Same procedure as last year

In Saalfeld, Lübeck und Neustrelitz marschierten die Nazis auf

Genau das war es, was nicht hatte passieren sollen. Und doch: In Saalfeld wiederholten sich am vergangenen Samstag die Ereignisse vom 11. Oktober vergangenen Jahres. Dieses Mal hatte Thüringens Innenminister Richard Dewes (SPD) lediglich eine andere Variante gewählt, um das Anliegen des Saalfelder Bündnisses gegen Rechts (BgR) und der mehreren tausend AntifaschistInnen, die dessen Aufruf zur Demonstration gefolgt waren, zu behindern. Das thüringenweite Demonstrationsverbot beim ersten Demo-Versuch im vergangenen Jahr hatte schließlich zu einer öffentlichen Diskussion geführt, die Saalfeld als rechte Hochburg mehr ins Gespräch brachte, als es eine Demo geschafft hätte.

Während rund 200 Naziskins und NPD-Mitglieder aus ganz Thüringen gemeinsam mit dem Nazikader Frank Schwerdt aus Berlin und dem ehemaligen FAP-Vorsitzenden Friedhelm Busse relativ ungehindert von polizeilichen Maßnahmen ihren Aufmarsch im Innenstadtbereich Saalfelds durchführen konnten, verhinderten rund 3 000 Polizisten den geplanten Ablauf der Antifademonstration. In dem von Rechten dominierten Stadtteil Gorndorf brachten bayrische USK-Einheiten durch einen Schlagstockeinsatz die Antifademo von ihrer vom Landratsamt ohnehin stark eingeschränkten Route durch Gorndorf ab, um eine Verkürzung der Demoroute durchzusetzen. Schon im Vorfeld hatten einige Hundertschaften der Polizei mehrere Busse mit AntifaschistInnen an der Fahrt nach Saalfeld gehindert.

The same procedure as last year auch für die vorbeugend inhaftierten Antifas: Saalfelds Polizeichef Thomas Kick ließ es sich nicht nehmen, den wegen Baufälligkeit geschlossenen, diesmal - im Gegensatz zum Oktober letzten Jahres - aber vorgeheizten DDR-Knast Unterwellenborn erneut mit AntifaschistInnen zu füllen. Nicht, weil diese straffällig geworden wären, sondern weil sie es ja hätten werden können.

Nachdem rund 700 AntifaschistInnen mit Bussen aus Leipzig, Berlin und Magdeburg auf dem Weg nach Saalfeld auf einer Landstraße bei Etzelbach wegen einer Polizeisperre ihre Busse verließen, setzte Kick dort seine Hundertschaften mit Knüppeln, Tränengas und BGS-Hubschraubern ein. Das Ergebnis: Unterbindungsgewahrsam für rund 120 AntifaschistInnen bis morgens um drei Uhr und für zehn Busse "Polizeigeleitschutz" bis zur Thüringer Landesgrenze.

In Lübeck wurden zur selben Zeit rund 350 AntifaschistInnen bei dem Versuch, einen Aufmarsch des neofaschistischen "Bündnis Rechts" zu verhindern, festgenommen. Die Polizei setzte in der Hansestadt Wasserwerfer und Räumfahrzeuge ein, um den rund 300 Neonazis aus dem Spektrum der verbotenen NL und FAP unter Führung von Christian Worch, "SS-Siggi" Borchardt und Oliver Schweigert den Weg durch Lübeck gegen antifaschistische Blockaden und militante Angriffe freizuhalten.

Nur im mecklenburgischen Neustrelitz war Polizeischutz für die Neonazis nicht nötig. Ende Februar war hier von einem breiten antifaschistischen Bündnis ein Aufmarschversuch der "Kameradschaft Neuteutonia Neustrelitz" erfolgreich verhindert worden. Am vergangenen Wochenende konnten dann jedoch rund 100 NPD- Sympathisanten und Naziskinheads unter Führung des Neonazianwalts Hans-Günter Eisenecker ungestört durch Neustrelitz marschieren. Eine vom SPD-Landrat und SPD-Bürgermeister gemeinsam organisierte "Demonstration gegen jeden Extremismus" hatte ohnehin nicht zum Ziel gehabt, den NPD-Aufmarsch zu verhindern.

Alles in allem kein Wochenende, an das man - sofern man kein Nazi ist - gerne zurückdenken wird. Zu den Erfolgen gehört sicherlich, daß mehrere Tausend AntifaschistInnen in Saalfeld und Lübeck auf die Straße gegangen sind. Trotz massivem Einsatz der Lokalpresse, die aus dem Thüringer Innenministerium fleißig mit zweifelhaften "Erkenntnissen" versorgt wurde, ließ sich das breite Saalfelder Bündnis gegen Rechts - von PDS, Bündnisgrünen, Gewerkschaften und kirchlichen Kreisen bis hin zu autonomen AntifaschistInnen - nicht spalten. Doch einen Schutz gegen staatliche Verfolgung bietet gesellschaftliche Breite bei antifaschistischem Engagement immer weniger. Auch die Tatsache, daß es der organisierten Neonaziszene und der NPD mittlerweile gelingt, zeitgleich drei Aufmärsche in unterschiedlichen Orten durchzuführen, ist besorgniserregend.

Während die Neonazis vor ein paar Jahren für derartige Aufmärsche noch darauf angewiesen waren, sämtliche Kader aus der ganzen BRD zusammenzutrommeln, damit die Teilnehmerzahlen die Hundertergrenze überschritten, können sie heute für derartige Anlässe auf eine wesentlich breitere Basis vor Ort zurückgreifen.