Erleuchtung nach 19 Jahren

Sinneswandel oder Wahlkampf? Niedersachsens Innenminister Glogowski verbietet Heide-Heim e.V. und läßt das Nazizentrum in Hetendorf schließen

Im Haus von Ilse und Otto Koch brennt schon das Licht, als die Celler Polizei am Donnerstag letzter Woche in aller Frühe das Tor zum Anwesen Hetendorf Nr. 13 öffnet. Um 6.30 Uhr schlagen die Wachhunde der beiden Frühaufsteher an, Strafermittler mit Zivilfahrzeugen und VW-Bussen fahren den Privatweg hinauf zum Herzstück des Anwesens, dem Nazizentrum "Heideheim". Der Einsatzleiter begrüßt das mit Hausmeistertätigkeiten beauftragte Rentnerehepaar Koch und erklärt ihnen den Hintergrund für den frühmorgendlichen Besuch: Der Trägerverein des Zentrums Heide-Heim e.V. aus Hamburg sei ebenso wie der Förderverein Heide-Heim e.V. aus dem niedersächsischen Buchholz mit sofortiger Wirkung verboten, das Vereinsvermögen werde beschlagnahmt, und damit auch das Grundstück in Hetendorf. "Das mußte ja mal passieren", kommentiert Ilse Koch den Vortrag des Einsatzleiters gelassen und zieht sich wieder in ihr Häuschen zurück.

Etwa zur selben Zeit ist in der Hamburger Auguste-Baur-Straße noch alles dunkel, als die Polizei vorfährt. Ein Beamter muß lange klingeln, bis die betagte Haushälterin die Tür öffnet und die Polizisten in die Wohnungs- und Geschäftsräume des Nazi-Anwalts Jürgen Rieger läßt. Der 51jährige Rieger, der in der schicken Villa in Blankenese residiert, war Vorsitzender beider nun verbotenen Vereine. Er zeigt sich ebenso wie die Kochs in Hetendorf nicht sonderlich überrascht von dem Besuch der Polizei, die einige Unterlagen beschlagnahmt und sie in einem Karton aus der Villa trägt.

Währenddessen erklärt der niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski (SPD) in Hannover der Presse den Grund für seine Verbotsverfügung. Die beiden Vereine hätten das Ziel verfolgt, "mit ihrer Tätigkeit die verfassungsmäßige Ordnung fortlaufend zu untergraben und letztendlich zu beseitigen". Die Arbeit der Vereine sei darauf ausgerichtet gewesen, "Treff- und Veranstaltungsmöglichkeiten für andere rechtsextremistische bzw. neonazistische Gruppierungen bereitzustellen". Außerdem, so der Innenminister, seien sie verantwortlich für die "Hetendorfer Tagungswochen", bei denen es stets "um die Indoktrination einer Rassenideologie" und um die "Leugnung der Vernichtung der Juden im nazistischen Deutschland" gegangen sei. Man habe sich, erklärt Glogowski, zu der "Ad-hoc-Maßnahme" entschlossen, nachdem Informationen durchgesickert seien, daß sich die Betreiber des Heideheims einer "polizeilichen Maßnahme" entziehen wollten.

Während in Hamburg der Karton mit Riegers Akten durch den Vorgarten getragen wird und in Hetendorf, 30 Kilometer nördlich von Celle, die Polizisten auf Verstärkung warten, durchsuchen Kollegen in München und Schwanawede bei Bremen die Wohnungen von Riegers StellvertreterInnen sowie die Wohnung des Schatzmeisters in Velpke. Die Celler Beamten warten übrigens nicht nur auf Verstärkung, sondern auch auf einen Boten, der die Verbotsverfügung und einen Durchsuchungsbefehl bringen soll; diese Papiere hatten die Beamten bei ihrem Ad-hoc-Aufbruch glatt auf irgendeinem Schreibtisch liegen lassen. Nach fast einer Stunde können die 50 herbeibefohlenen Polizisten endlich mit der Durchsuchung der vier Gebäude auf dem 7 000 Quadratmeter großen Areal beginnen. Besonders motiviert scheinen die Beamten jedoch nicht zu sein. Hier zu suchen sei überflüssig, erklärt der Polizeipressesprecher vor Ort gleich zu Beginn der Razzia. "Die haben nichts zu verstecken. Außerdem gehen wir hier ein und aus", sind seine Worte. Ein anderer Beamte meint: "Was soll die ganze Aufregung? Das sind doch ordentliche Leute, die wir kennen." Ein Kollege von ihm ergänzt: "Die Presse und die Linke hat das so hochgekocht." Ab und an kämen hier "mal ein paar Leute, die feiern wollen" her. "Sonst ist hier nichts los", weiß er.

Die Inaugenscheinnahme des Geländes verläuft dementsprechend. Wo niemand etwas zu verstecken hat, braucht man schließlich auch nicht groß zu suchen. Aus den vier Gebäuden tragen Polizisten Buchführungsunterlagen, Einladungslisten, mehrere Reichskriegsfahnen, zwei Lanzen und einen Sportbogen, sowie diverse rechtsextreme Schriften zusammen und verstauen das Zeug in der Bibliothek des Heideheims. Ein eiligst herbeigerufener Tischler verschließt die Tür. Nach anderthalb Stunden versiegelt ein Polizeibeamter das Eingangstor und die Ermittler düsen wieder von dannen.

Das Grundstück Hetendorf 13 war 19 Jahre lang im Besitz von extrem rechten Funktionären und ihren Vereinen. Seit 1990 gehörte dem Heide-Heim e.V. die Anlage. Im selben Jahr versuchte Rieger, ein weiteres Gebäude in Hetendorf zu erwerben. Ohne Erfolg. Der Protest der AnwohnerInnen ließ den Deal platzen. Wütende Rechtsextremisten verteilten draufhin ein Flugblatt im Dorf, in dem unverhohlen gedroht wurde: "Wir haben uns bemüht, gute Nachbarschaft zu halten. Wir können auch anders. Wer Krieg haben will, soll ihn bekommen. Wir haben uns gemerkt, wer im Dorf (...) sich gegen uns gestellt hat. Und wir haben ein gutes Gedächtnis. (...) Wir halten uns an die Methode des Alten Testaments: Auge um Auge, Zahn um Zahn." Anschließend ging die Angst um in der 200 Seelen-Gemeinde.

Erstmals in die Schlagzeilen geriet Hetendorf 1983, nachdem die erste größere Sonnenwendfeier auf dem Anwesen stattgefunden hatte. Die inzwischen verbotene Wiking Jugend führte ihr traditionelles Pfingstlager durch. Seit 1991 richteten verschieden neofaschistische Vereine, wie der Heinrich-Anacker-Kreis, die Glaubensgemeinschaft und die Artgemeinschaft alljährlich im Juni die "Hetendorfer Tagungswochen" aus, ein hochkarätiges Treffen der militanten Naziszene.

Gegen das Nazizentrum in Hetendorf regte sich seit Jahren Protest nicht nur von den Einwohnern des Dorfes, sondern vor allem von außerhalb. Eine autonome Antifa-Gruppe verübte 1984 einen Brandanschlag, 1987 fand die erste Demonstration aus dem autonomen Antifa-Spektrum statt. Die Polizei kesselte die DemonstrantInnen zuerst ein und prügelte sie dann auseinander. Bei dem Drunter und Drüber wurden einige Gartenzäune und Vorgärten beschädigt, was im Dorf zu der Stimmung führte, die Nazis seien zwar schlimm, schlimmer jedoch seien die angereisten AntifaschistInnen.

Sieben Jahre trugen autonome Antifas den Protest allein, bis sich 1994 ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Kirchen, Parteien, dem örtliche Fußballverein und Antifa-Gruppen zusammenfand, um gegen die Nazis auf die Straße zu gehen. 1995 nahmen bereits 2 000 Menschen an der Demo teil und 1 000 besuchten ein antifaschistisches Camp. Kein Nazitreffen konnte mehr stattfinden, ohne daß es zu Antifa-Protesten kam. Es war die Polizei Glogowskis, die jedes Mal die Nazis schützte. So auch 1996, als sie über 200 zumeist jugendliche Antifas festnahm. Die 201 Strafverfahren wurden nur dank massiver öffentlicher Kritik gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt.

Auch 1997 sorgte die Polizei dafür, daß die "7. Hetendorfer Tagungswoche" reibungslos über die Bühne gehen konnte. Zuvor hatte das Oberverwaltungsgericht Lüneburg eine Verbotsverfügung aufgehoben. Die Richter sahen keine ausreichenden Verdachtsmomente dafür, daß die "Judenvernichtung geleugnet und der Nationalsozialismus verherrlicht" werden könnte. Woher sollten solche Erkenntnisse auch kommen? Vom Landesamt für Verfassungsschutz? Dessen Chef, Wolf Rüdiger Hesse, hatte noch 1996 über den jetzt verbotenen Heide-Heim e.V. gesagt, "eine Gefahr für den Rechtsstaat geht von dieser Gruppe nicht aus".

Dennoch freuen sich die örtlichen Antifa-Gruppen über den vermeintlichen Sinnungswandel des Innenministers, äußern jedoch auch Skepsis. Dieter Kurz vom örtlichen Bündnis gegen Rechts: "Die Erkenntnisse für ein Verbot liegen seit Jahren vor. Es drängt sich der Verdacht auf, daß es Glogowski nicht um ein wirksames Vorgehen gegen Rechts geht, sondern eher darum, sich kurz vor der Landtagswahl als durchsetzungsfähiger Law-and-Order-Politiker zu präsentieren."