Revolution ist Arbeit

Wie die "kritische Kritik" und ihr Revolutions-Mythos dem Krieg den Boden bereiten.

Die Revolution gehört zur Ordnung der Arbeit wie der Raucherhusten zum Glimmstengel. Sie kann eintreten, muß aber nicht. Aber anders als der Husten ist das revolutionäre Ereignis höchst unwahrscheinlich. Das ist irgendwann im Laufe der achtziger Jahre auch ihren späten Verehrern aufgefallen, von denen es daher nicht mehr viele gibt. Die meisten ihrer ehemaligen Anhänger haben lieber mit dem Rauchen aufgehört und sich grün engagiert, anstatt einem Konzept zu folgen, das seine besten Zeiten hinter sich hat.

Das Rauchen aufzugeben kann aber auch eine schwierige Sache sein. Daher gibt es auch noch welche, die es nicht lassen können, die Heilsbotschaft des Sozialen zu verkünden, die die Moderne erfunden hat. Wahrscheinlich muß das auch so sein, ginge ohne diese eschatologische Verheißung der Gesellschaft doch aller drive verloren. Den aber benötigt sie, damit sich in ihrem Innern die feinen Machtfäden spinnen können, die sie "produktiv" machen. Der Diskurs der Befreiung des Sozialen, der sich "die Macht" notorisch als großer Würger vorstellt (zum Beispiel als "Staat und Kapital"), ist das Schmieröl der Mikrophysik der Produktivität. Die zugleich romantische und revolutionäre Idee, das Soziale zu befreien, ist eng mit der Verstreuung der produktiven Mächte im Gesellschaftskörper verbunden. Diese Idee steht nicht gegen die Macht, nicht nur, weil nichts "gegen" Macht steht außer Macht, sondern sie ist sogar ein ganz zentraler Bestandteil der modernen Machtdispositive. Und während die einen mangelnde soziale Produktivität beklagen und den müden Mythos "Arbeit, Arbeit, Arbeit" plakatieren, um ihren Kandidaten gegen eine lebende politische Legende durchzubringen, schlagen die anderen - die, die es sich nicht abgewöhnen können - eine "revolutionäre" Rundumerneuerung des Sozialen vor. Das Ziel ist jedoch das gleiche: Freiheit für die Gesellschaft von allen Hemmnissen.

Deutlich aber zeichnet sich ab, daß die innere und produktive Dynamik der Gesellschaft automatisiert wird. Das nun verfließende Jahrhundert hat die Heilsbotschaft des befreiten Sozialen bekanntlich durch eine andere ersetzt - die Medien. Die Medien verkünden bezüglich ihrer selbst noch einmal, was sich der Sozialismus vom "Fortschritt der Produktivkräfte" erhofft. Die sozialistische und kommunistische Utopie basiert auf der Vorstellung einer Technokratie abzüglich Kapitalismus. Die Medienutopie setzt auf die unmittelbare und automatische Informationsverarbeitung abzüglich der Bücher und ihrer Leser. Heute lesen und schreiben Maschinen. In einer ökonomischen und mehr soziologischen Variante prophezeit die Utopie der medialen Gesellschaft, daß die Arbeitsplätze, die im primären und sekundären Sektor (Landwirtschaft und Industrie) durch die kybernetische Rationalisierung verloren gehen, im tertiären (Dienstleistungen) doppelt und dreifach wiederauferstehen. Bisher ist die Rechnung auch einigermaßen aufgegangen - mit dem Schönheitsfehler allerdings, daß dann und wann eine großangelegte Vernichtung überflüssiger Menschen die Rechnung ausgleichen muß. Ökonomisch betrachtet gibt das aber kein Minus, denn seit der Politischen Romantik und den Befreiungskriegen gilt der Krieg als produktives Feld und Töten als wertschöpfend.

"Arbeit" ist lediglich ein Mythos. Der erste, der das gemerkt hat, ist Ernst Jünger. Daher beschreibt er den Arbeiter als ein Wesen, das mit der Maschine verschmilzt, gewissermaßen in ihr verschwindet. Jünger kommentiert damit seinen großen und ein bißchen berühmteren Vorgänger in Sachen Arbeiterfragen - Karl Marx. Dieser erhofft sich von der Rationalisierung der Produktion eine Vergrößerung des Revolutionsheeres, der "industriellen Reservearmee". Jünger spricht im Zusammenhang seines technoiden Arbeitermythos, der aus dem Marxschen die Konsequenzen zieht, von der "totalen Revolution". Dies allerdings im vollen Bewußtsein der Bedeutung dessen, was "Revolution" ist. Denn er hat ganz unmittelbar mitbekommen, daß sich das Revolutionsheer auch ganz hervorragend als Energieressource für die Stahlgewitter des totalen Krieges eignet. Um Marx und Engels nicht unrecht zu tun - als Schüler von Clausewitz haben sie das ganz sicher auch gewußt.

Die "soziale Revolution" ist Teil der Sozialmythologie, die im totalen Krieg endet. Die "Kritik", die sich auf die Revolution als universelle Krisenlösemaschine beruft, ist eng verwoben mit dem modernen Diskurs des Sozialen, der beim Licht des Krieges endet. Denn "kritische Kritik" ist nichts anderes als der Aufruf zur Schlacht, "Revolution" nur ein anderer Name für den totalen Krieg.

Nachdem der nun aber zweimal über Europa hinweggezogen ist und außerdem nach der Erfindung der Atombombe der Soldatenmassen nicht mehr bedarf, zündet dieser Diskurs nicht mehr richtig. "Zum Glück", ist man versucht zu sagen. Wir wollen's aber nicht beschreien, als recycelte könnte unsere Befreiung noch gefährlicher sein. "Befreiung" und "Kritik" zielen auf die militärische Anwendung der Sozialenergie. "Arbeit" dagegen kennzeichnet ihre zivile Nutzung. Überholt sind die damit verbundenen Konzepte schon heute - Mythen des Elends einer Linken, die die Zukunft nicht mehr verstehen will und lieber einen Kanon heiliger Texte studiert.

Der Autor ist geschäftsführender Redakteur der Zeitschrift Ästhetik und Kommunikation.