über alles

Rayk Wieland

"Februar", schreibt Ror Wolf in seinem Gedicht "Zwölf Monate später", "der Monat der Genüsse, / der Gebirge, der gebogenen Gestalten, / die beim Gehen sich zusammenfalten, / der Gebisse und der Regengüsse". Das ist wahr und sprachlich unvergleichlich gekonnt arrangiert, aber gleichzeitig scheint der Februar der fatale Monat zu sein, in dem auf Brechen und auf Biegen, / weil alles stirbt, weil alles fließt, / Kolumnen sterben wie die Fliegen, / besonders, die man gerne liest.

Jetzt hat es Fanny Müller erwischt, die auf einmal ohne Not findet, daß die Zeit gekommen ist, "Pause zu machen". Ich kenne Fanny Müller schon etwas länger, und deshalb hat die Redaktion mich, als amtierenden Nachbarn, vormaligen Untermieter und einstigen Gelegenheits-Impresario, gebeten, die Totenrede auf ihre Glosse zu halten und dabei kleine private Einblicke in ihr Leben als Privatmensch anzudeuten - eine Gelegenheit, die ich umso lieber wahrnehme, als auch Fanny Müller in "Fanny Müller über alles" des öfteren Kapitel aus meiner Vita ans Licht der Öffentlichkeit zerrte.

Als erstes kann ich also hiermit sagen und bestätigen: Alles, was diese Frau über schnorrende Alkoholikerinnen, vive und gewiefte Nichten, Volkshochschulkurse, nächtliche Faxe, Bekannte von Freundinnen, durchtriebene Penner, Computerprobleme und auch über das aufreizende Liebesglück Romeos und Julias in ihrer Nachbarschaft geschrieben hat, stimmt exakt und hat sich haargenau so zugetragen, abgesehen von den Namen und Handlungen der konkreten Personen sowie dem Sinn des Geschehens, also dem, was sie tatsächlich gesagt haben und was sich wirklich abgespielt hat. Deshalb wirkt ihr Werk so ungemein realistisch.

Zweitens: Fanny Müller ist gar nicht Fanny Müller, sondern eine andere Frau anderen Namens. Das macht vieles, wovon sie handelt, so authentisch.

Drittens: Die Beendigung des Kolumnenengagements ist, wie Fanny-Müller-Kenner wissen, für Fanny Müller nichts Ungewöhnliches; dies zu tun gefiel ihr ehedem bereits bei der Titanic und der taz. Im Abbrechen liegt die Kontinuität ihres Schaffens.

Viertens: Privat und menschlich gesehen ist Fanny Müller eine Art Melange zwischen Fran ç ois Villons Helmschmiedgattin und Thomas Bernhards Matratzendreherin. Ersteres, weil ihr es gefällt, gelegentlich mit einem überaus kuriosen Strickhelm aufzuwarten; letzteres, weil sie in einer ebenso geheimen wie feststehenden rituellen Zwangshandlung alle paar Tage die Matratzen in ihrer Wohnung wendet und umklappt und dreht, worüber sie, wie eben jene Titelheldin in Thomas Bernhards ungeschriebenem Meisterwerk, genau Buch führt. Derlei Epigonik außer acht gelassen, ist Fanny Müller ein rundum eigenständiger Mensch.

Auf dieser Linie liegt auch ihr Entschluß, vorerst glossenpolitisch zu pausieren und, wie sie in der vorletzten Woche schrieb, die verbleibende Zeit "auf dem Sofa herumzusitzen und an gar nichts zu denken". Was vielen als Rückzug in einen privaten Nihilismus erscheint, ist in Wahrheit die konkrete Hinwendung zu dem, was uns umgibt und was in seiner real existierenden Nichtigkeit nicht eben vielen zu denken gibt. Auf dem Sofa zu sitzen kann manchmal dringlicher sein, als Kolumnendienst zu schieben. Insofern - und nur insofern - nehmen wir frohgemut und vorerst Abschied von dem plaudernden Parlando dieser großen Dame der kleinen Form.