Was in der Kleidchennummer steckt

Riot Grrrls zwischen subversiver Praxis und koketter Frechdachs-Attitüde.

Das Phänomen ist nicht neu und vielleicht nur noch in der Rückschau zu betrachten: Riot Grrrls, die feministischen Vernetzerinnen im Pop-Raum, hatten ihre Hochphase gleich zu Beginn ihres Auftauchens, 1991, und stellen dennoch weiterhin eine politische Praxis dar, die zu promoten und zu kritisieren sich lohnt.

Daß der Begriff und der Zusammenhang hier in BRD-Land nie so angekommen ist wie in den musikalischen Subkulturen der USA, wo er mittlerweile zum Standard gehört wie Hard Edge oder Grunge, hat viele Gründe, die sich vielleicht am besten mit Blick auf die verschiedenen feministischen Diskurse und Umfelder, aber auch unterschiedlichen kulturellen Subkulturen darstellen lassen. Während in den USA schon seit den Achtzigern Independent-Musik immer wichtiger und im Punk-Rock-Umfeld daran gearbeitet wurde, eine Vernetzung von Indie-Plattenfirmen, Auftrittsmöglichkeiten und Bands herzustellen, die an den Majors vorbei, in ihren Umgangs- und Geschäftsformen gegen die kapitalistische Vereinnahmungspolitik von Kultur als Sublimationsmaschine der Mehrwert produzierenden Geknechteten funktionieren sollte, gab es hierzulande nichts Vergleichbares. Mal abgesehen von der Diskussion um die (Un-)Möglichkeit von Alternativen im Rockbusiness und der Zwangsläufigkeit von Reproduktion des kapitalistischen Kapitalakkumulationsmodells mit zwingenden Warenfetischen, die natürlich bei jeder verdammten Platte, die gepreßt wird, gegeben sind; ganz egal, ob das abendliche Ausgehen, Musikhören, Tanzen, Sich-Versammeln, nun als systemgewollte Entspannungskanalisation gesehen wird oder als hedonistischer Lebensinhalt.

In den USA gab es diese ewig tourenden Bands, gab es das Mitfahren, das Groupie-Sein als selbstverständliche Praxis. Band-Gründen, Gitarre-Spielen war für Frauen seit Punk keine Hürde mehr, vielleicht eher das geschlechtsspezifisch sozialisierte Plattensammeln und der Instrumentenkauf. Daß die zahlreich gegründeten US-Frauenbands sich auf die Independent-Struktur beziehen konnten - zumindest teilweise -, ist jedoch schlicht eine Tatsache.

Der zweite Faktor, der die Präsenz bzw. Abwesenheit einer Riot Grrrl-Bewegung in den USA und hier beeinflußt hat, ist das Feminismusverständnis. Während in den USA der Gleichheitsanspruch auch im Mainstream eingefordert wird - von Managerinnenkursen bis zur Diskussion um Frauen im Militär -, galt hierzulande noch bis zum Beginn der Neunziger Feminismus als eher akademischer oder Frauengruppen-bezogener Diskurs, der von differenzfeministischen Positionen dominiert wurde.

"Was ihr könnt, können wir auch" - das für die Gesellschaft wenig bedrohliche, systemerhaltende Credo der Emanzipationsbewegung scheint auch heute noch im US-amerikanischen Alltag präsent zu sein. Maskulinistische Universalismen gelten weiterhin als Normativ. Daraus resultiert eine Praxis, die sich permanent an patriarchalen Strukturen und Vorgaben abarbeitet - mit dem Ziel einer möglichen Annäherung weiblicher Lebenswelten an die gegebenen Normen. Die differenzfeministischen Strategien hingegen gehen von der essentialistisch-dualistischen Voraussetzung aus, Männer und Frauen seien unterschiedlich: "Was ihr könnt, wollen wir gar nicht können." In den USA spielt diese Auffassung und die daraus resultierende Politik der Segregation eine untergeordnete Rolle, während die feministisch-politische Praxis hierzulande auf die Gestaltung fraueneigener Räume ausgerichtet ist. Dies korrespondiert häufig mit der Haltung: "Was als männlich bekannt ist, lehnen wir als dominantes System ab."

Damit sind die Differenzen zwischen einem Feminismus-Verständnis in der US- und der BRD-Gesellschaft sicherlich verkürzt beschrieben; die Darstellung kann aber helfen zu erklären, warum es jungen Frauen in den USA offensichtlich leichter fällt, eine Gitarre zu nehmen, und Musik zu machen und es jungen Frauen hier eventuell leichter fällt, außerhalb der bekannten Bezugssysteme Vernetzungen herzustellen.

Daß das Amalgamieren der beiden Strategien in der Riot Grrrl-Bewegung - Separation von Frauen einerseits, Einklinken in bestehende Kultursysteme andererseits - ein für US-amerikanische Verhältnisse nahezu aufständisches Phänomen bedeutete, ist die eine Sache, daß sich die Bewegung andererseits weiterhin an den bestehenden Verhältnissen abarbeiten mußte, die andere.

Klar ist, daß Frauen in der jüngeren Musikgeschichte unterschiedliche Präsenz- und Representationsansprüche formulierten. So gibt es zwischen Kim Gordon von Sonic Youth oder den ultimativen Riot Grrrl-Vorbildern wie Patti Smith oder Jean Smith von Mecca Normal und den Frauen von Bratmobil, Bikini Kill, Huggy Bear, Dickless oder Bitch Fight den Unterschied, daß erstere als Musikerinnen begannen und in diesem Kontext feministische Positionen bezogen, während letztere als genervte Frauen begannen, die in der Musik ein Medium fanden, das Deutlichkeit, Nervigkeit, Direktheit und Sichtbarkeit besser transportierte als Gedichte und Erzählungen. Wobei die Haltung, sich nicht primär als Musikerinnen zu definieren, bei den meisten Riot Grrrl-Gruppierungen dazu führte, daß sie auch Fanzines publizierten, Treffen, Selbstverteidigungskurse, Selbstfindungsgruppen organisierten, Internetverbindungen herstellten und Gedichte schrieben.

Von Musikerinnen wie Björk, Laurie Anderson oder P.J. Harvey setzten sich Riot Grrrls in ihren Texten ab, indem sie sich explizit mit ihrer Existenz als Frau in einer feindlichen Umgebung auseinandersetzen oder die Empowerment-Strategie des "Do It Yourself"-Konzepts zum Thema machten. "Suck My Left One, Daddy" von Bikini Kill bricht allein schon durch den Sprachduktus die Viktimisierung und macht klar, daß es nicht darum geht, sich über die alltägliche Scheiße zu beklagen, sondern eher darum, nicht mehr den Mund zu halten, stärker zu werden, offensiv zu sein, deutlich zu werden und sich die eigene Sozialisation zusammenzubasteln.

Daß die daraus entstehenden Strategien und Praxen sich in einem weißen Mittelstandskontext bewegen, ist nicht das Problem der Riot Grrrls. Daß die Rezeption des Widerständigen nur im Kontext von Ähnlichkeiten funktioniert, ist jedoch mehr als fragwürdig und rückwirkend auch dafür verantwortlich, daß die Trennung zwischen weißer politischer Rockmusik und Black Entertainment aufrechterhalten wird.

Daß sich Frauen separatistisch zusammenschließen und kulturellen Output produzieren, daß sie sich ihre eigenen Kommunikationsstrukturen aufbauen und die Medien soweit kontrollieren, daß sie zuerst prüfen, wem sie ein Interview geben, ist zweifellos eine politische Praxis, die eine Affirmation durch den Kulturbetrieb und die Medien erschwert. Ganz wie in den Selbsterfahrungsgruppen der Sechziger und Siebziger wird in den Riot Grrrl-Zines alternative Geschichtsschreibung betrieben, werden persönliche Erfahrungen gesammelt und in der Verkettung von Zuschreibungsmustern und ihren Erfüllungsvorschriften sowie möglichen Widerständigkeiten Identität konstruiert. Das ist fundamental, weil nicht davon ausgegangen werden kann, daß eine feministische Müttergeneration diesen Prozeß der Töchter übernehmen kann. Genau dieser Umgang vom Transzendieren und Öffentlich-Machen des Privaten als Politisches ist die Grundlage der Kritik an der Universalisierung der Erfahrungen weißer Mittelstandsfrauen, wie sie sich gegen die weiße Frauenbewegung gerichtet hat und richtet.

Eine Auseinandersetzung mit der viktimisierten Persönlichkeitsseite, die im hierarchischen Geschlechtersystem verfangen ist und ganz vergißt, daß sie sich selbst an anderen Orten eben dieser Privilegien und Definitionsmacht bedient, die sie im Kontext Geschlecht als gegen sich gewendet sieht, fand in der Rezeption nicht statt. So gibt es weder in der popkulturellen noch in der sonstigen Rezeption der Riot Grrrl-Bewegung ein Nachspüren subversiver Handlungsmuster, wie sie etwa von HipHopperinnen, aber auch von frühen Soul Sängerinnen wie etwa Laura Lee, benutzt wurden.

Man kann sich fragen, warum die Aneignung der ridikülisierten und verniedlichenden Zuschreibung "Girl" subversiver oder politischer ist als die Aneignung der Zuschreibung von "Bitch", wie sie von Missy Elliott über Bitches with Problems in nahzu allen, außer den christlich-fundamentalistischen HipHopperinnen-Texten vorkommt. Man kann sich auch überlegen, warum das Abarbeiten an heterosexistischen Normierungen wie etwa Kleidchen-Tragen - und sei es als Angriff auf Körpernormierungen, die ansonsten in Verbindung mit diesen Bekleidungsstücken stehen - als revolutionärer und feministischer gewertet wird als die Präsenzbehauptung und Jogginghosen-Nummer von Female Rap Acts wie YoYo und MC Lyte.

Zwar ist die Absicht der Überschreitung von Kleidervorschriften als symbolischer Marker erkennbar, trotzdem schafft es Realitäten, wenn in einem Konzert von Sleater Kinney oder Bikini Kill nahezu alle Frauen und Mädchen kurze Kleidchen tragen - mit oder ohne Tank Girl-Stiefel kombiniert. Was als Kritik an Körpernormen oder als Zeichen von Verletzbarkeit vorgeführt werden sollte, beginnt mit eben diesen Vorschriften zu kokettieren, wenn die einzelne aus dem Women-Only-Konzert alleine in ihrem Minikleid nach Hause fährt.

Deutlich wird das spätestens dann, wenn man sich die dezidiert lesbischen Bands im Riot Grrrl-Umfeld ansieht. Hier ist die Überschreitung deutlicher und deshalb nicht mehr affirmierbar, zum Beispiel wenn Tribe 8, die sich selbst als Dyke Punk-Band bezeichnen, die Musik für andere Lesben machen, sich T-Shirtlos auf die Bühne stellt und das Publikum es ihnen nachmacht. Mit Go-Go-Fantasien hat das nichts gemein, denn es wirkt für Außenstehende, Nichtlesben oder Männer schlicht bedrohlich. So jedenfalls lesen sich die Reaktionen auf Bands wie Tribe 8, Third Sex oder manchmal auch Team Dresch.

Bleibt die Frage, ob es ausreichend ist, sich selbst als Riot Grrrl zu zeichnen, bzw. ob nicht die Praxis der Bühnenpräsenz und Kommunikation als Kriterium gewertet werden muß, zum Beispiel bei einer Band wie L7, die sich selbst nicht im Kontext der Riot Grrrls sieht, aber explizit sagt, daß sie im Konzert nur Frauen vorne zum Slammen haben wollen. Als gelebte Konzerterfahrung hat das bedeutend mehr Empowerment-Potential als eine folkige Sleater Kinney-Band, die gar nicht mit dem Publikum kommuniziert, sondern lediglich ihr Set runterfährt. Wüßte man nicht, daß sich die drei auf dieses Umfeld beziehen, wäre ein besonderes Riot-Potential gar nicht auszumachen. Nur, daß die Präsenz und Selbstverständlichkeit von Frauen auf der Bühne keine ständige Realität ist. Und natürlich, daß es im Star-Fan-Bezugssystem einiges ändert, wenn die Zuhörerinnen sich "selbst" auf der Bühne sehen und sich nicht ausschließlich als im Verhältnis zum männlichen Star positionieren müssen.