Ene, mene, miste

Einzelkinder machen keinen Krach. Ist deutscher HipHop möglich?

Als der amerikanische Rapper KRS-One vor fünf Jahren die Europatour zu seiner Platte "Edutainment" absolvierte, gab er auch ein Konzert im Berliner Huxley's. Die Halle war voll und KRS-One rockte mächtig das Haus. So mächtig, daß ein paar Meter vor mir, direkt vor der Bühne, eine Gruppe von Türkenjungs anfing sich herumzuschubsen und dabei ziemlich viel Spaß hatte. Auch KRS-One fand das prima: Wenn er all die Leute hier slamdancen sehe, wolle er doch allen Slamdancern seinen Respekt bezeugen. Direkt hinter mir stand jemand, der genauso aussah, wie ich mir einen Diskursrock-Spex-Leser-Philosophiestudenten vorstelle, dunkle Hose, dunkler Pullover, Brille. Je öfter KRS-One seine Hand zu den Türkenjungs ausstreckte, desto lauter kam es von hinter mir: "No respect to these people! No respect to these people!"

Was war da geschehen ? Ein Rassist bei einem HipHop-Konzert? Oder was sollte das "these people" heißen? Oder ein Anti-Sexist, der die Macker-Rituale abstrafen wollte? Oder jemand, der von KRS-One etwas anderes erwartet hatte, als daß er sich mit dem Pöbel gemein machte? Jemand, der KRS-One quasi darauf aufmerksam machen wollte, daß es besser sei, ihm - dem Philosophiestudenten - respect zu geben, wo er sich doch auch tagein, tagaus Gedanken mache? KRS-One sagte doch schließlich auch von sich selbst, ein philosopher zu sein ...

Die HipHop-Rezeption in Deutschland war von Beginn an ein großes, kompliziertes Mißverständnis. Und im Zentrum stand der Begriff der Kultur. Denn das Interesse popkultureller Kreise an dem neuen Sound entstand parallel zum Aufkommen der New School des HipHop, der es eben nicht nur um die Party ging. Besonders Boogie Down Productions, hinter der KRS-One stand und Public Enemy hatten es den Independentrock-Geprägten angetan: Plötzlich ging es nämlich wieder um etwas. Nach all den leeren Zeichenspielen der Achtziger stand auf einmal wieder die Verbindung von Pop und Politik zur Diskussion.

Doch daß HipHop kein schwarzer Punk war, mit dem sich eins-zu-eins identifiziert werden konnte, wie es Parolen wie "Fight the Power" oder "Bring the Noise" scheinbar suggeriert hatten, wurde auch schnell klar. Denn wenn sich KRS-One auf einem Plattencover als Malcolm X mit Maschinenpistole am Fenster stilisierte oder Public Enemy sich nach der FBI-Bezeichnung für die Black Panthers benannten und sich auf ihrem Emblem ins Fadenkreuz stellten, wurden Ikonen einer schwarzen Widerstandsgeschichte benutzt, und die taugten für hiesige Verhältnisse natürlich nur bedingt. Das wurde spätestens klar, als sich Jungs mit Malcolm X-Mützen am Anzünden von Asylbewerberheimen beteiligten.

Was also tun? HipHop wurde umdeklariert. Es wurde zu einem black thang erklärt, das von Deutschland aus nicht verstanden werden könne, weil im HipHop eine minoritäre Gegensprache gesprochen werde, die sich über die Jahrzehnte, noch aus der Zeit der Sklaverei, entwickelt habe und darauf basiere, die Herrschaftssprache mit einem Gegensinn zu belegen. Eine ganze Reihe von HipHop-Platten schienen mit ihrem Neo-Afrozentrismus und ihren Aufforderungen, sich mit der "eigenen" Kultur und Identität auseinanderzusetzen, diese Interpretation zu stützen. Für Deutschland bedeutete diese Ethnisierung aber auch, daß es deutschen HipHop nicht geben konnte, was den Diskurs natürlich für diejenigen, die ihre Nächte lieber in S-Bahndepots mit Sprühen verbrachten als in der Uni-Bibliothek, entsprechend wenig attraktiv machte.

Die interpretierten "Learn your culture" anders: nämlich zunächst als Aufforderung, vernünftig breaken, sprühen und rappen zu können, sich also mit dem, was HipHop praktisch ausmacht, auseinanderzusetzen. Und das taten sie dann auch, mit der gebotenen Ernsthaftigkeit - was heute noch zu Leserbriefen führt, wie in der aktuellen Ausgabe des amerikanischen HipHop-Magazins Source, wo sich ein deutscher Austauschschüler in den USA darüber beschwert, daß dort, im Mutterland von HipHop, niemand mehr breaken könne.

Doch wozu die ganze Geschichte, wo heute doch sowieso alles anders, HipHop nämlich Pop ist, ständig auf mindestens einem Kanal Puff Daddy läuft und der deutsche Sprechgesang das heißeste Ding ist, seit der Spiegel einen Popredakteur hat? Wieso diese riesige Einleitung, wo es doch nur um eine neue Platte geht? Weil Anarchist Academy von all dem wissen und trotzdem HipHop machen. Dafür setzen sie zehn Jahre zurück und fangen noch einmal mit dem Public Enemy-Agit-Pop-Prinzip an. Also, die Platte "Rappelkistenkids" geht so: Parolen prägen, geschichtliche Symbole besetzen und Militanz signalisieren. Und: Es funktioniert nicht.

Vor allem deshalb nicht, weil sich eine Bande von vier Jungs einfach nicht gefährlich anhört. Da können sie noch sehr die Radikalität des Ansatzes betonen, sich noch so stark als Mikrophonterroristen begreifen, Parolen wie "Lieber solidarisch als solide arisch" sind vor allem lustig.

Immer wenn's gefährlich wird, bekommt man keine Angst. Nicht vor "Grüngroßdeutschland" und auch nicht davor, daß "jedes Wort ein Geschoß, jeder Satz Molotow, jeder Rap eine Granate" ist. Und auch Manfred Kanther wird sich kaum von nun an in acht nehmen, auch wenn Anarchist Academy verkünden: "Wir sprengen nicht nur Abschiebeknäste". Das sollte man als "Die fünfte Terroristengeneration" auch tun, will man weiter ernstgenommen werden. Was man vielleicht besser nicht tun sollte, um gleich zum peinlichsten Teil der Platte überzugehen, ist Stücke aufnehmen, in denen man sich fast vier Minuten lang in Phantasien ergeht, Boygroups über den Haufen zu schießen. Das ist nicht nur genau der Haß auf Oberflächlichkeit und Gut-Aussehen, der weite Teile der Linken mit dem Rest der Gemütsdeutschen verbindet - wer gegen Boygroups einzuwenden hat, daß sie sich für Girls prostituieren, ist auch einfach ein stumpfer Macker, ob links oder nicht.

Zum Agit-Pop fehlt aber noch etwas: der geile Krach. "Rappelkistenkids" hat ihn nicht, den Sound, den auch der versteht, der nicht auf die Texte hört. Zu sauber ist die ganze Platte produziert, auch das instrumentale Drum'n'Bass-Stück, wohl als Zeichen gedacht, daß man die Ohren offenhält, ist zu glatt, als daß ein Jungle-DJ es spielen würde.

Das alles heißt aber nicht, daß nicht auch gute Stücke auf der Platte wären. Gut ist "Rappelkistenkids" immer dann, wenn die eigene Gefährlichkeit mal beiseite gelassen wird. So zum Beispiel in "Ein schönes Lied", das auf einem Degenhardt-Loop basiert, den Anarchist Academy benutzen, als sei er von Curtis Mayfield. Anders als viele andere deutsche HipHop-Gruppen, die oft in Abgrenzung gegen das Gefährliche der Kindheit im Ghetto die Sicherheit des eigenen Aufwachsens betonen, also die Referenz Boogie Down Bronx durch das Kinderzimmer ersetzen, suchen Anarchist Academy hier die Orte der Disziplinierung auf. Vom Gefängnisbesuch mit der Kindergartengruppe bis zu den Tennissocken der Mitschüler, die eben nicht für So-waren-die Achtziger stehen, sondern für Das-war-die-Anpassung-auf- dem-Gymnasium-als-"Bürgereinzelkind".

Und "Suck My Dick", ein imaginärer Dialog zwischen "Suck my motherfucking dick, bitch"-schreienden Ghettobewohnern und einem Poptheoretiker, der Sätze doziert wie "Das Ghetto ist faszinierend. Es konstituieren sich dort Minderheiten mit Hilfe popsubversiver Strategien zur Untergrabung des hegemonialen Diskurses". So ist es, die Auflösung des Widerspruchs wird verschoben.

Der DJ von Public Enemy hieß bekanntlich Terminator X. Und irgendwann vor ein paar Jahren, Terminator 2 mit Arnold Schwarzenegger lief gerade im Kino, sitzen zwei Zehnjährige neben mir in der U-Bahn. Der eine steht auf Public Enemy und der andere nicht. Schließlich sagt der eine: "Ey, die sind super, da macht auch der Terminator mit." Das sind die coolen und produktiven Mißverständnisse, die deutschen Rappern niemals passieren werden, auch Anarchist Academy nicht, selbst wenn sich einer ihrer Rapper Deadly T nennt.

Anarchist Academy: "Rappelkistenkids". (Tribehaus / Community)