Pudelwohl bei der NPD

Die Neonaziszene hat sich verjüngt und sammelt sich bei der Mutterpartei zu neuen Taten

Nach einigen Jahren der verstärkten Aufbau- und Einigungsbemühungen ist die deutsche Neonazibewegung wieder weitgehend unter einem Dach vereint. Den Überbau der Naziszene bildet die 1964 gegründete Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Spätestens nach dem Bundeswahlkongreß der NPD am 8. Februar in Passau, ist deutlich geworden, daß sämtliche staatlichen Verbote neonazistischer Organisationen von Anfang und Mitte der neunziger Jahre ad absurdum geführt worden sind. Unter den Rednern und Teilnehmern in Passau tummelten sich die altbekannten Nazikader: Von Steffen Hupka aus Quedlinburg, ehemals Kader der verbotenen Nationalistischen Front und Herausgeber der Theoriepostille Umbruch, bis hin zu dem Berliner "Talentesucher" Frank Schwerdt, Vorsitzender der Sammlungsorganisation Die Nationalen.

Aus dem Umfeld von Frank Schwerdt wird denn auch online im Thule-Netz über den Nachrichtendienst der Berlin-Brandenburger Zeitung (BBZ) die Richtung für die weitere Einbindung der "Unabhängigen Kameradschaften" aus den ostdeutschen Bundesländern vorgegeben: Ehemalige Mitglieder des Vereins Die Nationalen diskutieren dort über die Gründung einer "Aktionsgemeinschaft nationaler Sozialisten inner- und außerhalb der NPD" (AGNS). Andreas Schulz, ehemaliger Vorsitzender der Hochschulgruppe der Nationalen, erklärt dieses Konzept der Einbindung militanter Gruppierungen so: "Die Aktionsgemeinschaft sollte möglichst viele Nicht-NPD-Mitglieder einbinden, um auf diese Weise als Schnittstelle zu wirken und den Einfluß der freien Kameradschaften auf die NPD-Politik zu erhöhen." Ergänzend fügen die BBZ-Autoren hinzu: "Auch im Bestreben um die geistige Lufthoheit und die Schaffung einer kulturellen Hegemonie können 'befreite Zonen' geschaffen werden. In diesem Sinne kann für die nationale und soziale Bewegung auch eine legale Partei innerhalb des BRD-Regimes eine 'befreite Zone' darstellen (...)."

Das Neonazilager muß sich um seinen Einfluß in der NPD und ihrer Jugendorganisation JN ohnehin keine Sorgen machen. Nachdem die JN den Trend zur engen Zusammenarbeit mit den Neonazigruppen vorgab und der JN-Bundesvorstand mittlerweile völlig von ehemaligen Kadern der Nationalistischen Front (NF) und der FAP dominiert ist, hat auch die Mutterpartei ihr Image als "Haufen ewig Gestriger" in Passau endgültig über Bord geworfen. Angesichts der vielen jugendlichen Naziskins, die einträchtig neben Schlips- und Kragenträgern den "Stargästen" lauschten - dem Hamburger Neonazianwalt Jürgen Rieger, dem Naziterroristen Manfred Roeder und dem ehemaligen Mitglied der Leibstandarte Adolf Hitlers und Chefideologen der NF, Herbert Schweiger - muß man die Eigenangaben der NPD, daß zwei Drittel ihrer 1 600 im letzten Jahr neu eingetretenen Mitglieder unter 30 Jahre alt seien, ernst nehmen. Der NPD ist es offenbar gelungen, den seit Jahren in der Neonaziszene propagierten Sammlungs- und Bündnisanspruch umzusetzen. Und auch wenn Zahlen immer ein schlechter Gradmesser für rechte Bedrohung sind: Es gibt einen qualitativen Unterschied zwischen den Mitgliederzahlen der militanten Neonaziorganisationen von Anfang der Neunziger, die allesamt nur über mehrere hundert Mitglieder verfügten, und dem aktuellen Mitgliederstand der NPD, die nach eigenen Angaben über 4 600 Mitglieder hat.

Daß sich die militanten Neonazis samt Skinheadgefolgschaft bei der NPD pudelwohl fühlen, hat handfeste Gründe: Von NPD- oder JN-Funktionären angemeldete Aufmärsche und Veranstaltungen haben - je nach Bundesland - aufgrund des Parteistatus der NPD/JN immer bessere Chancen, auch bei Verboten durch die jeweiligen städtischen Ordnungsämter von den dann zuständigen Verwaltungsgerichten erlaubt zu werden. Erinnert sei hier vor allem an die JN-Aufmärsche und Veranstaltungen 1996 und 1997 in Berlin (über die CDU-Innensenator Jörg Schöhnbohm seine schützende Hand hielt), an den NPD/JN-Aufmarsch gegen die Wehrmachtsausstellung in München im März 1997 und in Dresden im Januar dieses Jahres. Von der Öffentlichkeit weniger bemerkt, aber dafür von erheblicher lokaler Signalwirkung und Austrahlung für die rechte Jugendszene waren darüber hinaus genehmigte NPD-Aufmärsche im sächsischen Görlitz und im thüringischen Nordhausen im letzten Jahr.

Auch wenn die NPD mit Parolen wie "Deutsche Arbeitsplätze für Deutsche" nach dem Vorbild des französischen Front National verstärkt mit der "sozialen Frage" auf Sympathisantenfang geht, erzielt sie ihre größten Erfolge nach wie vor auf einem anderen Gebiet, dem Geschichtsrevisionismus: Die wesentlich von der NPD und JN initiierte und getragene Mobilisierung gegen die Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung über die Verbrechen der Wehrmacht brachte seit Anfang 1997 tausende von Neonazis, Rechtsextremen, Revanchisten, ehemalige und aktive Bundeswehroffiziere und -soldaten sowie rechte CDU- und CSU-Anhänger auf die Straße. Der Erfolg dieser Kampagne muß als Warnung verstanden werden: Bei entsprechenden Themen ist die NPD längst über das eigene Spektrum hinaus bündnisfähig.

Die Aktivitäten der NPD und die Aktionen aus den militanten Neonazigruppierungen seit Jahresanfang sind die Vorboten einer erneuten Welle organisierter neofaschistischer Gewalt und Terrors. Die Zeichen stehen auf Sturm, und daß nicht nur aufgrund der Ankündigung des NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt, am 1. Mai dieses Jahres den im letzten Jahr verbotenen Aufmarsch in Leipzig mit 20 000 Neonazis durchsetzen zu wollen. Die explosive Mischung des Pogromsommers 1992 - institutionalisierter Rassismus, rassistische Hetze von Politikern und Medien gegen MigrantInnen, verstärkte neofaschistische Organisierung - entsteht erneut: Nur haben sich die Ausgangsbedingungen für AntifaschistInnen seitdem erheblich verschlechtert. Mittlerweile verfügt eine gewalttätige, rassistische rechte Jugendszene im Zusammenspiel mit der NPD und den "Unabhängigen Kameradschaften" in ganzen Regionen - wie beispielsweise im Ostharz, der Altmark in Sachsen-Anhalt, der Lausitz in Sachsen, im südlichen Mecklenburg-Vorpommern, im Berliner Umland und im Norden Brandenburgs - über die Hegemonie auf den Straßen und in den Jugendclubs. Rechte Strukturen haben sich gefestigt und können sich jetzt mit Hilfe von NPD und JN weiter etablieren.

Die Teilnehmerzahlen, aber auch die Form antifaschistischer Proteste, sind dagegen oft besorgniserregend. Waren es in München immerhin noch doppelt soviele AntifaschistInnen, die sich den 5 000 Nazis entgegenstellten, fanden sich in Dresden gerade einmal 1 000 AntifaschistInnen zusammen, denen es nicht gelang, die 1 200 vor allem sächsischen Nazis zu behindern. Und auch in Passau blieben die antifaschistischen Proteste weitgehend wirkungslos. Antifaschistischer Widerstand muß eindeutig sein: Sowohl bündnisorientiert als auch dazu in der Lage, eindeutigen Parolen entsprechende Aktionen folgen zu lassen.