Aufregung um den Grünen-Parteitag

Ein Horror für Deutschland

"Ein Bild des Jammers in der Außenpolitik" habe der Grünen-Parteitag geboten, kommentierte Jürgen Gottschlich in der taz. Der Beschluß, sich weiterhin gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr auszusprechen, sei die "größte anzunehmende Dummheit" angesichts der anstehenden Wahlkämpfe gewesen. "Droht das grüne Chaos?" titelte die Woche und warf den Grünen enttäuscht vor, ihre innenpolitisch aufgebauten Chancen würden sie mit dem "außenpolitischen Hintern" wieder einreißen. Und SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping nannte die außenpolitischen Vorstellungen der Grünen "absurd".

Wenn etwas absurd war, dann die Aufregung über den Parteitagsbeschluß. Nicht nur, weil die Grünen ja lediglich auf einer Position beharrten, die vor kurzem noch die SPD vertrat, sondern auch, weil die Erfahrung zeigt, daß die Bekenntnisse der grünen Basis die Funktionäre nicht am regierungskonformen Funktionieren hindern. Trotz gegenteiliger Beschlußlage stimmte fast die Hälfte der grünen Bundestagsfraktion für den Bosnieneinsatz der Bundeswehr, ohne daß die Basis ihren Abgeordneten deswegen gram wäre. Und daß sich die Bundestagsfraktion auch in Zukunft nicht an Parteitagsbeschlüsse gebunden fühlen wird, stellte Fraktionssprecherin Kerstin Müller gleich nach dem Parteitagsbeschluß klar.

Der Magdeburger Parteitag dokumentierte keine Rückkehr der Grünen zu systemkritischen Positionen, sondern die fortschreitende Anpassung an die tatsächlichen oder vermeintlichen Sachzwänge einer zukünftigen Regierungsbeteiligung. Schließlich fehlte nur eine Stimme, um einen langjährigen pazifistischen Grundkonsens der Partei zu kippen. Den Liebhabern einer rot-grünen Koalition in den Medien geht der Prozeß nur nicht schnell genug.

Objektiv sind die langwierigen grünen Gewissensqualen einem breiten Konsens für Auslandseinsätze der Bundeswehr vermutlich nur förderlich. Schwer zu verdauen ist für das alternative Milieu die ehrliche Begründung der Union, Auslandseinsätze müßten möglich sein, um die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands weltweit durchzusetzen. Ziel müsse es sein, schrieb CSU-Außenpolitiker Michael Glos am 12. März in der FAZ, "Märkte zu öffnen und Märkte offenzuhalten". Dagegen bietet die moralisch geführte Diskussion der Grünen auch ehemaligen Pazifisten die Möglichkeit, sich mit dem erweiterten Aktionsradius des deutschen Militärs anzufreunden.

Trotz öffentlichkeitswirksamer Abgrenzung kam auch der potentielle Koalitionspartner der Grünen zu einer realistischen Einschätzung. SPD-Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering erkannte: Die bei den Grünen verantwortlichen Politiker seien "regierungsfähig", wie sie mit der Parteibasis zurechtkämen, sei ihre Sache. Auch die Union hielt sich nicht lange an dem "erheblichen Sicherheitsrisiko für Deutschland" (Kohl) auf, das eine rot-grüne Koalition darstelle, und ging zu wahrhaft bewegenden Themen über: Unter dem Motto "Laß Dich nicht anzapfen" will die Union gegen den "wahren Horror für Deutschland" angehen, den die Grünen angedroht haben: Jedes Jahr soll der Benzinpreis um ganze 30 Pfennig steigen, bis er schließlich im Jahr 2009 bei fünf Mark angelangt ist. Ein wahrhaft revolutionärer Wandel, der uns da mit einer grünen Regierungsbeteiligung droht.