Zur Hölle mit dem Arbeitsamt

Mindestens 2 000 Demonstranten, die meisten Erwerbslose, trafen sich in Berlin vor dem Landesarbeitsamt. Der DGB hatte eine Kundgebung von 50 bis 100 Leuten angemeldet. Der Präsident des Arbeitsamtsbezirks Berlin-Brandenburg, Herr über 544 800 Erwerbslose, zeigte Unverständnis, daß "ausgerechnet vor unseren Türen demonstriert wird". Entzückt über die unerwartet hohe Beteiligung schlug die DGB-Kreisvorsitzende Ursula Schäfer eine Spontandemonstration vor. Diese glitt der Gewerkschaft völlig aus den Händen. Ein Teil der Demonstrierenden zog zum Roten Rathaus. Dort kam es zu Rangeleien mit der Polizei.

"Den Studis so lange auf die Schulter klopfen, bis sie in die Knie gehen" - so beschrieb eine im Dezember in Berlin aufgetauchte Flugschrift, den Umgang der Politiker, Medien, Unternehmer, Gewerkschaften usw. mit der studentischen Streikbewegung. Nicht mal kleine Verbesserungen hat sie erreicht. So ist das in der deutschen "Konsensgesellschaft". Nach den ersten Reaktionen zu urteilen, könnte einer Erwerbslosenbewegung ähnliches blühen. Von oben herab wird den Arbeitslosen - die fein säuberlich von Sozialhilfebeziehern und Arbeitenden getrennt werden - auf die Schulter geklopft: Jaja, die Arbeitslosigkeit ist ein schwerwiegendes Problem, sagen die Politiker; vertraut uns, wir werden es für euch lösen.

Die letzte Maßnahme zur "Problemlösung" stammt vom 1. Januar. Da ist das Gesetz in Kraft getreten, das die Meldepflicht und den Bewerbungszwang verschärft. Daß dieses Schikanegesetz zurückgenommen werden soll, ist Konsens unter den selbstorganisierten Arbeitslosengruppen und den Gewerkschaften.

Weitergehende Forderungen sind umstritten. Die Initiative euromarsch und das Aktionsbündnis Arbeitslosenprotest in Berlin sind sich weitgehend einig: Sie wollen - in Anlehnung an Frankreich - sehr materialistisch die sofortige Anhebung aller Leistungen um 200 Mark/Monat, außerdem eine soziale Grundsicherung für alle in Höhe von 1 500 Mark plus Warmmiete. Im übrigen fordern sie eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit.

Will man das Schikanegesetz tatsächlich abschaffen, stellen sich einige Fragen. Nicht nur wie man dafür sorgt, die Forderung durchzusetzen. Sondern auch die Frage nach der sich wandelnden Funktion der Arbeitsämter. Von einer Vermittlungsfunktion auf den Arbeitsmarkt, die in den siebziger Jahre im Vordergrund stand, zur heutigen Institution der Kontrolle und Schikane - die Arbeitslose abschrecken soll, Leistungen in Anspruch zu nehmen; die sie in die "kleinen Jobs" pressen soll, die der Arbeitsmarkt so bietet. Und die sie auf Trab halten, sie "flexibel" machen soll.

Wenn der Inhalt der Arbeit auf den Arbeitsämtern mittlerweile in der Schikanierung der Arbeitslosen besteht, was sollte die Sachbearbeiter daran hindern, ihre Arbeit nutzlos zu finden und zu streiken? Sich einen lauen Lenz zu machen, den Arbeitslosen ihr Geld zu überweisen und vielleicht versehentlich ein bißchen mehr; sie zu beraten, wenn sie es wünschen, und ihnen ansonsten eine gute Zeit zu wünschen - in dem Bewußtsein, daß ein Sachbearbeiterjob auf dem Arbeitsamt auch nicht zu den krisensichersten Arbeitsplätzen zählt, wenn man nicht zum Schergen werden will? Der Maßstab für die praktische Solidarität der Gewerkschaften mit den Arbeitslosen wird ein Streikaufruf auf den Arbeitsämtern sein - gegen die Gesetze vom 1. Januar.

Mehr ist von ihnen nicht zu erwarten - außer Wahlkampfhilfe für die SPD.