Der Reiz der Gene

Gleich fünf Museen haben derzeit Genetik-Basiswissen im Programm

"Das Genlabor ist keine Hexenküche" - dieser Satz müßte im Münchner Museum für Mensch und Natur nicht eigens in dicken schwarzen Lettern über dem Eingang zum peniblen Nachbau einer modernen Forscherwerkstatt geschrieben stehen. Die Familien, die sich sonntags durch die Ausstellung "Gen-Welten" in einem Flügel des Nymphenburger Schlosses schieben, bemerken das selbst. Wer gehofft hatte, hinter dicken Rauchwolken einem Dr. Frankenstein dabei zusehen zu können, wie er im Labor eingefrorene Embryonen aus dem Kühlschrank fischt, um frisches Gen-Material für seine Züchtungen zu gewinnen, der wird enttäuscht.

Auf zehn Quadratmetern klemmt lediglich ein kompletter Küchenblock in sanften Cremefarben. Zugegeben - für eine ordinäre Einbauküche gibt es hier ungewöhnlich viele Steckdosen und Wasserhähne. Auch die Herdplatten fehlen. Deren Platz beansprucht ein kopfstehendes Sixpack, das als DNA-Sequenzierapparat ausgewiesen ist, und im Wandregal steht nicht der Pfefferstreuer, sondern ein ebenso kleines Döschen mit der Aufschrift "HCI-Puffer". Aber ansonsten ist alles wie daheim.

Was es nun bedeutet, wenn der Apparat mit den vielen Glasröhrchen die DNA entschlüsseln hilft und die als defekt identifizierten Gene im Reagenzglas gegen gesunde ersetzt werden - wen muß das schon interessieren? Wer die unspektakuläre "Hexenküche" betritt, ist zwar bereits an über 40 Schautafeln, 10 interaktiven Monitoren mit diversen Hörtexten und Videos rund ums Gen vorbeigelaufen und ist mit allen Schlagworten aus dem Zettelkasten der Genetiker - vom erbsenzählenden Augustinermönch Gregor Mendel bis zum Klonschaf Dolly - bombardiert worden, dennoch will sich das Unbehagen über die eigene Inkompetenz partout nicht verflüchtigen.

"Die Möglichkeit eines Museums darf man nicht überschätzen", beruhigt Museumsleiter Hans-Albert Treff. "Die allermeisten Leute wissen vorher nichts, und nachher, wenn sie rauskommen, wissen sie auch nichts." Dafür hat der promovierte Zoologe gesorgt. Die über das Technologische hinausreichenden Fragen nach der Bedeutung der Gentechnik für das gesellschaftliche und individuelle Leben, über die allein es zu diskutieren lohnte, bleiben ausgespart. Die Antworten darauf allerdings nicht.

Gleich fünf Museen wollen derzeit die Öffentlichkeit über die aktuelle Entwicklung der Gentechnik aufklären. Bis zum 10. Januar läuft das Gemeinschaftsprojekt "Gen-Welten" parallel in Vevey (Musée de l'alimentation), in Dresden (Deutsches Hygienemuseum), in Bonn (Kunsthalle) und Mannheim (Landesmuseum für Technik und Arbeit). Initiator der exhibitionellen Gen-Bewegung war der Direktor des Nestlé-eigenen Alimentariums. Vor vier Jahren brachte er mit seiner Ankündigung eines Projekts über Gentechnik im Lebensmittelbereich den Stein ins Rollen.

Die Dresdener, mit einer Million Mark von internationalen Biotech-Multis wie Novartis, Smith Kline Beecham, Schering oder Boehringer bedacht, konzentrieren sich auf den medizinischen Bereich. Konkret heißt das, daß über weite Strecken der Forschungsfortschritt bei den Sponsoren weichgezeichnet wird. Bonn will seinen "Bildungsauftrag" vor allem an Schulklassen exekutieren. Ausstellungsbegleitend werden Experimente angeboten, in denen die Schüler beispielsweise den kriminologischen Segen des DNA-Fingerprintings hautnah nachvollziehen dürfen.

Die über das "Basiswissen Genetik" hinausgehende Reflexion bleibt in der Kunsthalle der individuellen Kontemplation vor den zwölf Exponaten verschiedener Künstler vorbehalten, die so kritisch sind, wie es der Blick des geneigten Betrachters erlaubt. In München kommt das Fitneßprogramm für den kritischen Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft als Kompaktlehrgang für den Bio-Leistungskurs daher. Natürlich haben sich Treff und sein Team redlich bemüht, die abweisende Abstraktheit des Themas spielerisch zu bannen. Da schraubt sich die allgegenwärtige Doppelhelix, real eine Molekülkette im Nanobereich, als zwei Meter breite Wendeltreppe vom Boden in die Zimmerdecke. Da stakst ein böser Virus als grüner Pappmaché-Roboter durch den Glaskasten, und das Haustier der Genetiker, die forscherfreundliche Fruchtfliege, wird als riesiges Gummitier an die Wand gepinnt.

Das alles ist so herzig wie die Vorstellung der Initiatoren: Wer nach einem mehrstündigen Marathon den Ablauf der Proteinsynthese, den Aufbau der Messenger-RNA oder den wundersamen Prozeß der Mitose kapiert hat, kann endlich kompetent mitreden. Der ist gerüstet für seinen Staatsbürgerauftrag, der Gentechnik künftig nicht mehr durch langes Debattieren die riesigen Chancen zu verbauen. Standortchancen zum Beispiel. Eine von der Prognos AG im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie gefertigte Studie sagt für Deutschland bis zum Jahr 2000 die Schaffung von bis zu 110 000 neuen Arbeitsplätzen in der Genindustrie voraus. Der Gesamtumsatz in der Bio- und Gentechnologie wird dann bei etwa vier Milliarden Mark liegen, wobei der Hauptanteil auf den Pharmabereich entfallen soll.

Auf Europa hochgerechnet, erweisen sich die Reize der Gentechnik als noch verlockender. Eine Wertschöpfung von 450 Milliarden Ecu und eine Sicherung von neun Millionen Arbeitsplätzen prognostizieren die Experten. Angesichts dieser Zahlen, das haben die Ausstellungsmacher richtig gesehen, erübrigt sich eine Grundsatzdebatte, die den Standort madig zu machen versucht. Ernsthafte Alternativen zur hochgelobten Biomedizin werden ohnehin nicht mehr diskutiert. Schon heute versprechen sich neun von zehn Bundesbürgern die Wunderwaffe gegen Krebs, Aids und Alzheimer aus dem Genlabor. Die Hoffnungen, mit der Gentechnik die Krankeiten bei der Wurzel packen zu können, sind grenzenlos, mit Versprechungen für die Zukunft geizt die Pharma-Branche nicht. Das ausgestopfte Wildschwein, das hinter Glas die Besucher anglotzt, heißt es in München, könnte vielleicht schon morgen als Organbank dienen, wenn mit Hilfe gentechnischer Veränderungen des Schweine-Erbgutes die Abwehrreaktionen beim Menschen unterdrückt werden könnten. Den Krankheiten der Hightech-Medizin einfach mit einer höheren Dosis Hightech zu Leibe rücken, ist das nicht verlockend?