Jünger in der französischen Presse

Rebell und Prophet

Die französische Presse widmete dem Tod von Ernst Jünger große Aufmerksamkeit, war dieser doch nicht nur neben Thomas Mann der bekannteste deutsche Literat westlich des Rheins, sondern auch zu einer Schlüsselfigur im deutsch-französischen Techtelmechtel in der Ära Mitterrand erhoben worden: 1984 war Jünger eingeladen, am historischen Treffen in Verdun teilzunehmen, 1988 folgte eine Einladung in den Elyséepalast, 1994 schließlich besuchten die beiden Staatsmänner Jünger in Wilflingen.

Jean-Louis de Rambures konstatiert in Le Monde: "Die Geschichte der Beziehungen zwischen Ernst Jünger und Frankreich ist jene einer wechselseitigen Faszination. Kein anderer deutscher Autor, mit Ausnahme von Thomas Mann, ist bei uns so aufmerksam gelesen worden. (Ö) Doch diese Geschichte ist auch ein neues Beispiel für das fatale Mißverständnis, wonach jene Schriftsteller, die man für geeignet hält, die Rolle des kulturellen Mittlers zwischen unseren beiden Ländern zu spielen, es im Endeffekt nur schaffen, die Zwietracht zwischen ihnen anzufachen." Marcel Schneider stellt im konservativen Figaro Vermutungen über den Hintergrund dieses deutsch-französischen Mißverständnisses an und verweist auf mögliche Unterschiede der Rezeption: "Deutsche und Franzosen bewundern nicht genau denselben Mann. Unsere Nachbarn jenseits des Rheins sehen in Jünger vor allem den beispielhaften Patrioten, den Offizier des Ersten Weltkriegs (Ö), den militaristischen Aktivisten, welcher 'In Stahlgewittern' und 'Der Kampf als inneres Erleben' schrieb. Die Franzosen interessieren sich vor allem für die Werke der Reife, 'Auf den Marmorklippen' (...) sowie für die Kriegstagebücher und seine Schriften über die Zeit, den Staat und über den Frieden, für das, was sein letzter Übersetzer Julien Hervier einen politisch engagierten Ästhetizismus genannt hat (Ö)." Zum Verteidiger Ernst Jüngers macht sich Marcel Schneider im Figaro: "Viele Franzosen waren empört, daß Ernst Jünger (Ö) Beleidigungen von seiten der Kommunisten und ihrer originalgetreuen Kopien, den Grünen, einstecken mußte. Jene warfen ihm, 50 Jahre nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs, mit abgestandenem Haß und krankhafter Verbissenheit, eingebildete Affinitäten gegenüber dem Nazismus und den antisemitischen Tendenzen vor."

In Le Monde schreibt Philippe Dagen über "In Stahlgewittern": "Der neue Tod und der neue Krieg tragen das Zeichen der neuen Gesellschaft, Massenproduktion, Massentötung. (Ö) Jünger hat die Auswirkungen dieser Revolution bald beklagt, bald gefeiert." Entschiedener faßt es Jean-Marie Rouart im Figaro: "Der Krieg 1914-1918 erschien ihm als ein neues Monstrum, Kind einer bisher unbekannten, industriellen Barbarei, welche das kriegerische, heroische und individualistische Ideal in Frage stellte."

Kaum ein Nachruf, der nicht betonen würde, daß Jünger Distanz zum Nationalsozialismus wahrte. "Eher aus ästhetischen denn aus ethischen Gründen", gibt de Rambures in Le Monde zu. Als Besatzungsoffizier in Paris sei Jünger schließlich zu einem Denken im Sinne einer "europäischen Föderation" gelangt und habe die Idee des Nationalismus preisgegeben. Schließlich sei der Autor "mit dem Aufstieg der Idee einer deutsch-französischen Versöhnung" zu einem "Propheten" geworden, schreibt J.-P. Leonardini in L' Humanité. In der Spätphase seines Lebens, so wird in verschiedenen Nachruften erwähnt, habe er "vor dem modernen Aladin mit der Uran-Wunderlampe gewarnt" (Frédéric de Towarnicki) bzw. "mit den Grünen symphatisiert" (J.-P.Leonaridini).

Daß bei soviel Einigkeit über die Bedeutung des deutschen Kriegsschriftstellers die extreme Rechte nicht zurückstecken kann, versteht sich von selbst. FN-Chef Jean-Marie Le Pen ehrt in seinem Kommuniqué, das im Figaro sowie in der katholisch-rechtsextremen Tageszeitung Présent abgedruckt wurde, Ernst Jünger als einen "Rebellen", "aufgeklärten Patrioten" und "Edelmann mit ritterlichem Verhalten, der zeit seines Lebens die Diktaturen und Konformismen abgelehnt hat."