29. Ein Unglück kommt selten zu zwein

Fortgesetzte Erzählungen

Es ist Mittwoch, ein Scheißtag, und wir sitzen vor dem Standesbeamten, Modder und ich. "Sind alle präsent?" fragt Herr Offenloch und leckt sich die Lippen. Sein Schreibtisch ist leer, bis auf das Namensschild. Aber jetzt reicht eine Damen ihm eine dünne schwarze Mappe und sein Blick fällt auf Icke. "Wenn Sie bitte noch Ihre Mütze abnehmen würden, damit wir anfangen können."

Alle kehren in sich, und nur meine Mutter lächelt sardonisch wie der Chauffeur meines Vaters, als er noch lebte. Icke ist Modders Trauzeuge, der alle ihre Vorurteile bestätigt. "Ich weiß nicht, Tita-Liebchen, glaubst du wirklich, daß du mit einem Modjewski glücklich wirst?"

Deshalb findet die Eheschließung in München statt, und nicht, wie es sich für ein nordhessisches Edelmädel gehört, mit Brautkutsche und Jägerchor auf den Latifundien meiner Ahnen.

Die Mappe beugt sich vor und flüstert laut: "Die Mütze!"

Aber Icke hört nicht. Er residiert hinter seiner großen pechschwarzen Sonnenbrille, starr wie ein Buddha. Man könnte ihm die Mütze abnehmen, aber das geht nicht. Es ist eine grüne Kampfmütze wie die Guerilleros sie tragen, wenn sie Havannas rauchen. Castro und Guevara tragen solche Mützen.

Auch Henny, die neben mir sitzt, hat eine Tarnkappe auf, einen Hochzeitshut von der Auer Dult, und meine Mutter trägt den härenen Dreispitz, den sie immer aufsetzt, wenn sie den Mainstrom unterschreitet, aber Damen dürfen Hüte tragen, auch wenn sie bescheuert aussehen.

Nun gut, und warum ausgerechnet Karl-Otto, der mit seinem Vater Ottokar bei uns daheim schon die Malerarbeiten gemacht hat, als ich noch im Kindergarten war?

Nie im Leben hätte ich einen Juristen geheiratet, auch wenn er momentan bis zum Beginn der Referendarzeit seine Mäuse an der Leopoldstraße mit der En vendre verdient, sich in der Fendstube vollaufen läßt und behauptet, so gut schreiben wie Joyce könne er auch.

Also das kam so: Henny und ich arbeiten als Bardamen im Babalu, das mit den abstrakten Wandgemälden des Lokalmatadors Mac Zimmermann, und streiten uns, weil wir in einem Zimmer schlafen müssen, weil meine Mutter mir aus erzieherischen Gründen nur dreihundert Mark im Monat schickt.

Henny ist Künstlerin, ich studiere Theologie und will später mal die erste Päpstin werden. Aber erst will ich ausziehen, da Henny jede Nacht ihren Verlobten Fend mitbringt, und morgens guckt ihre blasse spitze Nase so unschuldig unter der Bettdecke vor, als hätte sie nicht gemerkt, daß ihr Frauchen drei Stunden lang gevögelt hat.

"Drei Stunden lang vögeln, mein Gott!" sag ich. "Kann man das nicht schneller erledigen?"

"Tita", sagt Henny, "du bist nur neidisch, weil du noch Jungfrau bist. Ich vögele jetzt, dann brauche ich mir später nichts vorzuwerfen, wenn ich keinen Kerl mehr dranlasse und Frauenrechtlerin werde."

Solche Sätze sagt sie allen Ernstes, deshalb muß sie jetzt auch Trauzeugin spielen. Außer Icke und Henny sind noch der Rausschmeißer vom Babalu, Herr Wanninger, und die Jungs von En vendre da, ferner drei amerikanische Musiker aus der Tarantel, die vorher "St. James Infirmary" spielen und hinterher das Trompetensolo aus "Verdammt in alle Ewigkeit".

Also nicht ganz die Kreise, in denen eine Cosima von Horwitz verkehrt, und mein kleiner Bruder Thomas ist auch keine Hilfe, und deshalb will meine Mutter gleich nach dem Essen beim Chinesen wieder ihr Cabrio besteigen. Sonst ist von meiner Familie keiner eingeladen, und auch Modders Eltern kriegen die Krätze, wenn sie nur an die Schlampe denken, die er heiraten will, wo er als angehender Jurist doch was Solides bräuchte.

"Die Mütze", sagt die Mappe eindringlich, aber Icke ist Fels und Brandung in einem, und eigentlich müßte ich jetzt was unternehmen, sonst triumphiert meine Mutter, aber ich will erst noch die Geschichte unserer Liebe zu Ende erzählen, Modders und meiner.

"Du bist nur neidisch", sag ich zu Henny, "weil sie dich schon als Kind entjungfert haben und dir deshalb keiner mehr abgeht. Wenn du mit 21 Jahren noch Jungfrau bist, kriegst du einen solchen Orgasmus, wenn du nur einen stehen siehst."

So streiten wir uns rum, Herr Wanninger sitzt am Tresen und grinst, da kommt Modder rein, bestellt einen Pernod und sagt zu mir: "Du, entschuldige, ich kenn dich, bist du nicht die Tita aus Hofacker?" Dabei guckt er mich so ausdrucksstark an wie ein Feuermelder, aber er trägt einen eleganten Glencheck, und ich merke, in Gedanken liegt er mit mir schon auf der Hobelbank.

"Na, schön", denk ich mir, "das ist die Gelegenheit, Henny zu beweisen, daß ich bisher einfach nicht das Bedürfnis hatte, mir von jedem dahergelaufenen Penner einen reinschieben zu lassen. Wir reden also möglichst unbeteiligt aneinander vorbei, dann beginnt das Geschäft, auch Modders Freunde von der En vendre hocken wie üblich auf der kleinen Wendeltreppe und kriegen jeder ein Freibier, damit die Touristen merken, daß wir ein Künstlerlokal sind, und wie Schluß ist, gehen wir noch in die Tarantel, wo gejazzt wird, Modder und ich, dann in Meine Schwester und ich und zum Schluß in den Alten Simpel, wo er seinen Personalausweis versetzt, und ich sehe, er hat sogar 'n Führerschein.

Dabei erzählt er fortgesetzt, daß er grade Examen gemacht und schon halb Europa bereist hat, wie viele Weiber er hatte, und demnächst will er mit seinem ersten Roman anfangen, aber mich beschäftigt vor allem die Frage, ob Mädchen wie Henny auch immer so lange warten müssen.

Naja, irgendwann landen wir dann doch auf seiner Bude, die offenbar seine Verhältnisse übersteigt, und nächsten Morgen ruft auch prompt eine Dame an und beschimpft mich, weil wir seit drei Monaten keine Miete gezahlt hätten. Dann sitze ich wieder am Fenster und schaue ihm beim Schlafen zu, dabei stinke ich wie ein Wiedehopf.

Daß man vom Vögeln stinkt, war mir bis dahin auch nicht so klar, und waschen kann man sich nicht in dieser Wohnung, weil die Wanne voll Geschirr steht, und irgendwie war ich ja auch bloß anwesend, um mich entjungfern zu lassen und mal zu gucken, ob man wirklich drei Stunden lang vögeln kann, ohne sich zu langweilen.

So geht das drei Tage lang, bis absolut nichts mehr zu essen da ist, und wie wir schließlich unten im Wiener Wald sitzen und in die Bildzeitung gucken, stellt sich raus, daß die Russen in Berlin eine Mauer gebaut haben, quer durch die ganze Stadt, eine richtige Mauer mit Stacheldraht und allen Schikanen, ein epochales Bauwerk, das von großem Ehrgeiz zeugt.

Egal, ob Ihnen das jetzt paßt oder nicht. Hiermit gestehe ich, daß ich das einschneidendste Ereignis des 20. Jahrhunderts, das die Welt stärker erschüttert hat als der elektrische Rasierapparat, den 13. August 1961, einfach nicht mitgekriegt habe, und den Job im Babalu war ich auch los, weil ich drei Tage lang nicht auf der Straße war, aber jetzt noch mal zurück ins Standesamt: Die Mütze wie gesagt.

"Aber bitte, meine Herrschaften", sagt Herr Ofenblech und erhebt sich, "wenn sie nicht wollen. Draußen warten noch drei Dutzend Paare um sich von mir trauen zu lassen." Wir erheben uns ebenfalls, nur Icke schaut verdattert, es hat doch noch gar nicht angefangen, und auf einmal fällt der Groschen.

Er hebt den Arm, sagt: "Ach ja, die Mütze", nimmt den Deckel ab, alle atmen erleichtert auf und setzen sich wieder, der Abend ist gerettet und nur meine Mutter hat jetzt so einen still leidenden Schimmer auf der Linse, den sie immer auflegt, wenn sie sich fragt, womit sie das verdient hat.

Sie liebt mich, ja, aber auch sie hält mich für eine Schlampe, und was keiner weiß, ist, daß sie mich am Tag zuvor gezwungen hat, einen Erbverzichtsvertrag zu unterzeichnen. Dafür will sie mir zum dritten Hochzeitstag eine Eigentumswohnung kaufen.

Leck mich am Arsch.

Nächste Woche: "Aus Hofackers Vergangenheit"