Bekannte Gesichter, geleerte Flaschen

Edith Clever inszeniert Botho Strauß' "Jeffers-Akt I und II" in Berlin

"Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle" war einer der frühen Erfolge von Botho Strauß. Nach über zwanzig Jahren sind die Gesichter noch viel be-kannter geworden, die Gefühle gemischter. Botho Strauß, der einstige "Schaubühnen"-Dramaturg und -Hausdichter, reitet mittlerweile, wie im "Anschwellenden Bocksgesang" (1993), stramm rechts voran. Bruno Ganz, auch so ein "Schaubühnen"-Urgestein, macht sich - nach viel Funk, Film und Fernsehen - inzwischen rar. Und die Ausnahme-Darstellerin Edith Clever ist, nach mehrjährigem Schaulaufen mit dem Wanderprediger Syberberg, an ihr Stammhaus zurückgekehrt und darf da immer mal wieder Regie führen.

Die kleine Theatergeschichte, nicht anders als die große Weltgeschichte, wiederholt ihre Tragödien als Farce. Wie diesmal im Hebbel-Theater, das in Kooperation mit der Schaubühne jetzt die Uraufführung von Botho Strauß' "Jeffers-Akt I und II" realisiert hat. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit aber sind alle zusammen abgesoffen: Die Inszenierung beginnt mit einem schönen Gewitter, sie endete in der Premiere mit einem tosenden Buhsturm.

In Akt I (bereits 1989 in "Fragmente der Undeutlichkeit" erschienen) macht der Dichter aus dem amerikanischen Lyriker Robinson Jeffers (1887 bis 1962) sein alter ego: einen Botho Strauß, wie er in einem selbst gebauten Granitturm - "Hawk Tower" - in Carmel / Kalifornien an der wilden Pazifik-Küste lebt und nach Jahren als umtriebiger Stadtmensch und Partylöwe die Zivilisation samt Stadt und Partys verabscheut. "Berühmt wurden seine frühen Erzählgedichte, in denen Menschen seiner Landschaft, Fischer und Farmerstöchter, Stranderemiten und Kriegsheimkehrer auf Blut- und Wahnwegen irren, als hätte es die qualvollsten Helden der Griechen an die Küste von Carmel verschlagen."

So Botho Strauß, der jetzt in der Uckermark den Landgrafen mimt und Gummistiefel trägt, ein ernster Jünger jenes "der zeternde Eremit, der stahläugige Faschist" genannten Brachialpoeten. In dem überwiegend monologischen Erzählgedicht läßt Strauß, unter Verwendung von Originalzitaten, Jeffers und seine todkranke Frau voneinander Abschied nehmen und ihr gemeinsames Leben rekapitulieren. Das geschieht ganz unaufgeregt, ein wehmütig-behutsames Loslassen nach dreißig Jahren glücklicher Ehe. Der hohe, elegisch gefärbte Ton, der die Inszenierung von Edith Clever beherrscht, schafft dafür ein stimmiges Klima.

An einem Frisiertisch auf der fast leeren Bühne sitzt Una Jeffers (Edith Clever), wie eine Madonna goldgelb aus der Dunkelheit herausgeleuchtet, eine losgelöste Lichtfigur kurz vor dem Verlöschen. Entsprechend verhalten Bruno Ganz als Jeffers, knarzig, kauzig, ein ziemlich leiser Mann, der vom Leben nichts mehr erwartet, weil er das Beste schon genossen hat. Dieser erste Teil ist eine szenische Lesung mit gelegentlich kreisender Drehbühne geworden, wohltemperiert und edel artikuliert. Leider umfaßt er weniger als ein Drittel der dreistündigen Inszenierung. Akt II (erst in diesem Monat erschienen) wird dann zum fast schon abgewendet geglaubten Desaster, das die Kombination Strauß / Clever im Jahr 1998 erwarten ließ.

Strauß hat Jeffers umfangreiches Erzählgedicht "Mara" dramatisiert. Keine gute Idee - als würde man aus Erdbeermarmelade durch Verwässern wieder frische Früchte gewinnen wollen. Die inhaltliche Konzentration, die rhythmisierte Sprache zerfallen zu lächerlichen Sprechblasen lächerlicher Gestalten. Edith Clever macht daraus hölzerne Standbilder mit verkrampftem Figurenwerfen. Dabei ist die Geschichte an sich schon holzschnittartig genug: Die Brüder Bruce und Allen treiben es, jeder für sich, mit der jungen Fawn, bloß ist Bruce mit ihr verheiratet. Die greise Mutter (Inge Keller) der Brüder kriegt alles mit, während sie den dahinsterbenden Vater (Werner Dissel) betreut. Sie kann jetzt endlich die lange zurückgehaltenen Vorwürfe loswerden, ehe sie ihn mit einer Überdosis Medizin umbringt.

Bruce ergeht sich in frischer Eifersucht und uraltem Weltschmerz, vergleicht sein privates Waterloo mit dem just zu diesem Zeitpunkt ausbrechenden Zweiten Weltkrieg. Das Radio wird sein bester Freund, welches ihm mit aktuellen Schreckensnachrichten samt "Welthund Hitler" das giftverkrampfte Herz weitet. Die überaus schlichte Ménage-ˆ-trois in Jeffers-Land hat dennoch aberwitzige Konsequenzen: "Jede Nacht diese Alpträume voller Weltanschauung. Besser nicht schlafen!" (Bruce) Die Erde zittert. Das Blut dampft. Nebel wallen gefährlich auf. Fawn (Karoline Eichhorn) ist blond und die meiste Zeit damit beschäftigt, die Spuren übergroßer Bruderliebe zu beseitigen: Mund zu, Rock herunter, Haare aus dem Gesicht.

Bruce (Bruno Ganz) deliriert sich in Cowboystiefeln so dickhalsig in ein menschenfreies Paradies, daß der Großteil des gepreßten Gebrülls unverständlich bleibt. Und Allen (Roland Schäfer) steht wie ein nicht abgeholter Bodybuilder auf der mystisch leeren Weltscheibe herum und bewegt sich so sparsam, als hätte er Angst, herunterzufallen. Im Bühnenbild von Michael Simon, den die Schaubühne gerade als Regisseur abserviert hat, zaubern pathetische Lichtstimmungen heroisch verbrämte Götterdämmerungsaura. Und zitieren faschistisches Bilder-Pathos in verschmitzter Camouflage, als wäre alles nicht so ernst gemeint, selbst wenn der Schluß aufs Ganze geht.

Nachdem alles getan ist, stehen die blonde Maid, die Arme wie in permanenter Gebärfreude um den Leib geschlungen, und der Übermensch mit dem breiten Bizeps, die Fingerspitzen an den Hosentaschen, den Blick ehern-zukunftsfest in den ersten Rang des Hebbel-Theaters oder sonstwohin westwärts gerichtet. Und hinter dem bäuerischen Blut-und Bodenpaar auf seiner deutsch-amerikanischen Scholle flattert die Babywäsche im Abendwind. Ein richtiges Heil-End, zu dem der wahnsinnig gewordene Bruce mit dem Radio im Arm im Kreis schlurft. "Leer wie Blechbüchsen", nannte der alte Vater seine Söhne. Und der ganze Abend? Wie Flaschen leer.

Botho Strauß: Jeffers-Akt I und II. Regie: Edith Clever. Bühne: Michael Simon. Kostüme: Susanne Raschig. Mit Edith Clever, Bruno Ganz, Karoline Eichhorn, Inge Keller, Roland Schäfer. Hebbel-Theater, Berlin-Kreuzberg, Stresemannstr. 29. Weitere Vorstellungen: 6. bis 10., 12., 13., 15.bis 17. und 19. bis 21. Mai