Zeit der PR-Profis

In der Schweiz sucht man den Kompromiß mit der eigenen Vergangenheit

Kürzlich stellte der Schweizer Künstler Schang Hutter in einer Nachtaktion seine Metallskulptur mit dem Namen "Shoa", einen mannshohen quadratischen Klotz mit einer eingelegten mageren Figur, direkt vor den Eingang zum Bundeshaus. Dort, wo die Schweizer Regierung und das Parlament tagen. Die Provokation saß: Die Schweizer Machthaber sollen sich nicht länger um die problematische Vergangenheit rumdrücken. Was passierte? Die für solch heikle Fragen zuständigen Präsidenten der beiden Parlamentskammern zeigten sich konziliant. Die Skulptur könne für zwei Wochen bleiben, müsse danach jedoch aus feuerpolizeilichen Überlegungen zur Seite verschoben werden - ein typisch schweizerischer Kompromißvorschlag.

Die Skulptur kam jedoch schon nach vier Tagen weg: Die Abgeordneten der Freiheitspartei (ehemals Autopartei) ließen das Kunstwerk in der Nacht auf einen Lastwagen laden und schafften es vor Hutters Haustüre. "Der Rosthaufen ist weg", triumphierte die Partei anschließend per Pressemitteilung und löste bis tief ins bürgerliche Lager Abscheu aus.

Die Kontroverse ist sinnbildlich für die Diskussion um die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Es braucht immer wieder Provokationen und Drohungen von außen, um die Schweizer Behörden zu einem Quentchen Entgegenkommen zu bewegen - doch den Rechten (längst nicht nur der relativ bedeutungslosen Freiheitspartei) geht das schon viel zu weit. Außerdem beschränken sich die Behörden auf symbolische Gesten. Sobald es um Zugeständnisse geht, die weitreichendere Folgen haben könnten, wird gekniffen.

Am 19. Februar lehnte es der Bundesrat ab, dem ehemaligen jüdischen Flüchtling Charles Sonnabend eine Genugtuungssumme von 100 000 Franken zu bezahlen. Sonnabends Eltern waren nach der Abschiebung aus der Schweiz 1942 in Auschwitz ermordet worden. Charles Sonnabend machte geltend, die Schweizer Flüchtlingspolitik, die Tausende von flüchtenden Jüdinnen und Juden nichts ins Land hineinließ oder sie abschob, trage daran Mitschuld. In seiner Antwort betonte der Bundesrat seine "tiefe menschliche Betroffenheit" und sprach Sonnabend ein "tief empfundenes Mitgefühl und Bedauern" aus. Dennoch komme eine finanzielle Entschädigung nicht in Frage: Die Ansprüche seien verjährt und auch materiell gar nicht gerechtfertigt. Die Schweiz habe im Gegensatz zu den Nazis keine Kriegsverbrechen begangen. Der Bundesrat drückt sich also noch immer. Er will kein Präjudiz schaffen, konkrete Schuld anerkennen und womöglich noch weitere Überlebende zu Entschädigungsforderungen animieren.

Gespannt darf man warten, wie er auf Joseph Spring reagiert. Seinen Fall dokumentierte die Wochenzeitung vom 12. März. Spring wurde zusammen mit zwei jüdischen Freunden 1943 nicht nur abgeschoben; die Schweizer Zöllner ließen ihre deutschen Kollegen auch gleich noch wissen, daß es sich da um drei Juden handle. Spring hat Auschwitz überlebt, seine beiden Freunde wurden gleich nach der Ankunft vergast.

Damit solche Geschichten das Bild der "humanitären Schweiz" nicht weiterhin trüben, betont der Bundesrat bei jeder sich bietenden Gelegenheit, daß schon bald eine "Stiftung solidarische Schweiz" Hilfe leisten und die "weitgefaßte humanitäre Verantwortung" wahrnehmen soll. Diese wird dann zwar Geld verteilen, aber keinerlei Schuldeingeständnisse abzugeben haben.

Zudem hat sich der Bundesrat eine "Task Force" geschaffen, die verbale Angriffe auf die Schweiz als schnelle mediale Eingreiftruppe zu parieren hat. Der Chef dieser "Task Force", der Sonderbotschafter Thomas Borer, versucht vor allem in den USA mit allen Mitteln der PR-Kunst abzuwenden, was von den jüdischen Organisationen, dem US-amerikanischen Bankenausschuß und Rechtsanwälten Betroffener der Schweiz schaden könnte. Er beschäftigt inzwischen eine republikanische "Lobby-Firma", die es nach seinen Aussagen auch bereits geschafft hat, den Eindruck zu erwecken, "the Swiss are doing the right thing".

Hin und wieder taucht Borer auch in der Schweiz auf, um zu besänftigen und Hoffnungen auf einvernehmliche Lösungen zu wecken. So nahm er am 24. Februar an einer Podiumsdiskussion der Israelitischen Cultusgemeinde Zürichs teil, um etwa auf die Fragen des meist schweizerisch-jüdischen Publikums nach der Nichtentschädigung von Charles Sonnabend zu reagieren. "Der Bundesrat ist sich der falschen Flüchtlingspolitik von damals bewußt", meinte er da und drängte: "Wir sollten mehr über Moral reden - jetzt reden wir wieder über Geld."

Auf dieser Veranstaltung sprach auch Mathis Cabiallavetta, designierter Verwaltungsratspräsident der neufusionierten Schweizer Megabank UBS. Cabiallavetta zeigte sich, angesprochen auf die Verhandlungen mit verschiedenen jüdischen Organisationen und Anwälten der Holocaust-Opfer, optimistisch. Man habe eine "sensible Phase" durchgestanden, meinte er, jetzt herrsche in den Verhandlungen aber eine "konstruktive Stimmung". Daß eine einvernehmliche Lösung für alle wichtig sei, versuchte Cabiallavetta noch besonders auszudrücken: Angriffe von außen auf die Schweiz und ihre Banken würden auch die Schweizer Juden beleidigen. Schließlich werde dadurch der Antisemitismus in der Schweiz angeheizt.

Daß das PR-mäßig vielleicht nicht gerade der beste Griff gewesen war, merkte Cabiallavetta erst im weiteren Verlauf der Veranstaltung: Etwa als die Grüne Parlamentarierin Cécile Bühlmann bemerkte, daß es ein sehr altes Muster sei, die Opfer des Antisemitimus auch gleich noch für diesen selber verantwortlich zu machen. Auch Werner Rom vom Israelitischen Cultusverein belehrte Cabiallavetta: "Das Problem des Antisemitismus ist ein schweizerisches, kein jüdisches."

Cabiallavetta wird die auf der Veranstaltung gegen ihn vorgebrachten Kritiken verkraften. Die 18 000 jüdischen Menschen in der Schweiz sind keine sehr einflußreiche Gruppierung, um Druck auf die Banken auszuüben. Andererseits scheint die Situation in den USA tatsächlich vor einem Durchbruch zu stehen. Laut der neuesten Ausgabe der Weltwoche sind die Schweizer Großbanken bereit, bis zu einer Milliarde Schweizer Franken, für die pauschale Abgeltung der Holocaust-Opfer, auf den Tisch zu legen. Zusätzlich haben Banken, Versicherungen und Industrie bereits einen Hilfsfonds für die Opfer des Nationalsozialismus eingerichtet. Aus diesem Topf werden derzeit mediengerecht Geldbeträge zwischen 700 und 2 000 Franken pro Person verteilt.

Was stört da noch Schang Hutters Skulptur? Sie stört überhaupt nicht. Auch wenn sie jetzt, amtlich bewilligt, auf dem Zürcher Paradeplatz steht - im Zentrum der Schweizer Bankenwelt.