Ladenschluß

"Wendelin Niedlich's" in Stuttgart war immer mehr als ein Buchladen - ein literarischer Salon inmitten der Stuttgarter Einkaufsmeile, und insoweit ein Hauch von Welt. In Festschriften über Max Bense, die Stuttgarter Schule, die APO-Jahre, gedenkt man seiner mit Wehmut. Auch die Robert-Walser-Verehrer hatten in ihm einen Stützpunkt. Was wichtiger ist: Er hatte stets alle Werke unseres Hausdichters Peter O. Chotjewitz auf Lager, sogar die seit 30 Jahren vergriffenen, aber natürlich auch die Jungle World und Preziosen wie die "Reihe rot" von Elisabeth Walter.

Literarische Massenware, den neuesten Grass-Walser-Handke-etc., suchte man bei ihm vergeblich wie Ratgeber über den Ausbau von Einbauküchen. So lag sein ökonomisches Scheitern in der Logik seines Unternehmens, auch wenn er eine rätselhafte Neigung für drittklassige Grafiker hatte (Meckseper, Janssen, Wunderlich, Tripp).

Natürlich war er ein Schlitzohr, das sich gerne was schenken ließ (Grafiken vor allem), aber vielleicht war Chotjewitz der einzige, der für Lesungen in des Buchhändlers Keller nie Geld kriegte. Stets jedoch erweckte Niedlich den Eindruck, daß man ihm helfen müsse, und tatsächlich fanden mehrfach Aktionen zur Rettung seiner Geschäftsbücher statt (falls er überhaupt welche hatte). Ermutigend war zuweilen die Waghalsigkeit seiner politischen Stellungnahmen. Ungeniert gründete er 1975 ein Komitee zur Verteidigung der politischen Gefangenen in der BRD, und als einziger lokaler Kulturträger stand er am Grab, als die Stammheimer beisgesetzt wurden. 1980 zur Bundestagswahl dekorierte er seine Schaufenster mit Anti-Strauß-Parolen. Der Eklat, den er damit auslöste, war nicht sein erster und letzter.

Zum 1. März wird er nun zumachen und die lokale Presse, die Honoratorien etc. weinen seit Tagen ganzseitige Krokodilstränen über das kulturelle Urgestein, das da verlorengehe.

Der vorläufige Schlußakt, letztes Wochenende, sah noch mal tout Posemuckl auf den Beinen: Eine endlose Versteigerung von Grafik aus seinem Besitz, im Sitzungssaal des Rathauses, Auktionator Ex-Landeschef Lothar Späth, der launig als "Geschäftsmann aus der demokratisch besetzten Zone" begrüßt wurde. Mit dem erwarteten Erlös von etwa 500 Riesen soll dem Mann des Buches ein "würdiger" Abgang ins elfte Jahrsiebt ermöglicht werden. So endete auch diese Ära in einer Provinzposse, natürlich. Gönnen wir's ihm, dem Niedlich, denn Rente kriegt er ja wohl keine.