Dem Standort dienen

Man kann nicht über den nazistischen "Arbeits"-Begriff reden und über Antisemitismus schweigen

12bDie Reps fordern in einer Hauswurfsendung: "Solange es noch einen arbeitslosen deutschen Bauarbeiter gibt, haben ausländische Bauarbeiter auf deutschen Baustellen nichts zu suchen!" Zum 1. Mai mobilisiert die braune Szene erneut nach Leipzig zum Völkerschlachtdenkmal. Trendscouts der Werbebranche haben die Völkerschlacht im globalen Wettbewerb längst als Thema entdeckt. Ein Textilunternehmen leistet sich einen schwarz-rot-goldenen Werbespot vor den Abendnachrichten: T-Shirts aus deutschen Landen frisch auf die Haut. "Dem Standort dienen", lautet die Botschaft zur besten Sendezeit. Daß Arbeitsplätze in Deutschland deutsche Arbeitsplätze sein sollen, sprich Arbeitsplätze nur für Deutsche, befürworten nach einer im Auftrag der PDS vorgenommenen Umfrage 60 Prozent der Ost- und 30 Prozent der Westdeutschen.

Höchste Zeit also, genauer zu betrachten (oder daran zu erinnern), was die Nazis unter "Arbeit" verstanden, was "Arbeit" im Nazismus ausdrücklich benannte, und was, wenn auch zuweilen nur angedeutet, immer mit anklang, wenn von "Arbeit" die Rede war. Daniel Jonah Goldhagen hat diesbezüglich in seiner kurzen Analyse der "jüdischen 'Arbeit'" eine Spur freigelegt, die in der Debatte um sein Buch kaum zur Kenntnis genommen wurde. (Die rühmliche Ausnahme sind einmal mehr Matthias Künzel und andere, die in dem Buch "Goldhagen und die deutsche Linke" der "deutschen Arbeit" einen Exkurs widmen und vorschlagen, jener Fährte zu folgen.)

Den Prototyp der arbeitertümelnden Neuinterpretation des Nazismus lieferte Rainer Zitelmann mit seiner im Wintersemester 1985/86 an der TU Darmstadt vorgelegten Dissertation "Hitler - Selbstverständnis eines Revolutionärs". Die Buchpublikation fand ein überaus positives Echo bis hinein in die äußerste Rechte. So preist der österreichische Nazi Herbert Schweiger Zitelmanns Buch in seinem Pamphlet "Evolution und Wissen - Neuordnung der Politik - Grundsätze einer nationalen Weltanschauung und Politik" über mehrere Seiten, da es "wertfrei geschrieben", "ein völlig anderes Bild über die geschichtliche Gestalt Adolf Hitlers entstehen läßt".

Da zitiert und referiert Zitelmann in Teil III seines Buches, "Hitlers soziale Zielsetzungen und seine Einschätzung der Hauptklassen der modernen Gesellschaft", über mehr als zwanzig Seiten den Führer zum Thema Arbeit und Arbeiter und läßt sich über den Begriff "Arbeiterpartei", über "Hitlers Begründung der Konzentration auf die Arbeiterschaft", über die "Erhöhung des Sozialprestiges der Arbeiter", die "Aufwertung der Handarbeit" und schließlich die "Sozialpolitik" aus, ohne auch nur ein einziges Mal von Antisemitismus zu sprechen.

Dazu gehört Kunstfertigkeit im Schneiden von Zitaten und im Überlesen des Wesentlichen. Es ist, wenn man (was im Falle einer Doktorarbeit wohl erlaubt ist) wissenschaftliche Redlichkeit voraussetzt, unmöglich, Hitlers Vorstellung von "Arbeit" und "deutschen Arbeitern" zu rekonstruieren, ohne den Antisemitismus ins Zentrum der Untersuchung zu rücken. Hitlers Vorstellung von "Arbeit" und "Sozialpolitik" ist durch und durch antisemitisch geprägt, und sein Bild von "den Juden" ist systematisch bestimmt von seinem "Begriff 'Arbeit'".

Deutlich wird dies, wenn Hitler die Hakenkreuzfahne als Symbol interpretiert: "Als nationale Sozialisten sehen wir in unserer Flagge unser Programm. Im Rot sehen wir den sozialen Gedanken der Bewegung, im Weiß den nationalistischen, im Hakenkreuz die Mission des Kampfes für den Sieg des arischen Menschen und zugleich mit ihm auch den Sieg des Gedankens der schaffenden Arbeit, die selbst ewig antisemitisch war und antisemitisch sein wird." Mit dem Begriff "schaffende Arbeit" saugt Hitler den weitverbreiteten Sinn von "ehrlicher Arbeit" auf und richtet ihn gegen Klassenkampf (und die angeblich dahinter wirkenden verborgenen Kräfte). So konstituiert die "nationale Arbeit" die "Volksgemeinschaft" gegen ihre Feinde.

Für die vorherrschende geringe Achtung der Handarbeit macht Hitler "die Juden" verantwortlich, wie folgende Passage aus "Mein Kampf" zeigt: "Die Trennung des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber erscheint jetzt auf allen Gebieten des Lebens vollzogen. Wie weit dabei die innere Verjudung unseres Volkes schon fortgeschritten ist, kann man an der geringen Achtung, wenn nicht schon Verachtung ersehen, die man der Handarbeit an sich zollt. Deutsch ist dies nicht. Erst die Verwelschung unseres Lebens, die aber in Wahrheit eine Verjudung war, wandelte die einstige Achtung vor dem Handwerk in eine gewisse Verachtung jeder körperlichen Arbeit überhaupt." (Hervorhebungen v. A.S.) Dieses "Vorurteil" über Handarbeit, so versprach Hitler am 1. Mai 1933, "wollen wir ausrotten in Deutschland". "Kopf- und Handarbeiter dürfen niemals gegeneinander stehen. Deshalb rotten wir jenen dünkelhaften Sinn aus."

Hitler appelliert an Idealismus, der die Plackerei zum "Dienst" an der "Gemeinschaft" hochstilisiert und Opferbereitschaft mobilisiert. Der Führung durch Führer und Staat unterstellt, wirkt jeder an seinem Platz fürs große Ganze. Die nazistische Arbeitsideologie kann an manche der "Ideen von 1914" anknüpfen. Deutsche Professoren feierten im Zeichen des "Kriegssozialismus" nicht nur Bismarcks Sozialgesetzgebung und die Disziplin und Organisation der deutschen Arbeiterbewegung. Auch die Vorstellung deutscher "Arbeitsfreude" trieb obskure Blüten, die schillerndste wohl bei jemandem, den Hitler als "jüdischen Mischling" abqualifizierte: bei dem Philosophen Max Scheler.

Scheler philosophierte über "die Ursachen des Deutschenhasses" (so auch der Titel seiner "nationalpädagogischen Erörterung" von 1917). Zur Darstellung der zentralen Ursache wählte er als "Gleichnis" "jenes tiefe Mysterium (...) am Anfang der alttestamentarischen Offenbarung": die Vertreibung aus dem Paradies, als deren Folge die Menschen im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot verdienen müssen. Die "anderen Völker", "vorwiegend Zweckarbeiter (...), nicht Liebesarbeiter", sähen sich durch die Deutschen aus dem Paradies vertrieben. Statt des biblischen Erzengels, so spinnt Scheler sein Gleichnis fort, hätten die "Feinde" einen "neuen sonderbaren Erzengel" gesehen, den seine Mission erfüllenden Deutschen. "Er trug das Gepräge eines schlichten Arbeitsmannes mit guten derben Fäusten; er war ein Mann, der (...) ganz nur versunken in seine Sache still und langsam, aber mit einer von außen gesehen furcht-, ja schreckenserregenden Stetigkeit, Genauigkeit und Pünktlichkeit (...) arbeitete, arbeitete und nochmals arbeitete - und was die Welt am wenigsten begreifen konnte - aus purer Freude an grenzenloser Arbeit an sich - ohne Ziel, ohne Zweck, ohne Ende." Jedoch trieb Scheler sein Liebeswerben um das Deutschtum nicht soweit, daß er auch noch den Antisemitismus mitgetragen hätte; er plädierte für eine neue "Verteilung der Juden über das Ganze der deutschen Arbeit", dem "geraden Gegenteil der bekannten antisemitischen Rezepte".

Hitlers Überzeugung, daß die "schaffende Arbeit (...) ewig antisemitisch war und antisemitisch sein wird", wird in der Zeichnung "des Juden" als Gegentypus vervollständigt. Ihm fehle "idealistische Gesinnung" und die "richtige Auffassung des Begriffes Arbeit". Dabei setzt Hitler nicht erst bei der ideologischen Verkennung an, die "raffendes" von "schaffendem Kapital" unterscheidet, sondern schwadroniert historisch weitausgreifend, ja übergeschichtlich, wie es dem "Wesen des Juden" entspricht. Dies zeigen seine Phantasievorstellung vom "jüdischen Staat" und seine Unterscheidung zwischen Juden und Nomaden in "Mein Kampf".

Der "jüdische Staat" sei "territorial vollständig unbegrenzt. Denn eine bestimmte räumliche Fassung eines Staatsgebildes setzt immer eine idealistische Gesinnung der Staatsrasse voraus, besonders aber eine richtige Auffassung des Begriffes Arbeit. In eben dem Maße, in dem es an dieser Einstellung mangelt", und Hitler hat "den Juden" kurz vorher "die allerwesentlichste Voraussetzung für ein Kulturvolk, die idealistische Gesinnung", abgesprochen, in dem Maße also "versagt auch jeder Versuch zur Bildung, ja sogar zur Erhaltung eines räumlich begrenzten Staates. Damit entfällt jedoch die Grundlage, auf der eine Kultur entstehen kann."

Am 13. August 1920 hatte Hitler in einer Rede "die Juden" als "Volk, das sich der Arbeit nicht selbst unterziehen will", porträtiert und dabei selbst noch vom jüdischen "Nomaden" gesprochen, "der die gleichen Raubzüge unternimmt, wie er sie einstens unternommen hat". In "Mein Kampf" dagegen hält er die Vorstellung, "die Juden" seien "in die Reihe der Nomaden zu rechnen", für einen "gefährlichen Irrtum". Denn dann hätte "der Jude" etwas mit "dem Arier" gemein. Gegen diese peinigende Vorstellung werden der "Begriff 'Arbeit'" und die "idealistische Grundanschauung" als Unterscheidungskriterien aufgeboten: "Wahrscheinlich war auch der Arier erst Nomade und wurde im Laufe der Zeit seßhaft, allein deshalb war er doch niemals Jude! Nein, der Jude ist kein Nomade; denn auch der Nomade hatte schon eine bestimmte Stellung zum Begriffe 'Arbeit', die als Grundlage für eine spätere Entwicklung dienen konnte, sofern die notwendigen geistigen Voraussetzungen hierzu vorhanden waren. Die idealistische Grundanschauung aber ist bei ihm, wenn auch in unendlicher Verdünnung, gegeben." Grammatisch wirr fährt Hitler fort: "Bei den Juden hingegen ist diese Einstellung überhaupt nicht vorhanden; er war deshalb auch kein Nomade, sondern immer nur Parasit im Körper anderer Völker."

Hier anknüpfende Metaphern, die eine Auszehrung und tödliche Bedrohung des "Wirtsvolkes" durch die nicht arbeitenden Juden suggerieren, durchziehen "Mein Kampf" und die antisemitische Propaganda. Begriffe wie "Völkerparasit", "Blutegel", "Vampire" und "Schmarotzer" illustrieren den Wahn von "zionistischer Weltverschwörung" aus Marxismus und internationaler Finanz.