Musikalisches Tamagotchi

Die internationale Sprache von Modern Talking. Zur Comeback-CD "Back For Good"

Modern Talking sind die Tamagotchis der Musik. Sie erbringen wie diese den Beweis für die erstaunliche Abstraktionsfähigkeit des Bewußtseins. Wenn bei Gelegenheit einer extraterrestrischen Intelligenz das spezifisch Menschliche der menschlichen Intelligenz erläutert werden müßte, Tamagotchis und Modern Talking wären die idealen Demonstrationsobjekte.

Tamagotchis lassen sich kaum mehr mit dem vergleichen, was die Psychologie "Kindchenschema" genannt hat. Denn eine Puppe, ein Tier, selbst eine Zeichnung, die das Kindchenschema erfüllt, welches Impulse der Fürsorge bei einer (potentiellen) Mutter, einem (potentiellen) Vater auslöst, muß doch wenigstens den groben Umriß eines Gesichtes, große Augen oder einen geöffneten Mund erkennen lassen.

Es liegt aber nichts Kindliches in diesem kleinen Plastikkloß. Er entspricht nicht der Größe eines Kindes, er fühlt sich nicht weich an, er schreit nicht, er wimmert nicht, er bewegt sich nicht, auch die Figuren des Displays erinnern nur sehr entfernt an Säuglinge oder Kleinkinder. Wenn nun der Besitzer eines Tamagotchis, wie es oft beobachtet worden ist, diesem piependen Ding mehr Aufmerksamkeit widmet als seinen Mitmenschen, mag das den Humanisten verstören, und es mag auch ein Zeichen für Infantilität sein, aber jedenfalls keines für Dummheit. Man bedenke, welche komplexen Übersetzungs- und Abstraktionsprozesse statthaben müssen, um in einem Tamagotchi ein Kind zu erkennen.

Ganz ähnlich sollte man die Begeisterung werten, die Modern Talking in der ganzen Welt ausgelöst haben. Dieter Bohlen hat einen einzigen Hit geschrieben - "You're My Heart, You're My Soul" - und dann gemeinsam mit seinem Partner und Sänger Thomas Anders eine Reihe von Derivaten dieses Songs vorgelegt, die alle große Erfolge wurden. Auf ihrer Comeback-CD lassen sie alle diese Produkte, zum großen Teil in neuer Abmischung, noch einmal Revue passieren. Es ist schon Ausweis der Fähigkeit dieser Musiker, daß jede neue Variation von "You're My Heart, You're My Soul" noch etwas besser ist als die vorhergehende: "Cheri, Cheri Lady", "Brother Louie", "Atlantis Is Calling" ... Und schließlich die beste und gefälligste Abwandlung in "Jet Airliner". Aber das ist immer noch dasselbe einfache Lied, derselbe High-Energy-Riff, dieselbe Melodielinie, derselbe Falsett-Chor.

Und vor allem: Es ist alles so einfach wie nur möglich. In dem Versuch, nicht ein emotionales Esperanto, sondern emotionale Piktogramme zu schaffen, haben Modern Talking sich klugerweise auf Andeutungen beschränkt, auf Phrasen, hier und da zusammengestohlene Versatzstücke. Aufbauend auf der globalen Popsprache, verabfolgen die Texte Folgen von Gefühlssignalen, es ist, wenn man will, immer nur Herz und Schmerz, heart & soul. Gerade durch diese übergroße Einfachheit, die extreme Reduktion und die ausschließliche Verwendung von bereits Bekanntem, das immerhin sehr suggestiv zusammengesetzt ist, gelang es Modern Talking, überall verstanden zu werden. 60 Millionen Tonträger hat die Gruppe abgesetzt, sie war allein mit "You're My Heart, You're My Soul" in 17 Ländern auf den vorderen Plätzen der Charts.

Sie lieferte das Tamagotchi, in dem die halbe Welt ihre Gefühle wiedererkannt hat. Das kann nur ein einfaches Muster leisten. Ein kategorialer Irrtum ist es jedoch, von der Einfachheit des stimulus auf die Undifferenziertheit des response zu schließen.Gerade, weil nur eine sehr intrikate und komplexe Ableitung erlaubt, aus dem simplen heart & soul des Stücks das heart & soul eines Bewußtseins werden zu lassen, die Voraussetzung dafür also, Rührung zu empfinden, Erinnerungen aufsteigen zu lassen, zu projizieren - bei diesem Plastikkloß von Stück -, eben darum sollte man zurückhaltend sein mit Spekulationen darüber, wer wie Modern Talking hört und was er dabei empfindet. Das "modern talking" selbst ist eine sehr reduzierte, fast primitive Angelegenheit - mit unendlichen Bedeutungen und emotionalen Differenzierungen.

Auf ein ausgetrocknetes Gemüt kann auch eine Mahler-Symphonie fallen, sie wird nichts hervorbringen. Die journalistischen Kritiker von Modern Talking scheinen dagegen mit ihren Empfindungen zu kämpfen, sieht man, mit welcher Lust sie sich an dieser Band abarbeiten. Möglicherweise wissen sie nicht sehr viel mit sich selbst anzufangen. Oder sie möchten Überlegenheit markieren, indem sie zu rasch die Unterlegenheit der anderen für erwiesen halten.

Modern Talking: Back For Good. The 7th Album. BMG. Modern Talking auf Tournee: 7. Mai Magdeburg, 8. Mai Fürth, 9. Mai Erfurt, 10. Mai Chemnitz, 11. Mai Berlin (wird fortgesetzt)