kulturbauten im Rahmen eines Bebauungsplans, den Alvar Aalto Ende der fünfziger Jahre für Helsinki entwickelt hat.

Noch während des Zweiten Weltkrieges beteiligte er sich an dem vom finnischen Architektenverband 1942 in die Wege geleiteten Wiederaufbauprogramm für die zerstörten Städte. 1944 bis 1955 arbeitete er einen Regionalplan für Lappland aus und ab 1963 einen Bebauungsplan für die Hauptstadt Rovaniemi mit Episkopalkirche, Rathaus, Bibliothek und Kirchengemeindehaus.

Wie Rovaniemi, so ist auch das Zentrum Helsinkis von der Architektur Alvar Aaltos geprägt. 1959 erhielt er den Auftrag zur Planung eines neuen Zentrums der Stadt, dessen Verwirklichung aber erst Anfang der siebziger Jahre in Angriff genommen wurde. Eine solche Aufgabe muß für Aalto als Architekt der Moderne die Erfüllung eines Traums bedeutet haben. Das neue Zentrum von Helsinki erstreckt sich von Hauptbahnhof und Reichstagsgebäude bis zur Töölösee-Bucht. Um den See herum sind in einer großzügig geschwungenen Linie verschiedene Kulturbauten Aaltos, darunter das Haus der Kultur, die Kongreßhalle "Finlandia" aus dem Jahr 1975, die 1969 fertiggestellte Akademische Buchhandlung und das Konzerthaus von 1971, gruppiert. Zum Teil über die Wasserfläche hinausgebaut, bilden sie als Dominanten eine Verbindung zum angrenzenden Stadtteil Kamppi und zum alten Stadtzentrum.

Derzeit entsteht hier eine neue Kulturhalle "Kiasma" nach einem Entwurf des amerikanischen Architekten Steven Holl. Sie ist eines der großen Projekte, mit denen sich Helsinki als Kulturstadt Europas präsentieren will, wenn Finnland im Jahr 2000 den Ratssitz der EU übernimmt.

Ausstellungen zum Aalto-Jubiläum

Alvar Aalto Museum, Jyväskylä: "Alvar Aalto. Architekt". Retrospektive. Ab 1. Januar

Kunsthalle Helsinki: "Alvar Aalto in Seven Buildings". 4. Februar bis 1. März

Design Museum Helsinki: "Play of Light". 4. Februar bis 1. März

Museum of Modern Art, New York: "Between Humanism and Materialism". Retrospektive. 19. Februar bis 19. Mai

Finnland Institut Berlin: "Alvar Aalto und der Ziegelstein. Raum Form Fläche". Vom 25. März bis 24. April.

Museum of Central Finland: "Alvar Aalto: Points of Contact". Vom 5. Juni bis 27. September (ab Oktober 1998 im Alvar Aalto Museum in Jyväskylä).